.J-. ■ ' ^M'i Digitized by the Internet Archive in 2011 with funding from University of Toronto http://www.archive.org/details/unbekanntel| Druck der Tipographia «Roma», Deutsche Buchdruckerei (Armani & Stein) ^73, Via Babuino — ROMA — Via Fontanella, 5. VORWORT Die im Nachfolgenden besprochenen Streitschriften wurden von mir auf Anregung des »Kgl. Preussischen Historischen In- stituts in Rom im Winter 1907/8 und 19089 gesammelt und un- tersucht. Ihre Wiederauffindung verdanke ich zum grössten Teile systematischer Durchsicht der Inventare etc. der Vatika- nischen Bibliothek und anderer römischer Bibliotheken. Hss. der Pariser Nationalbibliothek, des Londoner Britischen Mu- seums, der Bibliotheken in Eichstädt und Trier und des Lan- desarchivs in Brunn wurden zu Ergänzungen herangezogen. Bekannt waren bisher durch kurze Referate anderer Forscher nur der Traktat des Hermann von Schildesche, der Planctus ec- clesie Konrads von Megenberg und desselben Gegenschrift gegen Occams Traktat über den Unterwerfungseid Karls IV. Diese letzte Schrift hat K. Müller bereits 1888 im Rektoratsprogramm der Universität Giessen teilweise veröffentlicht. Ich gebe in den Texten den ersten vollständigen Abdruck und eine ausführ- lichere Analyse im Zusammenhang mit den anderen Streit- schriften Megenbergs und Occams. Die beiden grossen, unge- druckten Traktate Megenbergs konnten bei einer Würdigung der Streitschriften dieser Jahre ebensowenig unberücksichtigt bleiben. Nachdem meine Arbeit bereits abgeschlossen war, wurde die Herausgabe der beiden Traktate für die Sammlung der Monumenta Germaniae Historica angezeigt. Es kam mir vor allem auf eine genaue Inhaltsangabe und Interpretation der un- gedruckten und oft schwer verständlichen Stücke an, die den Charakter und die litterarische Stellung der einzelnen Schriften erkennen lassen soll. Die Texte sollen hierzu die Belegstellen geben; sie bieten deshalb mit wenigen Ausnahmen keine vollständige Edition, sondern fortlaufende Exzerpte. Für die VIII Erkenntnis des litterarischen Charakters schien es mir nicht tunlich, nur einzelne Stellen, etwa in der Form von Anmerkungen zu den Analysen, abzudrucken. Die zusammenhängenden Ex- zerpte und Referate werden dagegen, wie ich hoffe, eine aus- reichende Vorstellung von dem Ganzen bieten. Jeder, der mit der Art dieser Litteratur vertraut ist, wird dieses Verfahren billigen. Eine volle Edition würde, abgesehen davon, dass mir dazu Zeit und Mittel fehlten, in den meisten Fällen keinen grösseren Gewinn gebracht haben. Kürzungen und Streichungen in der schematischen, sich oft wiederholenden Argumentation, in der äusserlichen Häufung von Beweisstellen etc. sind in solchen Schriften m. E. nicht nur zulässig, sondern geboten. Erst wenn dieses Gestrüpp gelichtet ist, erhält man einen Einblick in den Aufbau und Gedankenfortschritt. Ich hoffe nichts hierfür we- sentliches übersehen zu haben. Nur einige Traktate, die wegen ihrer inhaltlichen Bedeutung, wie die Schriften Megenbergs und der letzte Traktat Occams, oder aus äusseren Gründen, ihres geringen Umfanges wegen, eine volle Edition möglich und wünschenswert machten, werden vollständig gegeben werden. Was den historischen Gewinn anbelangt, so möchte ich glauben, dass auch nach den grundlegenden Darstellungen S. Riezlers und K. Müllers die litterarische Bewegung der Kämpfe unter Ludwig dem Bayern durch die neu gefundenen Schriften eine noch schärfere Beleuchtung erfährt. Es gilt dies insbeson- dere für die Wirkung des Defensor Pacis und der Ereignisse des Jahres 1328, andererseits auch für die publizistische Tätig- keit Occams. Das Ms. der Arbeit war bereits im April des Jahres 1909 abgeschlossen und abgeliefert worden. Der Druck hat sich un- gebührlich lange verzögert. Schwierigkeiten in der Druckerei Hessen den Fortgang oft Monate lang stocken. Daraus erklären sich auch gewisse Unregelmässigkeiten und die Ergänzungen und Korrekturen, die sich erst nachträglich noch anbringen Hessen. Ich verweise hiefür auf die Beilagen. Da der Druck der Texte noch immer nicht beendet ist, habe ich mich ent- schlossen, die erste Hälfte des Bandes, die die Analysen der IX Schriften enthält, bereits jetzt gesondert herauszugeben. Ich hoffe, dass der Schluss noch Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres erscheinen kann. Es erübrigt mir noch den Verwaltungen der Bibliotheken, die mir bei dieser Arbeit wiederholt ihre Hilfe zu teil werden Hessen, meinen wärmsten Dank auszusprechen. Verpflichtet fühle ich mich insbesondere der Direktion des Kgl. Preussischen Historischen Instituts in Rom, sowie dem Kgl. Preussischen Kultusministerium, durch deren Unterstützung die Arbeit ermög- licht wurde. Leipzig, im Juli 1911. Der Verfasser. INHALTSVERZEICHNIS Seite I. Drei kurialistische Gutachten über die Lehren des Defensor Pacis (1327) 1-27 § 1. Sybert von Beek 3—: 2 § 2. Guilielmus de Amidanis von Cremona . 13—22 § 3. Petrus de Lutra . 22-27 II. Fünf Schriften gegen Ludwigs Erlass „Gloriosus Deus" (1328, April 18) und die Kaiserkrönung .... 28-78 § 4. Andreas und Franciscus Toti de Perusio . . 29—37 § 5. Opicinus de Canistris 37—43 § 6. Egidius Spiritalis de Perusio .... 42—49 § 7. Hermann von Schildesche in Westfalen . . 50-60 § 8. Lambert Guerrici von Huy 60—70 § 9. Ein Abriss der Geschichte der päpstlichen Prozesse gegen Ludwig 1323—1328 (Compendium maius) . 70-78 III. Streitschrift Konrads von Megenberg und Wilhelms von Occam a. d.J. 1338-1354 79—189 § 10. Konrad von Megenberg: a) Planctus ecclesie in Germaniam, 1338 . 79 -94 b) De translatione Romani imperii . . . 95 — 127 c) Die Schrift gegen üccams Traktat über den Unterwerfungseid Karls IV 127—140 § 11. Die unedierten Streitschriften Occams : a) Eine unbekannte Fortsetzung des Dialogus 141—149 b) Ein Pamphlet gegen das Andenken Jo- hanns XXII. (1335) 149-152 c) Traktat gegen Benedikt XIL v. J. 1337—38 152-161 d) Eine Verteidigung des Frankfurter Gesetzes Fidem catholicam v. 6. Aug. 1338 . . 161—167 e) Eine Streitschrift für den englischen König Eduard III 167- 176 f) Ein Traktat De imperatorum et pontificum potestate aus Occams letzten Jahren . . 176—189 IV. Vier Schriften des Augustinus Triumphus, Alvarus Pe- lagius u. Landulfus Colonna über innerkirchl. Zustände 190—210 § 12. Augustinus Triumphus De divinatoribus et som- niatoribus 191-197 XII Seite § 13. Alvarus Pelagius, Collirium adversus hereses novas und Speculum regum .... 197—207 § 14. Landulf Colonna, De pontificali officio . . 207—210 V. Schlussbemerkiingen 211—225 Beilagen. 1. Zu Petrus de Lutra (vgl. S. 22 ff), — 2. Der tertius tractatus des Franciscus Toti und die Schrift des Alexander de S. Elpidio, De po- testate ecclesiastica (zu S. 36 f.). — 8. Eine ungedruckte Vorrede zum Speculum manuale sacerdotum des Hermann von Schildesche. — 4. Ueber das Verhältnis von Konrads von Megenberg Tractatus de translatione imperii zu Lupolds von Bebenburg Tractatus de iuri- bus regni et imperii (zu S. 100 u. 113\ — 5, Die Bearbeitung der Determinatio compendiosa vom J. 1342 (zu S. 126). — 6. Ueber einen anonymen Traktat gegen Benedikt XII. (zu S. 150). — 7. Eine ano- nyme Abhandlung de potestate ecclesiae und Alvarus Pelagius, Planctus cap. 42. h Analysen Drei kurialistische Gutachten über die Lehren des Defensor Pacis (1327). Am 24. Juni 1324 hatte Marsilius von Padua den Defensor Pacis vollendet/) Im Sommer 1326 trafen er und sein Mitarbeiter Johann von Jandun in Deutschland an Ludwigs Hofe ein und begannen von nun an auf geraume Zeit einen bestimmenden Ein- fluss auf den Kaiser und seine Politik auszuüben. Die Kurie hat diesen Einfluss nicht leicht genommen. Mag man auch die Wirkung des Defensor Pacis auf weitere Kreise nicht überschätzen,') so war das Buch doch ein so revolutionärer Angriff gegen die Fundamente der Papstkirche, unternommen mit so viel Scharfsinn und Konsequenz, so wenig Respekt vor äusserer kirchlicher Autorität und Tradition, wie ihn das Mittel- alter bisher noch nicht erlebt hatte. Die Kurie rüstete sich zur Abwehr. Nicht nur dass die Verfasser Bann und Exkommuni- kation traf, auch ihr Buch musste literarisch vernichtet werden. Eine Menge Gegenschriften hat der Defensor Pacis in jenen schreibseligen Zeiten des ausgehenden Mittelalters hervorge- rufen, und wenigstens ein Teil davon wurde von der Kurie selbst veranlasst. In der Bulle vom 3. April 1327 schon, mit der eine neue Phase der päpstlichen Prozesse gegen Ludwig beginnt,") werden Marsilius und Johann von Jandun namhaft gemacht als die schlimmsten Ketzer; am 9. April 1327 werden 1) K. Müller, Der Kampf Ludwigs d. B. (1879) T 368, Sullivan, The manuscripts and date of Marsiglio of Padua's Defensor Pacis, English Hist. Rev. 1905, 293 ff. — N. V a 1 o i s in Hist. litt, de la France vol. 33, 528 ff. 2) Die behauptete Wirkung auf die bürgerlichen Unruhen in den deut- schen Städten der Zeit ist nicht nachweisbar, vgl. B. S e i d e n b e r g e r, Die kirchenpolitische Literatur unter Ludwig d. B. und die Zunftkänipfe vornehmlich in Mainz (Westd. Zeitschr. 8), R. Scholz, Marsilius v. Padua u. die Idee der Demokratie ^Zeitschr. f. Politik I 81 ff.) 3) Märten e et Durand Thesaurus novus II 683. Scholz, Analysen und Texte. 1 2. I. DREI KURIALISTISCHE GUTACHTEN ETC. sie exkommuniziert;') am 23. Okt. 1327 endlich erfolgt die ausführliche Verdammung von 6 Lehren des Defensor Pacis in der Bulle Licet iuxta doctrinam.') Der Fapst bemerkt, dass diese sechs Artikel eine Auswahl aus einer Reihe von Ketzereien seien, die rechtgläubige Männer aus dem Defensor Pacis ex- zerpiert und ihm überreicht hätten mit der Bitte, diese Irrlehren zu verdammen. Er. der Papst, habe dann mit Kardinälen, Erz- bischöfen, Bischöfen und mehreren Magistern der Theologie und Professoren der Jurisprudenz beraten, die Artikel genau geprüft und ihren häretischen Inhalt konstatiert. Aus diesen Vorarbeiten ging dann die Bulle Licet iuxta docirinam hervor. Zu diesen offiziellen Vorarbeiten nun gehören anscheinend wenigstens zwei von den folgenden drei Traktaten, die sich sämt- lich mit jenen sechs inkriminierten Sätzen des Defensor Pacis beschäftigen. Der Papst selbst hatte, wie die Verfasser berichten, die Abfassung veranlasst, sei es, dass er sich an die einzelnen persönlich oder generell an die an der Kurie an- wesenden Gelehrten wandte. Es fehlte dort nie an Federn, die einem solchen Wunsche nachkamen und eine so günstige Ge- legenheit, sich beliebt zu machen, nicht vorübergehen Hessen/'') 1) 1. c. 692. 2) 1. c. 704—716. 3) Sehr anschaulich beschreibt ein ganz analoges Vorgehen bei Ge- legenheit der Kontroverse über die visio beatifica der Kardinal Jj^cob a Furno, der spätere Benedikt XII., in seinem Traktate: XI qnestiones contra libelltittt douiini Diivaiidi, episcopi Me/daisis {\sii. lat. 4006, f. 250 v. — 307), f. 225 V : Durandus habe seine Schrift gegen die Lehre Johanns XXII. über die i/s/o beatifica dem Papste geschickt — que Script tira per dictiiin do- viinum. pnpaui tradita fiiit nd videuditiu aliqiiibits magistris in theologia qui de dictn scriptum extraxenint X vel XI dubia, itt eis visum fitit, de quibus fonnautes X vel XI questiones preposueruitt in titulis earutn utruni eic . . qui articuli per inodum talium questionuni propositi diver- sis doctoribus in curia tunc exisfenfibus traditi fuerunt per dictum do- niinutu papani ad exaniinanduni, a quo etiani niiclii licet renitenti tra- diti fuerunt ; trotz seiner Weigerung, da er nicht einmal ein Exemplar der Schrift des Durandus besessen habe, sei er vom Papste gezwungen worden eine Abhandlung über die questiones zu schreiben. Später habe er diese Abhandlung der ^'ergessenheit übergeben^ attendens tanien qnod inter scripturas nieas in papiro scriptas sexterni in quibus predicta scripseram in posteruni possent invejiiri, tradidi dictani scripturam exaniinandani tribus doctoribus in tlieologia. Diese hätten dann vor den Kardinälen sich für die Publikation ausgesprochen. § 1. SYBERT VON BEEK. 3 Der Karmeliterprior Sybert und der Augustinergeneral ge- hörten zu den vom Papste direkt aufgeforderten; von Petrus de Lutra erfahren wir das nicht: er wird ohne persönliche Auf- forderung ans Werk gegangen sein. § 1. Sybert von Beek. a) Leben und Schriften. Der Karmelit Sybert stammte aus dem Orte Beek in Geldern.^) Angeblich einer angesehenen Familie angehörig^ kam er um 1280 nach Köln in das Kloster St. Mariae de Monte Carmeli. Zum Studium nach Paris geschickt, war er einer der ersten seines Ordens, der es zum Magister theologiae brachte: 1316 wird er als vierter Magister des Ordens bezeichnet. Bereits vorher aber hatte Sybert es durch seine Begabung und seine Gelehrsamkeit verstanden, sich in seiner Heimat eine hervor- ragende Stellung zu verschaffen. Der Karmelitenorden hatte in Niederdeutschland rasch festen Fuss gefasst. Nach dem alten Kataloge der ältesten Ordensmagister vom Jahre 136P) sind in den Jahren 1295 bis 1361 nicht weniger als 7 Niederdeutsche zu Magistern erhoben worden, darunter der erste General des Ordens. Häufig fanden Generalkapitel in Trier, Köln, Brüssel statt. Diese Bedeutung des Ordens am Niederrhein hat Sybert nun allem Anschein nach mit begründen helfen. Bereits im Jahre 1300 hatte er die Aufmerksamkeit des Grafen Rainald I. von Geldern auf sich gelenkt und die Erlaubnis zur Ansiedelung des Ordens in Geldern, d. h. offenbar auf landesherrlichen Besitzungen, erwirkt.') Im Jahre 1306 überliess der Graf die 1) Ueber seine Persönlichkeit vgl. besonders B. Z i m m e r m a n n , O. C, Monumenta bist. Carmelitana, vol I (Lirinae 1907) p. 190, nach der unge- druckten Schrift des P. Xorbertus a St. Juliana (1710—1757), De scriptoribus 13elgicis et viris illustribus ex ordine Carmelitano (Bibl. reg. Bruxell. ms. 16492 f. 10 ff.). — Bibliotheca Carmelitana ed. Villiers (Aurelianis 1752) IT 741 f. — Ph. Ribot Libri VIII de gestis particularibus ordinis Carmelit. c, 5 und 6. — |, Fr. I^' o p p e n s , Bibl. Belgica p. 1094. — Hartz heim, Bibl. Colon, p. 296. — Trithemius, De scriptoribus ecclesiast. c. 557. — C i a c o n i u s , Vitae Pontificum 11 701. — B a 1 e , Index Britanniae Scriptorum ed. P o o 1 e et B a t e s o n (1902) p. 502. — F. S c h u 1 t e , Ciesch. der Ouellen u. Litt, des kanon. Rechts II 405. 2) Veröffentlicht von Denifle im Archiv f. Litt. u. K.-G. des M.-A. ^' 870 ff. 8^ \'gl. Z i ni m e r m a n n 1. c. p. 190. 4 I. DREI KURIALISTISCHE GUTACHTEN ETC. unter seinem Patronat stehende Schlosskirche in der Hauptstadt seines Landes den Karmeliten. 1308 schenkte er dazu Land zum Bau eines Klosters, dessen Prior angeblich Sybert wurde^). 1310 wurde er indessen nach Paris geschickt. 1312 kehrte er zurück, 1315 — 1317 wird er als Prior des Kölner Klosters genannt.^) Darauf ist er aber ein zweites Mal nach Paris gegangen, um 1316 zum Magister der Theologie promoviert zu werden. 1319 noch erscheint er als magister regens in Paris.'^) Das Ansehen, das er damals genoss, wird bezeugt durch ein Gutachten, das er mit einigen andern Pariser Professoren abzugeben hatte.^) Es han- delte sich um Streitigkeiten (Bezahlung von Schulden) zwischen dem Herzog von Brabant und der Stadt Brüssel, und es ist umso bezeichnender, dass man dazu Sybert heranzog, als er niemals fachmässiger Kanonist, sondern Theolog war. Aber er genoss wohl damals bereits den Ruf eines auch in praktischen Fragen wohlbewanderten Mannes. Sein weiterer Lebenslauf zeigt, dass er an den Händeln und Geschäften dieser Welt, an Politik und Verwaltung nicht nur seines Ordens, sondern auch der Staaten, Interesse hatte und darin auch Geschick zeigte. Im Orden rückte er rasch in leitende Stellungen auf, und bald treffen wir ihn auch in Verbindung mit der Kurie. 1317 schon wird er als Prior der gesamten deutschen Ordensprovinz genannt, die im Jahre 1318 in zwei Provinzen, eine ober- und eine niederdeutsche, geteilt wurde. Sybert blieb 1318—1321 Prior von Niederdeutsch- land , 1324 auf dem Generalkapitel zu Barcelona soll er aber- mals zum Ordensprovinzial für Niederdeutschland ernannt worden sein.^) So nennt er sich noch 1327 in der unten besprochenen Abhandlung.'') Damals hatte er in Köln als Mitglied, ja, wie 1) Die betreffenden Nachrichten bei Zimmermann 1. c. scheinen nicht zuverlässig ; falsch ist dort auch das Datum 1317 (statt 1327) seiner Ernennung zum Provinzial. Vgl. auch H. H. Koch, Die Karmelitenklöster der niederdeutschen Provinz (Freiburg i. B. 1889) p. 61. 2) K o c h 1. c. p. 32. 3) Vorher schon 1318 auf einem Generalkapitel in Bordeaux nach Bibl. Carmelit. II 741. 4) Chartul. univ. Paris. III 661 (1319, April 13). 5) H. K o c h 1. c. p. 25 und 28. Danach war S. Prior bis zu seinem Tode. 6) Der Generalkonvent zu Pfingsten 1327 sollte erst in Albi abgehalten werden, fand aber in Valenciennes statt, Z i m m e ]• m a n n 1. c. 229. — Als prior provincialis in Alemannia erscheint S. z. B. 1328, Febr. 17, Sauer- land, Urkunden und Regesten zur Geschichte der Rheinlande II nr. 1436. § 1. SYBERT VON BEEK. 5 es scheint, als Vorsitzender einer Untersuchungskommission in einem interessanten Prozesse mitgewirkt: es handelte sich um die Anklage, die der Erzbischof von Köln gegen den Mystiker Meister Eckhart erhoben hatte.') Mit der Kurie war er 1326 in Verbindung getreten. Damals erwirkte er die Ausdehnung des Privilegs Bonifaz' VIII. Super cathedram') auf seinen Orden. Und bald darauf sehen wir ihn auch in der grossen Politik, in dem Kampfe zwischen Kaiser und Papst, theoretisch und praktisch tätig.") Sybert hat offenbar das Seine dazu beige- tragen, um den Grafen Rainald II. von Geldern auf die päpstliche Seite herüberzuziehen. Er muss dauernd in Verbindung mit dem geldrischen Hofe geblieben sein. Im Jahre 1328 finden wir ihn wiederholt als politischen Unterhändler und Agenten des Grafen an der Kurie. Sybert hat das Unterwerfungsschreiben des Grafen dem Papste überreicht (16. Febr. 1328) und die Antwort des Papstes vom 22. März zurückgebracht, die ihn selbst mit der Absolution des Fürsten und seines Hofes vom Banne beauftragte.*) Leider erfahren wir nichts weiteres über seine politische Tätigkeit. Geschäfte des Ordens riefen ihn 1330 zum General- kapitel nach Valenciennes. Das nächste überlieferte Datum ist bereits sein Todestag: in Köln, am 29. Dezember 1332') ist er gestorben und in der dortigen Karmelitenkirche beigesetzt worden. Die üblichen Lobsprüche der Literarhistoriker des Ordens über exemplarischen Lebenswandel und grosse Gelehrsamkeit haben wenig zu sagen. Deutlicher sprechen die Angaben über Syberts literarische Tätigkeit. Ausser den üblichen Schul- schriften über die Sentenzen wird da genannt: eine Summa 1) Tn der Urkunde vom 24. Jan. 1327 erscheint S. als erster Zeuge. Denifle im Arch. f. L.-K. II 629. 2) c. 2 Extruv. comm. (IIT, 6). 3) Die politische Haltung der deutschen Karmeliten war, wie die der übrigen Orden, zwiespältig : in Oberdeutschland hielt man i. A. zum Kaiser, in Xiederdcutschland zur Kurie, vgl. K. Müller, I. c. TI 91. ). v. Pflugk- Harttung, Anhang Ciegner und Hilfsmittel Ludwigs d. H., Zeitschrift für Kirchengesch., Bd. 21 (1901), 222. 4) Abh. der Bayr. Akad. B. 17, 1, p. 249 nr. 413, vgl. nr. 111. 4ri(). \atikan. Akten p. ;'.71 nr. 993. (1328, März 22.) — S a u e r I a n d , I. c. nr. 1436. f)) Nach Bibl. Carmelit. 1, c. 1333, doch vgl. Zimmermann 1. c. 190. 6 I. DREI KURIALISTISCHE GUTACHTEN ETC. censurariim novi iuris sive de casibus conscientie lib. 1*); ferner auch eine historische Arbeit: Fasciculus floriim diversarum historiarum über unus — wenn hier nicht etwa eine Verwechs- lung mit dem Utrechter Chronisten Johannes Beka vorliegt! Weiter Schriften, die Syberts rege Tätigkeit für seinep Orden bezeugen: ein Bullarium ordinis sive Privilegia CarnUlitanim; ferner Considerationes super regulam ordinis Carmelitarum''); sodann ein Liber de antiquis capitulis,') ein Katalog, den Sybert begann, andere bis 1389 fortsetzten, und der um so wertvoller ist, als die Akten der altern Kapitel verloren gegangen sind; endlich die bereits in dem Magisterverzeichnis von 1361 als virtuos gepriesene Bearbeitung des Ordinale Domini Sepulcrum^ die im Orden dauernd Geltung behielt.") b) Der Traktat über die Irrtümer des DefensorFacis. Uns interessiert dagegen ein anderes, kleines Werkchen, das keiner der älteren und neueren Ordenshistoriker nennt, das also bisher völlig unbekannt geblieben zu sein scheint, eine kleine Streitschrift, in der Sybert Partei nahm in dem grossen kirchenpolitischen Konflikt der Zeit. Wie er selbst sagt, ist er vom Papste aufgefordert worden, über die 6 Irrlehren, die man aus dem Defensor Pacis exzerpiert hatte, zu berichten, ein Gutachten abzugeben, ob sie als Häresie zu betrachten seien oder nicht. Die Abfassungszeit der Schrift ist dadurch annähernd be- stimmt: zwischen Sommer 1326 und Oktober 1327 muss sie entstanden sein. Die Vorbereitungen für die Bulle Licet inxta doctrinam könnten recht gut bis in den Sommer 1326, in die Zeit nach dem Auftreten des Marsilius in Deutschland, zurück- reichen. Damals schon soll sich ja Sybert an der Kurie befunden haben, und seitdem sahen wir ihn als politischen Agenten jahraus jahrein an der Kurie tätig. 1) Bei Schulte ]. c: De censuris novi iuris. 2) Hrsg. \'enetiis 1507 im Speculum ordinis fol. 82. 3) Jetzt gedruckt bei Z i in m e r m a n n' 1. c. p. 281 IT. 4) Ba 1 e erwähnt noch als Schriften Syberts : /ipislo/nc ad diversos l. A J)ic. rniversis Cfwisti fidel ihini., und Seniioiics per aniiuni l. 1. ^ 1. SYBERT VON BEEK. 7 Ich fand die kleine Schrift im cod. Vat. lat. 5709, membr. saec. 14 in. in 8", geschrieben in zwei Kolumnen, in einer sehr kleinen, schlecht lesbaren Minuskel mit vielen Abkürzungen. Die Hs. enthält fol. 2—106,1 das alphabetische Compendium über das kanonische Recht von Nicolaus de Anesiaco, 0. P. ;') fol. 106,2—109 Ludwigs Gesetz Fidem catholicam mit dem Datum Frankfurt, die VIII. mensis Aiigiisti'), hie»-auf den Traktat des Sybert. Das Schriftstück beginnt ohne weitere Ueberschrift mit der Aufzählung der 6 Lehrsätze, die in der Bulle Licet iiixta doctrinam dann als häretisch verdammt wurden. Sybert erklärt vom Papste aufgefordert zu sein, sein Gutachten darüber abzu- geben, ob diese Sätze als häretisch anzusehen, also mit Fug und Recht zu verdammen seien. Er hat seine Aufgabe gewissen- haft erfüllt und eine genaue Untersuchung der vorgelegten Probleme angestellt. Er gefällt sich in sehr vorsichtigen und subtilen Distink- tionen. Gleich zu Anfang, bei der Frage, ob die temporalia ecclesie dem Kaiser unterstehen, präzisiert er genau die Begriffe temporalia ecclesie und siibesse. Er unterscheidet zunächst vier Arten, vier gradus der Kirchen- göcer. Es sind die gewöhnlichen, im ius canonicum genannten:'') 1. die Kirchengebäude mit dem Boden, auf dem sie stehen, und den Coemiterien, 2. die Zehnten, Primizien und Oblationen, 3. die frei übertragenen, und 4. die mit Lasten und Bedingungen übertragenen Güter. Von der ersten Klasse versteht es sich von selbst, dass der Kaiser mit ihnen nichts zu schaffen hat; diese kirchlichen Güter sind geweiht, allem profanen Gebrauch entzogen. Ebenso aber sind auch die Zehnten, Oblationen etc. nicht der Verfügung des Kaisers zugänglich. Sie gehören den Geist- ig \'gl. O u c' t i f- K c h a r d ; S.S. ord. Prcdicat. I r)49. — Chartul. univ. Paris. 11 246 f. — Schulte, 1. c. [I 231 nr. 72 kennt die \'at. Ils. nicht, er zitiert die Schrift als Tabula decretaliuni (iregorii IX et Libri Sexti ; der Schluss lautet im X'atic. 5709 anders. — \V1. auch H. \' i n k e, Papsttum u. Templerorden II 310. 2) \'gl. über diese Datierung K. .M (i I U r I.e. II 2*)2. Die verschicLlene D.itierung reicht also bis ins 14. Jalirh. zurück ; trotzdem wird an dem Datum des (). Aug. festzuhalten sein. 3i \'gl. E. Friedb^^rg, l.elirbuch des Kirclunrechts, ö. .Autl. i Leipzig l<)03i ^ 17f) Ü\ P. Ilinschius, Kirehenrecht IV ^ JHf), 213 IT. 8 I. DREI KURIALISTISCHE GUTACHTEN ETC. liehen nicht kraft kaiserlichen, sondern kraft göttlichen, geist- lichen Rechts. Den eigentlichen Grund, warum Zehnten und ähnliches den Geistlichen gebühren, will der Vfr. nicht näher erörtern: er ist schwierig zu erkennen. Doch, meint er, sei davon ja in dem Artikel nicht eigentlich die Rede. Genauer beschäftigt er sich mit den ohne alle Lasten oder Bedingungen der Kirche übertragenen Temporalien, wie z. B. das Patrimonium Petri und die dos, das Stammgut aller Kirchen, das bei der Stiftung als Ausstattung gegeben wurde. Der Kaiser hat an diesem Gute, das einfach geschenkt wurde, kein Anrecht, auch wenn es aus seiner eigenen Schenkung herrührt: es ist unveräusserliche Aussteuer der Kirche. Die Stifter mögen früher ein solches Verfügungsrecht an den von ihnen gestifteten und ausgestatteten Kirchen geübt haben: aber das geschah nicht, weil die Kirchen ihnen verpflichtet waren, sondern weil sie freiwillig ihren Patronen solche Rechte ge- statteten, um andere zu ähnlichen Schenkungen zu veranlassen. Widerrufen aber kann die Schenkung einer dos auch vom Stifter niemals werden. Ebensowenig hat der Kaiser ein Recht an den anderen Benefizien und Stiftungen, die ohne homagium oder census übertragen werden: es ist Sakrileg, wenn Fürsten, die diese Güter schützen sollen, sie zu anderen Zwecken verwenden. Auch ,,ingraiiiudo'' des Kirchenvorstehers berechtigt den Stifter nicht, seine Schenkung zu widerrufen. Von Stiftern braucht man jetzt freilich gar nicht zu reden, so ruft der Autor hier aus, denn die Fürsten suchen die Kirchen lieber zu plündern, anstatt ihnen etwas zu schenken! Wenn ein Prälat einer solchen Kirche aber dem Stifter offenen Undank erwiese, so könnte dieser höchstens auf die Lebenszeit des betreffenden Prälaten seine Schenkung widerrufen, niemals aber für immer. Er könnte jene Güter vielleicht einer andern Kirche überweisen; aber das mögen die Juristen entscheiden. Fast scheint es, als ob Sybert hier einen bestimmten Fall, vielleicht in Geldern, vor Augen hätte. Man sieht, wie er keineswegs ganz einseitig das klerikale Interesse vertritt: er war zu sehr selbst mit den Interessen des geldrischen Hofes verbunden. Die vierte Klasse der Temporalien endlich behält auch als § 1. SYBERT VON BEEK. 9 Kirchengut alle Lasten und Bedingungen, denn die Kirche darf sich nicht durch fremden Schaden bereichern. Wenn die Kirche aber in derselben Weise, wie ein weltlicher Besitzer, ihren Tribut zahlt, ihr servitiiim leistet, so kann der Kaiser ihr auch diese Güter nicht nehmen ohne Sakrileg zu begehen, wenn auch nicht ein so schweres Sakrileg, wie in den drei andern Fällen. Bei Pflichtversäumnis der Kircheaber können allerdingsderartige Güter eingezogen werden, wenn auch noch ein grosser Unterschied dabei ist, ob es sich um einfache Zinsgüter oder Pachtgüter (emphyteotica) oder Lehnsgüter handelt, und die Landesrechte darüber verschieden urteilen. Das ist, wie Sybert betont, nur seine persönliche Meinung. Sind die Bedingungen und Lasten nicht genau in der Schenkungsurkunde genannt, so müsste doch in den Fällen, in denen ein Laie solche Güter verlieren würde, auch die Kirche sie verlieren. Also an und für sich besteht nach Sybert keineswegs für die Kirche eine allgemeine Freiheit von Zinsen und Grundlasten. Dasselbe gilt aber auch für ihr Barvermögen, für das Geld. Von neuen, ungewohnten Auflagen sind die Kirchen frei. Aber in casu iuris begeht der Kaiser kein Sakrileg, wenn er über diese Güter verfügt. Wer freilich lehrt, dass der Kaiser überhaupt kein Sakrileg begehen könne, der ist als Ketzer zu bezeichnen; wenn auch das kanonische Recht das Vergehen des Raubes an Vater und Mutter (das ist in diesem Falle Gott und die Kirche) dem Homicidium gleichstellt, so findet der Vfr., dass ein solcher Irrlehrer doch mit mehr Recht als Ketzer zu bestrafen sei. Er bekämpft nun die einzelnen Beweisstellen des Artikels. Der zweite Artikel beschäftigt sich mit der Frage, ob der Kaiser den Papst bestrafen, zurechtweisen, ein- und absetzen könne? Sämtliche Punkte werden verneint. Zurechtweisen kann der Kaiser als Laie und Sohn der Kirche den Papst in keinem Falle. Nur in zwei Fällen darf er gewissermassen über den Papst richten: einmal, wenn der Papst freiwillig sich dem kaiserlichen Urteil unterstellt; und zweitens, wenn er ein offen- barer Ketzer ist. Im letzteren Falle darf sich der Kaiser aber erst einmischen, wenn er von der Kirche oder den Kardinälen dazu aufgefordert wird. Vielleicht sind ausser Häresie auch alle anderen notorischen Verbrechen des Papstes mit einzu- beziehen. 10 I. DREI KURIALISTISCHE GUTACHTEN ETC. Mit der Wahl des Papstes dagegen hat der Kaiser nichts zu schaffen! Das ist eine rein geistliche Angelegenheit; die Fälle, in denen Kaiser die Papstwahl leiteten, bedeuten entweder Missbrauch oder freiwilligen Verzicht der Kirche auf ihr Recht, beides ohne dauernde Wirkung. Betreffs der Absetzung gilt das über die Bestrafung des Papstes Gesagte. Die Behauptungen des dritten Artikels, dass Christus keinen Vikar, kein Haupt der Kirche einsetzte, erklärt Sybert ebenfalls für falsch und den Glauben umstürzend. Er beweist die Ein- setzung des Primats Petri aus den bekannten Bibelstellen; die Einsetzung der Hierarchie durch Petrus aus dem Ps. -Clemens') und endlich aus der historischen Tatsache, dass alle römischen Bischöfe, darunter viele Heilige, sich als Nachfolger Petri und Vikare Christi betrachteten, und auch die grössten Kaiser diese Wahrheit anerkannten. Es ist unmöglich, dass alle diese Hei- ligen und frommen Männer irrten; wer das Gegenteil behauptet, ist ein Ketzer und Schismatiker. Ebenso falsch ist der vierte Artikel: dass Papst, Bischöfe und einfache Priester alle gleicher Autorität seien, und wenn einer mehr als der andere besitze, dies auf kaiserlicher Ver- leihung beruhe. Die Unterschiede zwischen bischöflichem und einfachem Pfarramt beruhen auf Christi Ordnung. Wahnsinn und absurd ist die Behauptung, die Kaiser hätten dem Papste seine höhere Gewalt gegeben und könnten sie widerrufen! Sybert betont, dass die päpstliche Gewalt unmittelbar von Christus und nicht etwa von den Aposteln stamme: also das strengste monarchische Regierungsprinzip in der Kirche wird von ihm anerkannt.') Ueber die Strafgewalt der Kirche, die im fünften Artikel kritisiert wird, sagt der Verfasser, dass die Kirche einmal die rein geistliche Zwangsgewalt der Exkommunikation besitzt, die sie ganz selbständig verhängt, über Kleriker und Laien ohne Unterschied; ferner aber auch die kanonische Strafe der Geisse- 1) Vgl. c. 2. q. 8. C. 1. 2) Ueber diese eben damals viel er(")rterten Streittragen vgl. z. B. Petrus de Palude, De causa immediata ecclesiasticae potestatis (gedruckt Paris. 1506), und R. Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipps d. Seh. p. 486 ff., 3<'2 f- 184 ff.; Zs. für Politik T, 82. — J- Langen, Das vatikanische Dogma, 2. Aufl., Teil 3. ^ 1. SYBERT VON BEEK. 11 lung und Einkerkerung, die sie an allen kirchlichen Personen voll- ziehen kann. Der Kaiser hat über Kleriker keine oder nur eine sehr geringe richterliche Gewalt. Die genannten Strafen kann die Kirche auch ohne Hilfe des weltlichen Arms vollstrecken, nur die Todesstrafe nicht. Auch die rein weltliche Strafgewalt übt die Kirche, aber nur in den Gebieten, wo sie weltliche Jurisdiktion besitzt, und sie übt sie nur durch ihre weltlichen Beamten aus. Was aber die Frage anlangt, ob die Kirche die weltliche Gerichtsbarkeit in fremden, kaiserlichen oder anderen Ländern beanspruchen dürfe, ausser den besonderen Fällen der Vakanz und des defectus iiisticie, so drückt sich Sybert darüber sehr zurückhaltend aus, ja. er mahnt zu grosser Vorsicht, wie man ja bisher verfahren sei. Ausser den besonderen Fällen soll man Eingriffe vermeiden: 1. wegen der Kränkung der weltlichen Fürsten, die ohnehin der Kirche nicht sehr gnädig sind, 2. weif aus Christi Beispiel in seinem irdischen Leben sich ergibt, dass die Kirche sich mit dem Kirchengut und den Stiftungen begnügen kann! Herrsch und Habsucht verbot Christus seinen Jüngern streng. Der Vfr. lässt den Papst dasselbe Gleichnis Lc. XII. 13. 14. über die Erbteilung, die Christus ausschlug, hören, das die Gegner immer im Munde führen! Der versteckte Tadel der Politik Johanns XXII. ist hier deutlich genug. Der sechste Artikel über das Recht der Absolution ist schon im dritten und vierten Artikel beantwortet; er ist eben so irrig und revolutionär, wie die anderen. Man wird diesem Vertreter des kurialistischen Stand- punktes nicht absprechen können, dass er trotz aller Anerken- nung der päpstlichen Machtvollkommenheit bemüht war, Ueber- spannungen des absolutistischen Regiments im Sinne der po- testas directa in temporalibus, wie sie andere kurialistische Theoretiker damals ja befürworteten , entgegenzutreten und auf die Gefahren hinzuweisen. Es ist der praktisch-politische Gesichtspunkt, den er in der Erfahrung der politischen Ge- schäfte gewonnen hatte, der Sybert vor vielen seiner allzu ab- strakt denkenden Parteigenossen auszeichnet. Er übt Kritik^ er wagt es, persönliche Meinungen zu vertreten und aus poli- tischen Gründen zu rechtfertigen, auch wenn sie die päpstliche Willkür beschränken. Zwei Probleme haben ihn am meisten beschäftij^t: das 12 I. DREI KURIALISTISCHE GUTACHTEN ETC- kirchliche Vermögensrecht und die geistliche Strafgewalt d. h. eben die beiden Gebiete, auf denen damals Kirche und Staat überall in Konflikt gerieten. Hier ist er wirklich, wenn nicht originell, so doch subjektiv und weicht von der sonstigen Schablone ab. Er erkennt die staatlichen Rechte, wenn auch in bescheidenem Umfange, doch an, er verficht vor allem den Gedanken der rechtlichen Verpflichtung des Klerus gegenüber dem Staate und gegenüber den Patronatsherren, auch den der finanziellen Leistungen — Zugeständnisse, die die Radikalen der Partei nicht machten. Was er freilich zugesteht ist immer noch ein Minimum. Wir werden später sehen, wie von der Gegenpartei damals die staatlichen Pflichten des Klerus aufgefasst wurden. Am wenigsten Eigenes bringt Sybert in der Behandlung der grossen Prinzipienfragen nach dem Primate Petri und der Stellung der Glieder der Hierarchie zum Papste. Hier geht er ganz im Geleise der kurialistischen Tradition. Dass er von einem Episkopalsystem nichts wissen will, entspricht überdies ja der Haltung der Mönchsorden , zumal der Mendikanten, in dieser Frage, in der ihre Interessen mit denen des Papstes Hand in Hand gegen den Weltklerus gingen. Seine Befürwortung des kirchlichen strengen Strafrechts ist auch ein Hinweis darauf, dass er, der Vorsteher einer grossen Ordensprovinz, ebenso sehr daran dachte, den Gehorsam und die Disziplin innerhalb der Hierarchie zu erhalten, als die Ein- griffe des Staats abzuwehren. Ja, er hatte allen Grund die Rechte des Staats anzuerkennen, dessen Hilfe er brauchte, und es war offenbar ernst gemeint, wenn er auf die Gefahren hin- wies, die eine allzu rigorose und habsüchtige Politik, wie die Johanns XXH. für die Kirche hatte. So finden wir den deutschen Karmeliten auf einer gemässig- ten Linie des Kurialismus: er stand da nicht allein. Man braucht nur an Alvarus Pelagius zu erinnern, um zu sehen, dass auch andere überzeugte Vorkämpfer des absolutistischen Papsttumes nicht blind waren für die Gefahren des Systems und für die Schäden, die es bereits gestiftet hatte. Erst im Vergleich mit anderen Schriften, die dieselben Fragen behandelten, tritt die relative Mässigung Syberts stärker hervor. § 2. GIULIELMUS CREMONENSIS. 13 § 2. Guilielmus de Amidanis Cremonensis. Dem deutschen Karmelitenprior tritt der italienische Augu- stinergeneral, der Nachfolger eines Aegidius Romanus, als eifriger, aber nicht blinder Verteidiger und Ratgeber des Papstes zur Seite. Auch er hat unter denselben Umständen wie Sybert sein Gutachten über die sechs Artikel abgegeben. a) Leben und Schriften. Die Biographie dieses in der kirchlichen Hierarchie zu hohem Range emporgestiegenen Mannes leidet darunter, dass die alten Biographen ihn und einen späteren Landsmann und Namens- vetter (Guilielmus de Centuaria, der im Schisma ebenfalls als poli- tischer Autor auftrat) teilweise verwechselten, so dass manche Daten aus dem Leben des einen in das des anderen übertragen zu sein scheinen. Immerhin lässt sich über den Verfasser unseres Traktates das Folgende feststellen.') Er stammte wahr- scheinlich aus der Cremoneser Familie der Amidani.''') Aus seinem Bildungsgange wissen wir nichts. Er mag ein Schüler seines grossen Vorgängers im Orden und anerkannten Ordens- lehrers, des Aegidius von Rom gewesen sein. Denn er trat nicht nur politisch in seine Fusstapfen, sondern er wurde am 28. Februar 1326 auch der zweite Nachfolger desselben Im Generalat des Augustinerordens. Interessant ist die Notiz, dass er Beicht- vater des von der Kirche verfolgten Mailänders Galeazzo Vis- conti gewesen sei. Wir begegnen ihm dann in Paris, beschäf- tigt, Studienbetrieb und Bibliothek der Pariser Augustiner zu ordnen. Wiederholt kam er dabei auch mit der Kurie in Be- rührung; einmal hatte er in päpstlichem Auftrage einen Streit zu entscheiden, an dem ein noch zu nennender Ordensgenosse, derWestfale Hermann von Schildesche, beteiligt war, der dabei in einem etwas zweifelhaften Lichte erscheint.') Aus den 1) Vgl. Os Singer, Bibliotheca Augustin. f. 31—42. Sbaralea, Sup- pleraentum ad scriptores trium ord. S. Franc. Edit. nov. (Romae 1908) Pars I, p. 318b — 319a. Arisius, Cremona litteraria 1, 163; 3, 350. — J. Lanteri, Füremi S. Augustinianae, pars I (Rom 1874; p. 123. — N. C r u s e n i u s , Monasticon Augustinianum (Monachis 1623), c. 13, p. 143. T o r e 11 i , Secoli Agost. (1659—82), t. V. anno 1306. 1326. 1327. 1329. 1331. 1332. 1335—1338. 1341. 1342. 1344. 2) Oder der Tocchi ? cf. A r i s i u s 1. c. 3) Chartul. univ. Paris. II nr. 877 (1329, März 20.) - ib. nr. 849 p. 289 ; nr. 874 p. 309 f. nr. 892, nr. 990, nr. 1015, nr. 1182. 14 1. DREI KURIALISTISCHE GUTACHTEN ETC. nächsten Jahren wissen wir nur seine Beteiligung an den Generaikapiteln seines Ordens in Frankreich und Italien zu nennen.') In dieser Zeit entfaltete er anscheinend eine sehr lebhafte Tätigkeit für seinen Orden. Namentlich die Nieder- lassung in Pavia, an der Stätte des Grabes des heil. Augustinus, verdankte ihm ihren Ursprung; 20. Jan. 1327 bestätigte Johann XXII. das neue Kloster.') Es war nicht ohne Kämpfe ab- gegangen. Denn an dem Orte bei S. Pietro in celo aureo sassen bereits Augustiner-Chorherren, die sich in die angeordnete Re- form und das Zusammenleben mit den Eremiten nicht fügen wollten. Doch die Mönche waren die stärkeren, zumal nicht nur der Papst, sondern auch der König Johann von Böhmen, der damals auf seiner abenteuerlichen Fahrt nach Italien in Pavia war, ihnen zu Hilfe kam (1330). Karl IV. hat in seiner Autobiographie den Vorfall nicht zu erwähnen vergessen.') Mit dieser Klostergründung an dem hochverehrten Orte des grossen Ordenslehrers hatte Guilielmus sich ein dauerndes Verdienst erworben. Der Konvent in Pavia blieb fortan seine Lieblings- stätte. Er führte Neubauten auf hier und auch in Novara, zu dessen Bischof er am 16. Juli 1343 von Clemens VI. ernannt wurde. Ein prächtiger Bischofspalast gab hier lange Zeugnis von dem Kunstsinn des gelehrten Augustinergenerals. Am 29. Januar 1356 ist Amidani gestorben und in seiner Schöpfung, dem Kloster zu Pavia, beigesetzt worden. Von seiner literarischen Tätigkeit gibt das Schriftenver- zeichnis, das Ossinger aufführt, eine Vorstellung. Ernennt: einen Liber de auctoritate apostolica, der vielleicht mit unserem Traktate identisch ist; sonst aber nur Theologisches:*) Expo- sitionum super IV evangelios libri IV; Libri IV super IV libros sententiarum; Sermones und Conciones „elegantes'' — die begin- nende Renaissance kündigt sich hier wohl ebenso an, wie sie in der Baulust des Bischofs zu verspüren ist. Weiter werden Dekrete und Statuten für den Klerus von Novara, ein Liber de 1) Cf. Chart, univ. Paris. 1. c. und Ossinger p. 31 ff, 2) M a i o c c h i , Cod. dipl. Ord. Eremit. S. Augustini Papiae, vol. I. (Pa- piae 1905) p. XXVII ff., p. 13—19 die Bulle Johanns XXII. 3) B ö h m e r Fontes I, 237. 4) Cod. Vat. 3740 f. 161 enthält einen Tractatits de Christi et apostc- Jonttn paupertate des Episcopiis civitatis Xovariensis. ^ '2. ÜUILIELMUS CREMONENSIS. 15 bonis ecclesiariim dioc. Novariensis und Statuten für die Kom- mune (Jandia erwähnt, Zeugnisse seiner bischöflichen Verwal- tungstätigkeit. Was wir über seine Persönlichkeit sonst sagen können, •das müssen wir aus dem folgenden politischen Traktate er- schliessen. b) Das Gutachten über die sechs Artikel. Der Traktat, der sich genau wie der Syberts, als ein vom Papste eingefordertes Gutachten über die sechs Artikel gibt, ist in mehreren römischen und ausserrömischen Hss. überliefert. ich benutzte die Codd. Vaticani lat. 6211 und 6270 und den Cod. lat. der Bibiioteca Angelica in Rom, fondo antico n. 1028. Dieser letzte ist der allein brauchbare, denn beide Vatikanische Hss. sind späte Abschriften des 17, Jhs.: lat. 6211 chart. s. 17., enthält in seinem zweiten Teile unter anderen Stücken Cremo- neser Ursprungs fol. 200 — 202 überhaupt nur ein kleines Frag- ment unter dem Titel: Reprobatio errorum ex precepto domini papae per fratrem Guilielmum de Cremona, sacre theologie pro- fessorem fratrum heremitamm ordinis S. Augustini. Der Text schliesst schon fol. 202, noch vor dem Beginne des eigentlichen Traktats'), fol. 202 v wird auf das Exemplar des Messer Achilles Statins verwiesen^) und fol. 203 scheint noch einmal ein Anfang zu einer Kopie gemacht zu sein, die aber nicht über die Ueber- schrift hinaus kam. Eine vollständige Abschrift enthält Vat. lat. 6270, Chart, saec. 17, unter derselben Ueberschrift.^) Dagegen bietet der aus der Ordensbibliothek stammende Codex Angelic. lat. 1028 einen noch dem 14. Jahrhundert an- gehörenden Text. Der Codex, membr., 4", besteht aus zwei nur äusserlich zusammengebundenen Teilen : f. 1 — 48 enthält : Isidorus sententiarum über; dann folgt mit neuer Zählung f. I — 29 die Reprobatio errorum von G. de Cremona. 1) Bis zu den Worten: Ultinto so/venfiiy ohicctiotics posffc iti qiiarto nicmbro qncs/iofiis. 2) f. 202 V : Per il lihro di Fr. (iu^liclmo de Cremona che ha M. Achille Stativ. 3, l^in^ebunden ist in den Cod. ein kleines Heft, membr. 8 Hll. sae<". H), in bl.iiiem i'apierumschlag, Titel : Sanrtissiino et c/eniet/tissinio patri dun. uro. ilenietiti l'Il'^ F. M., fol. 1 : Syuibolitni contra Lntternfios et haeretiros onnies sn»ipftini ex sacra scriptum, h/c. (oftfiteantur tibi. 16 1. DREI KURIALISTISCHE GUTACHTEN ETC. Der Text der Artikel, die ihm der Papst zur Begutachtung übersandt hatte, stimmt, bis auf unwesentliche Aenderungen, wörtlich mit dem oben genannten überein. Aber die Behand- lung, die ihnen der gelehrte Augustiner zu teil werden lässt, weicht doch in charakteristischer Weise von der des deutschen Karmeliten ab. Die ganze Schrift ist viel gelehrter und um- ständlicher, als die vorige. Schon bei der Betrachtung des ersten Artikels merkt man, dass man es mit einem scholastischen Magister, nicht mit einem in der Praxis stehenden, politischen Agenten zu tun hat. Weit- schweifig, wie sein Vorbild Aegidius von Rom, häuft der Vfr. die feinen Distinktionen und Exkurse, um den Dingen jeden möglichen Gesichtspunkt abzugewinnen , um alle denkbaren Einwände und Angriffe abzuwehren. Die Frage nach der Stellung des Kaisers zum Kirchengut (Artikel I) teilt er in nicht weniger als acht Unterfragen. Er konstatiert zunächst, dass „Kirche" hier nicht im Sinne des Kirchenbegriffes des Hugo von St. Viktor, also des spiritualen, zu verstehen sei, sondern a potiori, von der Gesamtheit des Klerus. Darauf schickt er sich zu einer gründlichen Beweis- führung des Satzes an, dass alle Temporalien der Kirche unter- stehen (subsunt) ; neun Leitsätze dienen dabei als Rahmen. Es kann nicht anders sein, als dass der Augustinergeneral bei diesem Thema die epochemachenden Ausführungen seines Amtsvorgängers und Lehrers Aegidius zugrunde legt: die Ar- gumentation stimmt wörtlich überein mit den betreffenden Par- tien der grossen Streitschrift des Aegidius De ecclesiastica potes- tate.^) Freilich brauchte Guglielmo nicht einmal selbst zu dieser zu greifen; sein direkter Amtsvorgänger Alexander a St. Elpidio hat gleichzeitig in seiner Schrift für Johann XXII. ebenso den Traktat des Aegidius verarbeitet, wie Guilielmus de Cremona.*) Die radikalen Meinungen des Aegidius über das Eigentumsrecht 1) Ueber diese Schrift vgl. vorläufig R. S c ho 1 z , Publizistik z. Z. Philipps d. Seh. und Bonifaz' VJII. (1903) p. 46 ff. Eine Ausgabe soll demnächst folgen. Der im J. 1908 erschienene Abdruck einer Florentiner Hs. (Un trattato in- edito de eccl. pot. di Egidio Colonna, ed. Oxilia e Boffito) ist leider völlig unbrauchbar. 2) Die Schrift des Alex, a St. Elpidio ist gedruckt bei Roccaberti, Bibl. pontificia II. § 2- QUILIELMUS CREMONENSIS. 17 der Laien und das Recht der Kirche, bezw. des Papstes an allen Temporalien waren also vom Augustinerorden rezipiert, wurden von den Generalministern selbst weiter verbreitet. Es ist das die Lehre, dass ein wahres Eigentum nur die Kirche vermitteln könne: dass erst durch die Kirche und von der Kirche, vermittelst der Taufe und der Absolution, die Laien rechts- und eigentumsfähig werden ; Ungläubige und Sünder kein wahres Eigentumsrecht haben — wenigstens nach ius divinum, mögen die menschlichen Rechte auch anderes sagen. Aber das menschliche Recht soll ja nur gelten, wenn es dem ius divinum nicht widerspricht ! Also absolute Unterwerfung auch der Laien unter die Kirche in allen Fragen des Eigentums, der Temporalien. Es ist keine Frage, dass, wenn einerseits die Augustinische Ethik (der Begriff der iustitiä) den Untergrund bildet, so die histo- rischen Ereignisse der Zeit d. h. insbesondere der Armutsstreit, die Veräusserlichung dieser ethischen, theologischen Vorstel- lungen zu einem juristischen System des kirchlichen Besitz- rechts wesentlich bestimmten. Gab es für die Bettelorden kein wirkliches Eigentum, konnte aber der Papst an Stelle der Orden das Eigentum an allem Kirchengut übernehmen, so war nur noch ein Schritt bis zu der Ausdehnung dieser Argumentation auf die Laien, bis zu dem Nachweis, dass auch das Eigentum der Laien auf Sünde beruhe und erst durch die Kirche gerecht- fertigt werden müsse; dass allein dem Papste das direkte Ober- eigentum an allen Temporalien zukomme. Er hat die potestas ordinaria (das ist der bemerkenswerte Ausdruck, fol. 3) ad re- gendum ipsa temporalia. Die Vermengung moraltheologischer und juristischer Begriffe erreicht hierbei den Höhepunkt. Jede Grenze zwischen spirituale und temporale wird verflüchtigt. Ist also die Kirche die eigentliche, oberste Eigentümerin aller Temporalien, so besitzen die Laien doch auch ein, freilich beschränktes Eigentumsrecht unter dem Obereigentum der Kirche. Die Kirche aber l^esitzt im speziellen einerseits kraft göttlichen Rechts die Zehnten, Oblationen etc; andererseits die Güter, die durch Kauf oder Schenkung, also durch positive, menschliche Rechtssatzungen, in verschiedener Form an die Kirche kamen, unter denen aber kein Unterschied hinsichtlich des Besitz- rechtes ist. Scholz, Analysen und Texte. ^ 18 I. DREI KURIALISTISCHE GUTACHTEN ETC. Zunächst folgt unser Autor weiter der Führung des Aegidius und weist mit Hilfe der Argumente desselben') nach, was es mit dem Eigentum der Laien auf sich habe, dass es, was man- chen so merkwürdig scheine, in jedem Falle von der Kirche abhänge, ja, wie sogar das Leben und die persönliche Freiheit der Laien unter diese Abhängigkeit falle: es ist wörtlich die Lehre des Aegidius von der servitus der Laien gegenüber dem Papste, die famose Doktrin von den temporalia spiritualibüs annexa und dem Rechte der Einmischung des Papstes in Weltliches in den vier Spezialfällen: \. propter crimina contra pacem etc., 2. prop- ter defectum oder vacantiam imperii, oder propter bonum commune^ 3. bei Appellation, 4. si aliquid difficile et ambiguum sit.^) Andere Reservatfälle gäbe es sicher; einen glaubt er nennen zu können: pro defensione fidei. Gegen Feinde des Glaubens und der Kirche kann der Papst zum Krieg auffordern und zu diesem Zwecke eine allgemeine Steuer Klerikern und Laien auf- erlegen: eben was Johann XXII. tat. Diesen Punkt hatte Aegidius nicht besonders genannt, er Hess sich ohnehin unter die anderen subsumieren. Ganz wie sein Meister fährt unser Autor weiter fort in dem Beweise, dass die Kirche ausser dem unmittelbaren dominium in den vier Fällen, auch noch stets das mittelbare, indirekte dominium über die Temporalien habe. Er kommt dabei näher auf die durch Kauf oder Schenkung erworbenen Kirchengüter zu sprechen. Erwerben kann die Kirche eigentlich nur noch den ususfructus, da ihr das allgemeine Obereigentum durch göttliches Recht schon zukommt. Der Kaiser aber ist erstens einmal der allgemeine Schutzherr aller Temporalien und Personen, Geistlicher und Laien: insofern sind ihm also alle Temporalien unterstellt. Zweitens besitzt er die Jurisdiktion über die Temporalien der Laien. Vom Kirchen- gut sind in jedem Falle frei von der kaiserlichen Jurisdiktion Zehnten und Oblationen. Die anderen gekauften oder ge- schenkten Kirchengüter sollten nach dem Vfr. frei sein: denn es widerspricht der Würde des geistlichen Standes vor dem 1) Besonders nach Aegidius II, c. 7 bis 10. 2) Vgl. dazu Aegidius III, c. 5—8. Die casus partictilares et ino- pinati^ die Aegidius noch erwähnt, nennt G. nicht. § 2. GUILIELMUS CREMONENSIS. 19 weltlichen Forum zu erscheinen in Prozessen um Weltliches; es sollte also von rechtswegen nur das geistliche Gericht zu- ständig sein. Ja, meint Guilielmus weiter, nach seiner, freilich von andern bestrittenen Ansicht wäre es vernünftig, wenn alle Güter in die volle Jurisdiktionsgewalt der Kirche[übergingen. Die Güter sollten völlig „amortisiert'* werden: nur darf (das ist die beachtenswerte Einschränkung) das Reich darunter nicht leiden. Es ist zu unterscheiden zwischen Reichsgut und Gütern von Privatpersonen. Für die Reichsgüter soll die Kirche dem Reiche den schuldigen Zins zahlen, damit der Friede erhalten bleibt: die Reichsgüter sollen nicht völlig „amortisiert" werden; wohl aber Güter aus Privatbesitz. Freilich widerspricht dem die Auffassung, die manche von der Macht des Kaisers und seiner Stellung gegenüber dem Eigentum haben. Guilielmus bekämpft eingehend die absolu- tistische Theorie der Legisten, die dem Kaiser ein universales Eigentumsrecht an allen Gütern seiner Untertanen zuschreiben. Der Kaiser hat seine Gewalt durch Wahl des Volkes, das schwerlich dabei alle seine Rechte und sein Privateigentum aufgab. Wäre es anders, hätte ja jeder König das Recht seine Untergebenen zu berauben, zwischen Sklaven und Freien wäre kein Unterschied. Aber die im Naturzustande gemeinsamen Güter sind ja durch das menschliche Recht geteilt, d. h. zu Privateigentum geworden : folglich können sie nicht^noch weiter- hin im Eigentum des Kaisers sein. Die Einkünfte, die er er- hält, beruhen nicht darauf: das sind teils die^ Strafgelder aus dem Gerichtswesen, teils bestimmte Abgaben, die die Unter- tanen ihm überweisen. Nicht als Eigentümer der Güter bezieht der Kaiser diese Abgaben, sondern weil er der Schutzherr ist: wie der Bauer, der den Acker seines Herrn bebaut, so der König, der die Menschen und ihr Eigentum hegt und ver- teidigt. Kirchengut vollends kann der Kaiser nicht zur Nutzniessung haben. Nur insofern, als er es schützen muss, kann man sagen, er dürfe es als „sein" betrachten. Jede andere Bedeutung ist häretisch — ausser vielleicht //z casu ultime necessitatis f Doch darauf geht der Vfr. nicht ein. Viel weniger ausführlich ist die Widerlegung des zweiten Artikels ; denn der ist ganz unvernünftig. Dass ein Richteramt 20 I. DREI KURIALISTISCHE GUTACHTEN ETC. des Kaisers über den Papst undenkbar ist, ergibt sich aus der Üeberordnung der geistlichen Gewalt, als der würdigeren, über die weltliche ; die untergeordnete hat nicht zu richten, noch zu strafen oder zurechtzuweisen usw. Den zehn Argumenten werden zehn Gegenargumente gegenüber gestellt und widerlegt. Sie betreffen den Nachweis, dass auch eine gewählte Macht (z. B. ein Fodestä) Strafgewalt über die Wähler hat: so also der Kaiser, wenn er wirklich seine Würde der Wahl des Papstes verdankte. Aber er werde ja von den deutschen Kurfürsten gewählt und seine Macht sei von Gott. Darauf erwidert der Autor: ein vom Volk gewählter Regent könne nie das Volk als Ganzes strafen, denn er sei nicht über dem Volke, d. h. über dem gemeinen Wohle, sondern nur über den einzelnen. Der Papst aber, der weder vom Kaiser, noch von der ganzen Gemeinschaft der Gläubigen gewählt wird, sondern von Gott allein, kann deshalb auch weder vom Kaiser, noch von der ganzen Menge der Gläubigen gestraft werden. Was das Kaisertum betrifft, so ist es ebenso, wie das Papsttum, als Institution direkt von Gott; der einzelne Kaiser aber wird nach dem Willen des Papstes gewählt, der den deutschen Kurfürsten sein Recht, selbst zu wählen, übertragen hat. Die Glosse (ordinaria des Joh. Teutonicus zu 93. dist. c. legimus), die das Konfirmationsrecht des Papstes zwar aner- kennt, aber für überflüssig erklärt, ist töricht usf. Es sind im Ganzen 25 rationes, die der Vfr. für seine Auffassung und zur Ver- herrlichung des Papsttums anzuführen weiss. Gegen einen der Kirche gefährlichen, bösen Papst (nicht einen Ketzer, der eo ipso abgesetzt ist), weiss er kein anderes Mittel als das Gebet, dass Gott ihn beseitige , und einen festen Widerstand der Kardinäle. Die Widerlegung des dritten Artikels über den Primat Petri bietet kaum irgend etwas bemerkenswertes. Es sind die üblichen Argumente und Bibelstellen, die der Vfr. zusammenstellt. Die vierte Frage über die Gleichheit der Bischöfe und Priester gibt Gelegenheit, Autoritäten über die Ordnung und die Stufenfolge der Glieder der Hierarchie in der Welt und in der Kirche anzuführen. Wie stets folgen Argumente und Gegenargumente, die dann in der Solutio aufgelöst werden. Strittig ist nach dem Autor nur, ob die Gewalt der Bischöfe § 2. GUILIELMUS CREMONENSIS. 21 und der einfachen Priester direkt von Gott sei oder nicht. Dar- über zweifeln auch l 1 1 e r, (ieschichte der päpstlichen l'oenitentiarie I 'IVA ff. u. 238 ff., die die kanonistisch-formale Seite der Frage gelöst haben dürltcn. 2) Auch Sockel 1. c. kennt sie nicht; an das IntroJuctoriuin iuris canonici wird man nicht denken dürfen. 60 II. FÜNF SCHRIFTEN GEGEN LUDWIGS ERLASS ETC. Amtsverpflichtungen gegen einen Jahreszins verpachtet. Die Frage des päpstlichen Dispensrechtes erörtert er nicht weiter, da er darüber in jener genannten andern Schrift gehandelt habe. Er erkennt es unbeschränkt nur an bei denjenigen Canones, die nicht direkt göttlichen oder naturrechtlichen Ursprungs sind. Die Ueberlegenheit des kirchlichen Rechts wird in den beiden Schlusskapiteln noch eingehender klar gelegt durch eine Ver- gleichung mit der Wirkungskraft der weltlichen Gesetze. Mensch- liche d. h. weltliche Gesetze hängen nur indirekt mit dem gött- lichen, natürlichen Rechte zusammen: denn sie erlauben vieles, was das göttliche Recht verbietet, wie Konkubinat, Wucher und Ehescheidung (aus religiösen Gründen); sie ruhen auf dem ius gentium, d. h. einem degenerierten Naturrecht. Bei Wider- spruch zwischen bürgerlichem und kanonischem Recht ist natür- lich das bürgerliche Recht unverbindlich: auch in den der Kirche nicht direkt im Weltlichen unterstehenden Gebieten, prävaliert nach dem Vfr. doch das kirchliche vor dem kaiserlichen Rechte, wenn das auch unter den Kanonisten strittig ist. Fassen wir zusammen, so ergibt sich, dass Hermann zwar das weltliche Recht voll anerkennt und zwar nicht etwa nur ein weltliches Idealrecht, wie das römische (das ihm, wie allen Zeitgenossen freilich als die lex civilis schlechthin gilt), sondern auch die verschiedenen consiietudines der einzelnen Länder, die er wiederholt als rechtmässig erwähnt. Aber freilich: normiert und geleitet soll alles weltliche Recht werden von dem kano- nischen, von den päpstlichen Dekretalen, die die vollkommenen Rechtsideen enthalten. Es ist darin schliesslich nichts Neues. Nur die Art, in der Hermann auf das einzelne eingeht und verschiedene Möglich- keiten des Konflikts oder der lieber- bez. Unterordnung von geistlichen und weltlichen Gesetzen untersucht, ist ihm eigen- tümlich und zeigt ihn als einen vorsichtig abwägenden Scholas- tiker, der keineswegs mit gewissen italienischen Heisspornen des Papalismus in eine Linie gestellt werden darf. § 8. Lamberl" Guerrici von Huy. a) Der Verfasser. Zu den Autoren, die bisher m. E. doch etwas gar zu stief- mütterlich behandelt worden sind, möchte ich den Lütticher § 8. LAMBERT GUERRICI. 61 Priester rechnen, dessen Johann XXII. gewidmetes Schriftchen : Liber de commendatione sanctissimi in Christo patris et Domini nostri Domini Johannis div. prov. pape XXII. et reprehensione inimicorum ipsius, bisher nur aus einer kurzen Notiz K. Müllers*) bekannt und danach verurteilt worden ist. Gewiss handelt es sich auch hier um eine Bettelschrift; den Zweck gesteht der Vfr. offen genug ein. Aber das hin- dert nicht, dass der Inhalt als Stimmungsbild nicht ohne Inter- esse und Wert ist. Neben den groben Geschmacklosigkeiten und Lobhudeleien, die bisher allein daraus bekannt geworden sind, finden sich auch historisch interessantere Partien, so- dass mir eine Analyse und teilweise Veröffentlichung der mar- kanteren Stellen nicht zwecklos schien. Für unsere Kenntnis der deutschen Skribenten, die für die Kurie damals zur Feder griffen, ist das kleine Elaborat nicht unwichtig, so wenig es auch dem deutschen Nationalgefühl des Autors Ehre macht. Von dem Vfr. weiss ich nicht mehr zu sagen, als was sich aus seinem Traktat ergibt. Er war Kleriker von Huy in der Diözese Lüttich, wie es scheint Weltgeistlicher, und trieb sich im Jahre 1328 wie andere seinesgleichen an der Kurie in Avignon umher, um eine Pfründe zu erhaschen , und zwar hatte er es auf eine Schreiberstelle in der päpstlichen Poenitentiarie abgesehen. Mit einer blossen Exspektanz auf ein Benefiz in der Lütticher Diözese wollte er sich nicht zufrieden geben. Denn dort seien alle Benefizien bereits derart mit Provisionen, Ex- spektanzen etc. belastet, dass der Bittsteller in absehbarer Zeit nicht zum Genuss seiner Pfründe kommen könnte.^) Der Vfr. muss schon längere Zeit vor Abfassung seiner Schrift an der Kurie gewesen sein. Er hatte die Vermittlung des Kardinals de Arablajo angerufen, um seiner Schrift die Approbation und Ueberreichung an den Papst zu sichern. Die äussere Veranlassung des Traktates nun kann m. E. keine andere sein, als bei den eben erwähnten anderen Schriften, 1) K. Müller, Zs. f. Kirchengesch. VI 577-580, vgl. O. Lorenz, Deutschi. Geschichtsquellen II (3. A. 1887), 356.— Hs. : Pariser Nationalbibl. lat. 4370, saec. 14. (olim Colbert 4463, Regius 4526, 55), fol. 1—22. 2) Der kleine Pergamentstreifen, der in dem Codex f. 23 aufgeklebt ist, enthält die formelle Supplik Lamberts, wie er selbst deutlich f. 2 sagt : aupplica/ionetn suatn qite es,t in carta huic oppo<.ita in ßnc prr^cnfis hniits lihri. — Anders K. Müller 1. c. S. 579. 62 II. FÜNF SCHRIFTEN GEGEN LUDWIGS ERLASS ETC. d. h. also die literarische Fehde, die z. T. vom Papste selbst gegen den Defensor Pacis und gegen die kaiserliche Politik i.J. 1328 angeregt worden war. Neben den im päpstlichen Auftrag schreibenden Gelehrten fanden sich , wie wir schon sahen, auch zahlreiche andere, die die Gelegenheit ergriffen, die Auf- merksamkeit der Kurie auf ihre Person zu lenken. Zu ihnen gehörte unser Lütticher Kleriker. Die Verteidigung wird natürlich zu einer heftigen Polemik gegen die Anhänger des Kaisers, und hier finden wir allerhand Ergüsse über die politischen Tagesfragen. Es ist keine gelehrte, wissenschaftliche Arbeit, sondern eine ganz subjektiv gefasste Streitschrift, aber deshalb von nicht geringerem Interesse. b) Die Commendatio papae. Ausser der Widmung an den Papst, in der er das Motiv seiner Arbeit auseinandersetzt und in der charakteristischen Art und Weise eines renommistischen Publizisten sich erbietet dem Papste noch im Geheimen besondere Mitteilungen zu machen, hat der Autor noch eine allgemein gehaltene Vorrede vorausgeschickt. Er datiert hier mit urkundlicher Genauigkeit die Entstehung seiner Schrift auf den 17. September 1328. Da- mals hörte er angeblich von einer Schmähschrift, die ein ab- trünniger Kleriker Ludwig dem Bayern überreicht habe, der ihn dafür reich belohnt hätte. Nach der Art des Ausdrucks scheint es mir zunächst wenig wahrscheinlich, dass unter diesem Kleriker Marsilius von Padua, unter seinem „dictamen" der Defensor Pacis zu verstehen sei. Denn abgesehen davon, dass in den Schriften dieser Zeit der Defensor Pacis nie als das Werk eines einzigen, sondern immer zweier, des Marsilius und des Jean von Jandun bezeichnet wird, richtet sich auch die Schrift Lamberts gar nicht gegen die Lehren des Defensor Pacis. Und doch will er jenem dic- tamen antworten mit seinem dictamen; jenes war eine Schmäh- schrift gegen Johann, seines ist eine Lobrede auf den Papst. Die Irrtümer, die Lambert bekämpft, finden sich dagegen eben in jener kaiserlichen Proklamation vom April 1328, gegen die sich die vorgenannten Streitschriften richten. Sie wird also auch unter dem dictamen zu verstehen sein, und der Kleriker, der sie überreichte und von Ludwig reich belohnt wurde, wäre § 8. LAMBERT GUERRICI. 63 also der Vfr. jener Sentenz Gloriosus Dens. Das ist nun aber nach dem Zeugnis des Albertino Mussato ') niemand anders als eben Marsilius von Padua, wenigstens in erster Linie. So darf man immerhin sagen, dass auch Lamberts Schrift, wie die schon genannten , sich in erster Linie gegen Marsilius richtet. Die commendatio Lamberts beginnt mit einer beweglichen Klage der Kirche über die Verfolgung und Not, die ihr vom Kaiser drohe. Dieser unchristliche deutsche Usurpator und Vor- bote des Antichrists bringe die Kirche in grosse Bedrängnis. Jetzt eben hat er den Gipfel seines Wahnsinns erreicht: mit Hilfe der Pseudopropheten , die ihn umgeben, sucht er sein Imperium, das er widerrechtlich sich anmasst, zu erhöhen, bedrückt Geistliche und Laien mit Steuern und Gewalttaten und befördert verworfene, exkommunizierte, häretische Personen zu den höchsten Ehren. Um das päpstliche Recht der Appro- bation und Konfirmation kümmert er sich nicht. Und doch steht dem Papste als oberstem Herrn im Weltlichen und Geistlichen ganz allgemein das Konfirmations- recht bei den Königswahlen zu. Der vornehmste der christ- lichen Könige, der König von Frankreich, wird vom Erzbischof von Reims (oder Bischof von Soissons) als dem Vertreter des Papstes gesalbt und gekrönt ; ebenso die Könige von England, Aragonien und Spanien (Catalonien) von den betreffenden Erzbischöfen als päpstlichen Vikaren. Diesen päpstlichen Vi- karen leisten alle Könige bei der Krönung einen Fidelitäts-Eid auf die Handhabung der Gesetze im Sinne der Kirche. Nur die Kaiserkrönung und die Erteilung von Approbation und Kon- firmation der Person und der Wahl des Kaisers hat sich der Papst persönlich vorbehalten, oder er überträgt sie doch nur einem besonders von ihm bevollmächtigten Legaten a latere. Bei den anderen Königen (ausgenommen Frankreich und Sizilien) kann die direkte Krönung durch den Papst nicht regelmässig erfolgen der Kosten und Unbequemlichkeiten der Reise wegen. 1) Ed. Boehmer, Fönte? I 175. Ob daneben noch Ubertino von Casale, wie Mussato angibt, oder Sciarra Colonna, wie K. M ü 1 1 e r , I. c. I 190 meint, als Redaktoren mitgewirkt haben, wird schwer zu entscheiden sein. Mir scheint der Einfluss des Ubertino nicht abzuleugnen. K. H u c k , Ubertin v. C. (1903) erwähnt diese Dinge nicht. 64 II. FÜNF SCHRIFTEN GEGEN LUDWIGS ERLASS ETC. Aber sie sollen bei der Kaiserkrönung zugegen sein und dabei neu gekrönt werden. Ebenso sollen die anderen Fürsten, Her- zöge, Grafen, Ritter und Edeln bei der Krönung ihres Königs zugegen sein und dabei die Konfirmation ihrer Würden em- pfangen, den Eid leisten an den krönenden Bischof und ihre Lehen und Güter von der Kirche annehmen. Endlich soll auch das niedere Volk, die Bauern, die „Konfirmation" seiner Güter von der Kirche erhalten! In der Beichte fordert die Kirche Aufschluss über Gedanken, Rede und Taten der einzelnen und normiert sie nach kirch- lichen Vorschriften. Was Wunder, dass auch aller äussere Besitz der Kirche zu unterwerfen ist. Alle, auch Heiden, Sara- zenen und Juden sind der Kirche Untertan. Die Konstantinische Schenkung war keine wahre Schenkung, und die Lehre vom kaiserlichen, weltlichen Ursprung des Kir- chenguts ist eine Irrlehre (c. 3); ebenso wie die Lehre von der notwendigen Besitzlosigkeit des Klerus. Lambert kommt dabei auf die schlimmen Folgen des Armutsstreits zu sprechen : die Spiritualen verzehren das gesamte Gut und Blut der Ordens- brüder, kehren der Kirche den Rücken, fliehen zu ihren Feinden, eine deutliche Anspielung auf Cesenas Flucht (25. Mai 1328); übergeben diesen Feinden Testamente und Legate, deren Voll- strecker sie waren (man denke an Juristen, wie Bonagratia) und teilen diesen Raub mit den Feinden der Kirche ! Freilich die Konventualen sind an alledem unschuldig. Die Kirche der Gegenwart bedarf des Besitzes, um sich verteidigen zu können gegen ihre Feinde. Ebenso falsch ist die Behauptung der Gegner, der Papst dürfe nichts ohne den Willen der Kardinäle machen. Der Papst hört die Meinungen der Kardinäle und entscheidet selbständig nur de fratrum suorum cardinalium consilio (c. 5). Manche, die keinen anderen Anlass finden, schmähen sogar die toten Päpste, auch die, deren Ruf in der Kirche leuchtet (darf man an Bonifaz VIII. denken ?). Vor allem aber richten sie ihre Angriffe gegen Johann XXII. selbst. Fünf Punkte nennt der Vfr., die besonders gegen den Papst vorgebracht werden : 1. der Papst solle nicht gegen Christen, sondern gegen Sara- zenen Krieg führen ; 2. er solle seine Residenz in Rom haben ; 3. wäre er in Rom gewesen, so wären dort nicht so viele Un- § 8. LAMBERT GUERRICI. 65 taten geschehen ; 4. er lasse viele grosse Prozesse verschiedener Art machen; 5. er bereichere seine Nepoten. Man findet unschwer in diesen fünf Punkten den Haupt- inhalt der Proklamationen Ludwigs vom 18. und 23. April 1328 wieder.^ Lambert bemüht sich die Irrlehren zu entkräften. Er gibt die Vorwürfe zurück, wendet sie auf die Feinde selbst an. Der Vorwand des Kreuzzuges sei nur dazu da, um die Päpstlichen ins Ausland zu locken und sie dort den Sarazenen in die Arme zu liefern; die Kaiserlichen wollen sich auf diese bequeme Weise ihrer Feinde entledigen ! Eifrig protestiert Lambert gegen die Pflicht des Papstes in Rom zu residieren. Das richtet sich hauptsächlich gegen die römische Volkspartei (Sciarra Co- lonna etc.), die den Papst in ihre Gewalt bringen wollte. Alle jene zahllosen Pfründenjäger aus Mittel- und Nordeuropa hatten ja ein natürliches Interesse daran, dass die Kurie in Frankreich blieb, wo sie doch leichter erreichbar war, als in dem fernen Rom. Der Papst ist nicht an Rom, überhaupt an keine bestimmte Residenz gebunden. Auch zur Residenz in Avignon könnte kein Papst seinen Nachfolger verpflichten. Ein Glück aber war es, dass der Papst jetzt nicht nach Rom kam. Die Kaiser- lichen hätten ihn dann gezwungen, ihre ungesetzlichen Taten gut zu heissen , die Krönung zu vollziehen etc. Hätte er Widerstand geleistet, so wäre er durch Gift oder sonstwie be- seitigt worden, und man hätte dann die Kardinäle zur Ein- setzung einer kaiserlichen Kreatur gezwungen. Die Sache wäre also viel schlimmer als jetzt geworden ; denn der kaiserliche Gegenpapst hätte dann, als von den Kardinälen rechtmässig er- wählt, die Anerkennung der Welt gefunden. Was aber die Auf- forderung der Römer an den Papst zur Rückkehr nach Rom betrifft, so war ihre Hinterlist leicht zu durchschauen. Denn sie hatten in ihrem Briefe gesagt, sie wollten entweder, dass der Papst nach Rom komme, dann würden sie ihn gebührend aufnehmen ; oder sie würden einen anderen Papst wählen. Sie suchten also nur nach einem Vorwand, um einen Gegenpapst wählen zu können. 1) Baluze, Vitae II 512 ff. K. Aliiller I 189 ff.. Scholz, Analysen und T< xte. 5 66 II. FÜNF SCHRIFTEN GEGEN LUDWIGS ERLASS ETC. Offenbar bezieht sich hier Lambert auf das letzte der ver- schiedenen Schreiben der Römer, vom 6. Juni 1327*), das dem Papste nur noch drei Tage Zeit zur Entscheidung Hess. Interessant ist es, dass der Vfr. aber auch noch ein anderes Motiv anführt, das den Papst abhielt nach Rom zu gehen : das sind die Verhältnisse im Kardinalskolleg. Die Kardinäle sind zwar unter sich, ut ita loquar , amicissimi : aber der Papst fürchtet, dass der alte Zwiespalt zwischen Italienern und Gas- kognern neu ausbrechen werde, wenn die Italiener Rückhalt an den mächtigen italienischen Familien in Rom fänden. Also er glaubt der Treue der italienischen Kardinäle nicht sicher zu sein. Wir können sagen : mit Recht.^) In dieser für den Papst selbst bestimmten Schrift aber berührt doch ein so offenes Eingeständ- nis der immer unsicheren politischen Haltung der Kardinäle recht eigentümlich. Es lässt auf tiefes Misstrauen Johanns gegen die italienischen Kardinäle , jedenfalls auf Spannungen und Differenzen an der Kurie schliessen, die die öffentliche Meinung bereits beschäftigten. Lambert fährt fort die Klagen gegen Johann zu entkräften. An den vielen Prozessen (iusticie) des Papstes tragen die Gegner selbst die Schuld (c. 11). Was endlich den Nepotis- mus Johanns XXII. betrifft, so gibt ihn der Vfr. unumwunden zu und sucht ihn zu rechtfertigen. Er ist eben für den Papst das einzige Mittel, sich treue, ergebene Freunde zu verschaffen. Seine Blutsverwandten sind die einzigen, auf die er sich ver- lassen kann. Auch die Pflicht der Dankbarkeit für die, deren Eltern etc. ihn in seiner Jugend unterstützten, treibt den Papst zur Erteilung solcher Gnaden. Nach einer zusammenfassenden Rechtfertigung aller Taten des Papstes (c.l3— 14) lässt der Vfr. die Kirche eine neue Klage anstimmen gegen die Uebeltaten des Kaisers und seiner An- hänger. Er spielt dabei auch wieder auf die Flucht der Mi- noriten zu Ludwig an. Andererseits vergiftet der Kaiser und sein Anhang den Klerus durch falsche, ketzerische Briefe und 1) Raynald, Ann. 1327, § 9. (tom. V, p. 339), ib. § 10—13 Antwort Johanns. — Vgl. u. a. K. Müller, 1. c. I 176. 2) Vgl. über die Haltung der Kardinäle bes. F i n k e , Acta Aragonensia I. 393. 394. 395. 397. 400. § 8. LAMBERT GUERRICI ßl durch Boten, die in alle Klöster und Zellen dringen, um gegen den Papst zu agitieren (c. 15). Hierauf wendet sich der Vfr. mit Schmähungen gegen den kaiserlichen Papst und seine Kardinäle, carpinales nennt er sie, die die wahre Kirche nachäffen, Vorläufer des Antichrists (c. 16, 17) sind. Er schliesst diesen Teil mit einer Aufforderung an Rom, sich zu bekehren, zum Papste zurückzukehren oder vielmehr bei ihm auszuharren. Denn der Umschwung in Rom ist schon erfolgt, die Feinde, die Kaiserlichen, sind vertrieben ; Rom soll sie nie wieder hereinlassen und sich auf seine natür- lichen Verteidiger verlassen, die drei Johannes : den Kardinal- legaten Johannes von Tuskulum, einen geborenen Römer^), und den Prinzen Johannes von Durazzo-Gravina, den Bruder König Roberts von Neapel, Vikar von Rom, der einst schon die Stadt gegen Heinrich VII. verteidigt hatte und jetzt wieder bei der Vertreibung der kaiserlichen Partei beteiligt gewesen war^): sie sind die beiden Himmelslichter, Sonne und Mond, für Rom ; dazu dann der dritte Johannes, der Papst, dem sich Rom unter- werfen soll. Die folgenden Kapitel enthalten nun zum grossen Teile phrasenhafte Gebete und Beschwörungen an die Jungfrau Maria (c. 19)^), an die Engel (c. 20), an die Patriarchen und Propheten (c. 21), an die Apostel, vor allem Petrus und Paulus (c. 22), an die Märtyrer (c. 23), an die Bekenner (c. 24), an die Jungfrauen (c. 25), an Johannes den Täufer, als besonderen Schutzheiligen des Papstes (c. 26), sodann an alle weltlichen Herren ins- gesamt (c. 27), an den König von Sizilien und Jerusalem (c. 28), an den König von Frankreich (c. 29), an die Könige von England, Aragonien und Spanien (c. 30), an alle anderen Fürsten, Herren und Ritter der Christenheit (c. 31), an das ganze Volk (c. 32), an die Vorsteher der Kirchen (c. 33), an die Kar- 1) Er war 8. Aug. 1328 in Rom angelangt, K. Müller I 206. 2) Johann v. Gravina war 18. Mai und 26. Juni 1327 von seinem Bruder zum Vikar und Generalkapitän von Rom ernannt worden; vgl. G r e g o- r o V i u s Gesch. Roms VI 135. 175 n. 3. A. C h r o u s t , Die Romfahrt Ludwigs des Bayern (Gotha 1887) S. 108. Wir wissen nicht, dass er später wieder ernannt worden wäre. Ueher seine Tätigkeit z. Z. Heinrichs \'II. ib. S. 42 ff. 3) Diese besonders abgeschmackte Stelle hat Müller Zs. f. Kirchengesch. VI 578 bekannt gerar.cht. 68 II. FÜNF SCHRIFTEN GEGEN LUDWIGS ERLASS ETC. dinäle (c. 34): alle werden zur Hilfe gegen den Kaiser und seinen Anhang von diesem deutschen Kleriker aufgerufen. So wenig diese Stilübungen im Ganzen interessant sind, so enthalten sie doch manche historisch interessanten Einzelzüge. Als der unzweifelhafte, treueste Vorkämpfer der Kirche er: scheint König Robert von Neapel,^) der Stab und die Stütze des Papstes: ihn braucht der Vfr. nicht erst aufzurufen, er ist ja allen andern schon vorangegangen. Dagegen bemüht er sich um so eifriger den französischen König (es ist Philipp von Valois) an seine Pflicht zu mahnen- er soll nicht den Krieg in Flandern vorschützen, den kann ein Feldherr zu Ende führen. Der König soll für den Papst zu Felde ziehen; sein Geschick hängt vom Siege oder der Nieder, läge des Papstes mit ab! Er soll seine Fehdebriefe an Ludwig schicken. Der Franzosenkönig ist ja der am meisten gefürchtete Herrscher in Europa: der Glanz Karls des Grossen und seiner Paladine umstrahlt ihn immer noch in den Augen der Welt. Man liest aus den Zeilen die Unzufriedenheit der Kurie über die reservierte Haltung des neuen französischen Königs deutlich heraus.^) Die Könige von England, Aragonien und Spanien behandelt der Vfr. als junge Menschen, die jetzt als Vorkämpfer der Kirche erst zeigen können, was sie wert sind.^) Er warnt vor den falschen Briefen der Ketzer! Auch die Ritter und die Prälaten erscheinen dem Vfr. zaudernd. Er richtet kräftige Mahnworte an sie, besonders an die geistlichen Herren, die ihr Gut sparen wollen: sie mögen sich hüten, dass der Bayer ihnen nicht ihr Kirchengut nimmt, wie er angeblich aus dem St. Peter in Rom und andern Kirchen viele Schätze fortgeschleppt hat. Auch die Kardinäle bekommen ihren Teil zu hören; sie sollen nicht nur einmütig gegen den Gegenpapst zusammenstehen, sondern, falls Johann XXII. etwa sterben sollte, unverzüglich, 1) L. nennt ihn wohl mit Absicht reo: Jerusalem et Sicilie, um die Ansprüche des Anjou damit darzutun. 2) VgL dazu auch H. Finke, Acta Aragonensia I 509. 3} Eduard III. von England (1327—70) war 15 Jahre, Alfons [V. von Aragonien (1327—36) 28 Jahre, Alfons XT. von Kastilien (1312 (1325)— 1350) 17 Jahre. Alle drei also erst seit etwa Jahresfrist selbständige Regenten. § 8. LAMBERT GUERRICI. 69 womöglich am selben Tage, einen neuen Papst wählen und sich nicht etwa dann zur Anerkennung des Gegenpapstes ver- leiten lassen. Man sieht doch, die Furcht vor der Möglichkeit einer Ver- ständigung wenigstens eines Teils der Kardinäle mit den Kaiserlichen war damals tatsächlich in Avignon vorhanden. Im Schlusskapitel wendet sich der Vfr. an den Papst selbst, fordert ihn auf sich nicht um den Hass der Menschen zu kümmern und sich auch nicht zu wundern, wenn seine ///// ihm nicht so schnell Hilfe bringen, wie sie sollten. Mit einer nochmaligen, dringenden Empfehlung seiner Person und Bitte um Schutz und Unterstützung schliesst der Traktat. Man wird gewiss dieses kleine Schriftchen nicht über- schätzen. Aber, wenn es auch keine ,, neuen Theorien" über die päpstliche Gewalt aufstellt und seinen Ursprung auch einzig und allein dem Geldbedürfnis des Vfrs. verdankt, so scheint mir doch auch diese Bettelei bei genauerem Zusehen nicht un- interessant als Stimmungsbild. So einseitig und beschränkt der Standpunkt des Autors sein mag, er schrieb doch offenbar direkt in der Atmosphäre der Kurie und etwas davon blieb an seinem Elaborat haften. Zweierlei scheint mir bemerkenswert. Einmal der fast pessi- mistische Grundton: der Vfr. glaubt den Papst fast trösten zu müssen; Hilfe scheint aber keineswegs so sicher und nahe, wie er dem Papste wünschen möchte. Und zweitens: an der Kurie selbst scheinen oppositionelle Strömungen zu bestehen, die sich gegen die Politik und die Person Johanns XXII. richten. Es gibt wenige angeblich, auf die er sich verlassen kann. Wir wissen, dass von Anfang an im Kardinalskolleg eine, wenn schon kleine Partei, der Politik Johanns XXII. gegenüber dem Reiche Widerstand leistete; die drei italienischen Kardi- näle Napoleon Orsini, Petrus Colonna und Jacobus Gaetani werden als die Vertreter dieses Widerstandes genannt.') Man merkt aus der vorliegenden kleinen Abhandlung, wie man immer mit dieser Opposition in Avignon zu rechnen hatte; und da auch Frankreich unter dem neuen Regiment des Valois weniger hilfsbereit erscheint, von den andern Mächten, ausser 1) Vgl. H. Finke 1. c. bes. nr. 262 ii. 264. 70 II. FÜNF SCHRIFTEN GEGEN LUDWIGS ERLASS ETC. Neapel, aber nichts zu erwarten ist, so ist es wohl verständ- lich, dass unter dem Eindruck der Erfolge Ludwigs in Italien im Herbste 1328 an der Kurie wirklich zeitweilig eine solche Depression herrschte, wie sie, fast gegen den Willen des Autors, in seiner Verteidigungsschrift Johanns XXII. zum Ausdruck kommt.^) Wenn wir ferner schon aus manchen Stellen der vorhef- besprochenen Traktate den Eindruck gewannen, dass selbst in den Reihen der treuesten Anhänger des kurialen Systems die Politik Johanns manche Bedenken erregte, so wird dieser Ein- druck durch die vorliegende Schrift bekräftigt. Er findet aber eine noch weit stärkere Bestätigung in den folgenden Schriften, die ebenfalls den kurialistischen Kreisen entstammen und eben deshalb um so unverdächtigere Zeugnisse sind. § 9. Ein Abriss der Geschicl7fe der päpsNichen Prozesse gegen Ludwig 1323—1328. a) Autor und Abhandlung. In dem sehr wertvollen vatikanischen Fonds alter, be- sonders die Scholastik und das kanonische Recht betreffen- den Hss. des 13. und 14. Jahrh., der Mss. Burghesiani'), findet sich die im Folgenden veröffentlichte Abhandlung, die ein ge- wisses historisches Interesse verdient. Die Hs. Burghes. lat. 86 membr. gr. 8**, 180 Bll. misc, ist gleichzeitig. Sie enthält nach einer Anzahl medizinischer und theologischer Traktate fol. 165—171 v. ohne Namen des Autors: Compendium malus ocfo processuum papalium cum quibus- dam allegacionibus catholicis contra Ludovicum Bavarum male seductum ecclesie sancte persecutorem publicum et eius fautores factorum ad laudem Christi et honorem ipsius ecclesie sancte in Romana curia fideliter compilatum. Minus est implicitum üt patebit. 1) Wie richtig die Stimmung wiedergegeben ist^ zeigen Gesandtenbe- richte, wie Finke 1. c. nr. 290, p. 434 f.; nr. 292; nr. 294, p. 440. , 2) Vgl. darüber Ehrle, Arch. f. Litt, u. Kircheng. des MA. I 19 ff., III 464 u. 471 f. Es sind zwei Abteilungen zu unterscheiden, ein Teil der Borghese- Hss. befindet sich im Vatik. Archiv ; der hier genannte Fonds aber in der Bi- bliothek. Ein besonderer Katalog darüber ist vorhanden. § 9. COMPENDIUM MAIUS. 71 Die Person des anonymen Vfrs. ist aus dem Inhalt, be- sonders der Einleitung, leicht zu erkennen. Er ist anscheinend Lehrer an der päpstlichen Schola, der alten Rechtsschule an der Kurie^) und zugleich wohl Beamter der päpstlichen Kanzlei") und zwar ein Deutscher. Er beruft sich auf seine persönliche Kenntnis der Prozesse, die er an der Kurie, tarn in scoliSj quam extra viele Jahre hindurch studiert habe. Er hat die Originale sämtlich in Händen und eine Kopie davon herzustellen gehabt (subnotavi). Seine Absicht ist nun diese weitschweifigen, unüber- sichtlichen Prozesse in einem Kompendium zusammenfassend dar- zustellen, um sie bekannter zu machen und damit auch die Gerech- tigkeit des päpstlichen Verfahrens zu erweisen. Er selbst hat nur ganz kurze Erläuterungen hinzugefügt. Diese sind durch kleinere Schrift äusserlich scharf von der eigentlichen Darstellung der Prozesse unterschieden. Mit ihr zusammen bilden sie das Compendium maius, lässt man sie weg, so erhält man das Compendium minus.^) Man sieht, das Ganze scheint auf den prak- tischen Gebrauch im kanonistischen Schulunterricht einge- richtet. Die Prozesse gegen Ludwig sollen als Musterbeispiele im Unterricht über den kanonischen Prozess dienen, der Vfr. will eine Art kleinen Leitfaden für den Unterricht in diesem Gebiete schreiben. Er bittet am Schlüsse ausdrücklich eine Kopie seines Schriftchens herstellen lassen zu dürfen. Aber er verfolgt auch einen weiteren, politischen, apolo- getischen Zweck: er will das Verfahren Johanns XXII. recht- fertigen. Vor allem wendet er sich dabei an seine deutschen Landsleute. Sie will er von der Gerechtigkeit der Verurteilung Ludwigs überzeugen und zum Gehorsam gegen die Kirche ver- pflichten, indem er sie mit den echten, unverfälschten Doku- menten bekannt macht, die durch Gerede und böswillige Ver- drehung der Anhänger Ludwigs entstellt worden seien. Aber er 1) ^'gl• fol. 165: Jiotitiani tnentn quam ... de ipsiis proressi'bns et sententiis, in Rouiana curia tarn in scolis quam extra per ntnltos annos percepi^ vidi et andivi. Ueber das papstliche Studium Generale: H. Denifle, Die Universitäten des M A. I 301 ff. 2) Fol. 16jv : et tamqiiani facti considerator et iiatratoi' ac aliqua- nter cognitor, cmn die ton Processus, et seutentias oiniies hit Ilatos vi der im et eornm copiam Jiahnerim siihuotare. .') Der \Tr. ist auf seine Erfindung sehr stolz und weist wiederholt darauf hin. 72 II. FÜNF SCHRIFTEN GEGEN LUDWIGS ERLASS ETC. ist keineswegs ein blinder, leidenschaftlicher Gegner des Kaisers. Durch die ganze Schrift geht ein Zug des Mitleids und der Trauer über das Geschehene, der Vfr. hofft immer noch auf die Bekehrung Ludwigs und seiner Anhänger. Und indem er sich wiederholt als Deutscher zu erkennen gibt und sich an seine predilectos compatrioias Alemannos wendet, zeigt er weit mehr nationales Gefühl, als der Verfasser der vorigen Schrift. Die Zeit der Abfassung ergibt sich ungefähr daraus, dass der Vfr. zuletzt den achten Prozess vom 30. März 1328 anführt, von den späteren Erlassen Johanns aber kein Wort sagt. Die Abhandlung wird sehr bald nach diesem Datum i. J. 1328 ge- schrieben sein, das ja in der Tat einen Höhepunkt des Kampfes bezeichnet.^) Der Autor konnte rückblickend die vorange- gangenen päpstlichen Erklärungen bis zu dieser letzten ab- schliessenden einheitlich zusammenfassen und den Gang des Verfahrens daran demonstrieren. b) Inhalt des Kompendiums. Die Darstellung der Prozesse folgt einfach dem chrono- logischen Verlauf der Ereignisse. Im Jahre 1323, so be- ginnt der Vfr., als Ludwig der Bayer, der Verführte, ehemals Herzog von Bayern, die päpstliche Approbation zu seiner zwie- spältigen Wahl nicht erlangt hatte, denn der Papst ist bekannt- lich Herr und Meister des regnum und auch des Imperium, und als er nicht einmal in der gebührenden Weise darum ge- beten hatte, sondern den königlichen Titel und die Verwaltung des regnum und Imperium eigenmächtig übernommen hatte, in Deutschland, wie in Italien, veröffentlichte der Papst am 8. Okt.") seinen ersten Prozess. Der Vfr. hat hier eine lange Ausführung über den Primat Petri und die Bedeutung des Vikariats Christi eingeschoben, um das Recht des Papstes zu seinem Vorgehen darzutun. Er betont die Gleichheit der göttlichen Allgewalt Christi mit der seines Vikars und stützt sich für die Lehre vom Primat auf 1) Andrerseits muss sie vor dem Umschwung der kaiserlichen Politik und den neuen Aussöhnungsversuchen geschrieben sein: denn eben eine solche Aktion sehnt der Vfr. noch herbei. 2) Die Hs. hat wie alle andern Texte, ausser Raynald : octavo idus Od. cf. K. M ü 11 e r I 60 n. § 9. COMPENDIUM MAIUS. 73 die Stellen : Tu es Petrus und Quodcumque ligaveris, um zu zeigen, dass Petrus das Fundament Christi, d. h. der petra, also petra petre sei.') Diejenigen, die den Primat Petri leugnen, machen Christi Worte inhaltslos. Weiter bespricht er die Einheit der Kirche wesentlich nach Unam Sanctam und dem Symbolum. Er weist darauf hin, dass vom Imperium hier nicht die Rede sei; obwohl viele Häretiker jetzt das Reich über die Kirche stellten und gewissermassen an eine kopflose Kirche glaubten, den Papst ganz bei Seite drängten. Dann fährt er fort in der Mitteilung des ersten päpstlichen Prozesses z. T. mit den Worten des päpstlichen Erlasses: At- tendentes quod dum errori. Der Papst fordert unter Hinweis auf den kirchlichen Gehorsam und bei Strafe der Exkommunikation, Niederlegung des königlichen Titels und der Reichsverwaltung binnen drei Monaten, bis Ludwigs Wahl vom Papste approbiert sei. Während der Autor nun die in dem Prozesse ebenfalls erwähnte Verleihung Brandenburgs') durch Ludwig nicht er- wähnt, geht er ausführlicher auf das Verbot der Gemeinschaft mit den Viscontis ein, die als Häretiker verurteilt seien. Als Beamter der Kanzlei hatte er vielleicht selbst mit diesem Prozesse zu tun gehabt, der ja 1322 begann und sich lange hinzog. Er erwähnt die Anklagen, die gegen Matteo Visconti gerichtet wurden nach dem Wortlaute der päpstlichen Bulle Cogit nos vom 23. März 1323, die die Eröffnung des Inqui- sitionsverfahrens gegen die Visconti anordnete."^) Weiter verbot der Papst allen Anhängern Ludwigs diesem Weiter zu gehorchen und löste sie von allen ihm geleisteten Eiden: denn, so fügt der Autor hinzu, der Eid darf nicht zur Ungerechtigkeit verpflichten. Ludwig habe zwar darauf am letzten Termin, nämlich am 2. Januar 1324, einige Prokuratoren und Boten geschickt^), aber 1) Vgl. dazu J. Langen, Das vatikanische Dogma, 2. A. Teil 3, S. 8 ff. 23 ff. 2) Bezw. des tnarchionafns Mav^debiirfrensis ! 3) Ueber diesen das ganze 14. Jh. fortdauernden, auch kulturhistorisch sehr wichtigen Prozess enthält das Vatik. Archiv und die Vatik. Bibl, reiches Aktenmaterial. Eine Veröffentlichung wäre sehr wünschenswert, bisher sind nur gelegentliche Ansätze dazu gemacht. Zu vgl. wäre auch Paris Nat. Bibl. lat. 4114 u. 4115. 4) Quelle ist z. T. wörtlich der zweite Prozess, Martene et Durand II 647 ff. 74 II. FÜNF SCHRIFTEN GEGEN LUDWIGS ERLASS ETC. nicht um die Approbation zu erbitten und Gehorsam zu ver- sprechen, wie jetzt viele Feinde des Papstes aussprengen, son- dern vielmehr nur, um eine Verschiebung des Prozesstermins zu verlangen, damit er sich inzwischen besser in Verteidigungs- zustand setzen könne. Unter allem Vorbehalt nur habe er seine Absicht zum Gehorsam gegen den Papst durchblicken lassen; er habe sich beschwert, dass die Kirche ohne Zitation und Monition gegen ihn vorgegangen sei. Der Vfr. wendet dagegen ein, dass die monitio in dem ersten Prozesse enthalten gewesen sei, und schon am 31. März 1317 sei in dem Prozess : Si fratrum et coepiscoporum nostrorum^) das ungesetzliche Verhalten Ludwigs öffentlich bekannt ge- macht worden und ihm verboten worden sich in die Regierung des Imperiums zu mischen: und dieser Prozess von 1317 sei öffentlich an die Kirchentüren in Avignon angeheftet, d. h. also legal publiziert worden, sodass die monitio des Prozesses von 1323 gar nicht mehr nötig gewesen, sondern vielmehr ein Zeichen väterlicher Milde sei. Die procuratio und supplicatio des Bayern, erzählt der Vfr. weiter, sei wörtlich inseriert worden in dem zweiten Prozess Johanns (7. Jan. 1324).-) Aus den Worten dieser Erklärung habe man aber schon geschlossen auf Ludwigs contumacie principium, rebellionis medium et scismatis conclusivum. Denn das Recht, nicht um Approbation zu bitten, den Königstitel zu führen und frei die Regierung zu übernehmen, stehe dem Ge- wählten nicht zu, am wenigsten dem in Zwiespalt Erwählten. Das Reich ist durch die Kirche in der Person Karls d. Gr. auf die Germanen übertragen worden. Ohne dieses Recht der Kirche gäbe es keinen wahren lateinischen Kaiser. Trotz der verwegenen Worte des Bayern habe Johann XXII. aber den Termin der Verkündigung der Exkommunikation um zwei Monate verschoben in seinem zweiten Prozess vom 7. Jan. 1324.") Darauf habe Ludwig in keiner Weise geant- wortet, sodass nunmehr der Papst den Bayern und seine An- hänger in dem dritten Prozesse vom 23. März 1324 für ex- 1) Marlene et Durand II 641. 2) Marlene et Durand II 648 f. 3) Martene et Durand II 647 ff. § '?. COMPENDIUM MAIUS. 75 kommuniziert erklärt habe.^) Auf die Länder der Exkommuni- zierten sei das Interdikt gelegt und die Lösung der verhängten Strafen dem Papste selbst vorbehalten worden, ausser in mor- tis articülo. Obwohl er hätte noch strenger vorgehen können, habe der Papst Ludwig einen dritten Termin für seine correctio und folgende promotio angesetzt und drei Monate zugegeben. Der Papst schreibe hier ausdrücklich, dass er den dringendsten Wunsch '') habe, Ludwig möge sich bekehren (und das sei die Wahrheit!), er solle nur Titel und Regierung niederlegen, die Approbation abwarten und sich von dem Verkehr mit den italienischen Ketzern fern halten. Wieder habe Ludwig auf den Rat seiner falschen Ratgeber die päpstliche Mahnung verachtet, nicht geantwortet, nicht den Verkehr mit den Ketzern aufgegeben, Titel und Reichsverwal- tung beibehalten. Der Vfr. schiebt hier einen Exkurs ein über die Verleihung der Jurisdiktionsgewalt durch Christus allein an Petrus. Wie Christus in seiner einen Person zwei Naturen ver- einte, so übte er auch beide Gewalten und übertrug sie der einen Person des Papstes mit seiner ganzen Kirche. Die Aemter sind getrennt, die Gewalten im Papste vereint etc. Die Stelle: Reddite qiiae sunt caesaris etc. deutet er wie Opizinus. Es wäre für den Glauben und die Kirche nachteilig, wenn die Kaiser von sich aus eine eigene Gewalt über sie hätten: denn viele sind aus Unwissenheit oder Tyrannei zu Verfolgern der Kirche geworden, wie Friedrich IL; sie raubten das Kirchengut und betrachteten es als ihr Eigentum, was ja gewisse häretische Ratgeber Ludwigs d. B. auch behaupten. Weiter behaupten sie, das Kaisertum sei älter als das Papsttum, also auch besseren Rechts, was falsch ist. Wenn sie weiter grob fragen, warum der Papst diese Gewalt nicht in primitiva ecclesia ausgeübt habe, so ist zu antworten, dass das nur an den äusseren, zu- fälligen Verhältnissen lag, nicht an einem defectus iuris. Jetzt ist die Zeit, wo die Kirche Zwangsgewalt anwenden kann und 1) Murtcne et Durand II 652 ff. — K. M ü 1 1 e r I 98 n. findet, dass auch hier nur erst mit der Exkommunikation gedroht werde, gegen R i e z 1 e r S. 28. Die Exkommunikation wird feierlich erklärt ; nur die Verhilngung der andern Strafen schiebt der Papst hinaus: 1. c. 656. B. 2) Intensis desideriis appeteret, M a r t e n e et D u r a n d II 656 A. u. C. 76 II. FÜNF SCHRIFTEN GEGEN LUDWIGS ERLASS ETC. muss: dazu muss sie aber auch über die Temporalien verfügen und herrschen, wie Samuel, dem zuerst das für das Papsttum vorbildliche Wort (dictum papalis dignitatis figurativum) ge- sagt worden ist; Ecce, constitui te eic}) Nach diesen Auslassungen setzt der Vfr. seine Analyse der Prozesse fort. Am 11. Juli 1324 nahm der Papst in dem vierten Prozesse: Skut ad curam"-) dem hartnäckig ungehorsamen, bereits exkommunizierten Rebellen Ludwig alle Rechte, die aus seiner Wahl folgen konnten, und verbot bei Strafe der Exkom- munikation allen geistlichen und weltlichen Untertanen ihm zu gehorchen oder Hilfe zu gewähren. Aber Ludwig gab auch jetzt nicht nach, sondern er fabrizierte oder Hess fabrizieren auf den Rat seiner Verführer ein Libell voll von Irrtümern und Ketzerei. Den Inhalt aber beschwor er und setzte sein usur- piertes Königssiegel darunter. Gemeint ist, trotz der irrigen Zeit- folge, offenbar die Sachsenhäuser Appellation (22. Mai 1324^). Christus und die Apostel besassen kein ius utendi, sondern nur den usus facti, das Gegenteil zu sagen ist Ketzerei : so fasst der Kuriale den Inhalt dieser berühmten Kundgebung zusammen. Johann XXIL habe ausdrücklich vorher in seiner Dekretale: Cum inter nonnullos^) das Gegenteil erklärt. Weiter habe der Bayer zwei damals schon der Häresie verdächtige Männer, Marsilius von Padua und Johann von Jan- dun, unter seine Familiären aufgenommen.^) Und nun zeigte sich der Bayer vollends als Verächter der Canones: seinem zweiten Sohne gab er selbst ein Edelfräulein trotz des Ehehin- dernisses der Verwandtschaft zur Frau und liess diese sogenannte Ehe in einer mit dem Interdikt belegten Kirche einsegnen, wie 1) Dieser Passus erinnert etwas an die entsprechende Partie bei Opizi- nus. Auch hier scheint speziell Marsilius v. Padua bekämpft zu werden. 2) M a r t e n e et D u r a n d II 660 ff. 3) Vgl. Die Appellation König Ludwigs d. ßaj^ern von 1324. In urspr. Gestalt hrsg. von J. S c h w a 1 m . Weimar 1906. Wahrscheinlich wurde die Sachsenhäuser Appellation erst nach dem 11. Juli in Avignon bekannt. Ueber das besiegelte Exemplar vgl, die Collatio Klemens' VI., Hofier, Aus Avig- non S. 19. — Seh w a 1 m S. 7. 4) 1323 Nov. 12, hier schon als Extravagante bezeichnet, c. 4. de verb. signif. in Extra. Joh. XXII 5) Das gesch'ih f tst im Sommer 132o ^I ü 1 1 o r T 162 f § 9. COMPENDIUM MAIUS. 77 Johann XXII. in seinem fünften Prozesse vom 3. April 1327^) erklärt hat. Zwei Jahre verharrte Ludwig in der Exkommunika- tion und verhandelte schliesslich mit den italienischen Ketzern in Trient, wie er zum Nachteil der Kirche in die Lombardei einfallen könnte. Deshalb erliess Johann XXII. an demselben Tage (3. April) einen sechsten Prozess") und nahm Ludwig alle Kirchenlehen und das Herzogtum Bayern und löste alle ihm ge- schworenen Lehnseide. Noch einmal lud er ihn zum 1. Okt. vor sein Gericht. Aber der Bayer, nicht zufrieden mit den Ratschlägen seiner früheren Verführer, der Schismatiker, d. h. der Minoriten, folgte jetzt dem Marsilius und Johann von Jandun; und diese zusammen mit jenen haben den einst guten Ludwig ganz verdorben. Er nahm auch ein häretisches Buch von ihnen und liess sich oft daraus vorlesen: den Defensor Pacis. Hier finden sich nun unter vielen anderen Irrlehren auch die Sätze, die Johann XXII. in seiner Bulle oder seinem processus specialis: Licet iuxta doc- trinam verdammen liess; wir kennen sie bereits aus den anderen Traktaten. Der Vfr. begnügt sich sie aufzuzählen ohne weitere Bemerkung. Er kommt darauf zudem siebenten Prozesse^) : Dudum volentes, vom 23. Okt. 1327, dessen Verkündigung im öffentlichen Kon- sistorium der Vfr. selbst beigewohnt hat. Er hat gehört, wie der Papst mit grossem Schmerz diesen weiteren Schritt gegen Ludwig tat, indem er jetzt wegen der Usurpation der Regierung, der Verbindung mit Mailand und Ferrara, wegen des Erlasses der Sachsenhäuser Appellation und der Annahme des Defensor Pacis, dem Bayern die Pfalzgrafschaft bei Rhein und alle Reichs- und Kirchenlehen entzog und ihn öffentlich als Ketzer erklärte. Jeder Verteidiger des Defensor Pacis gilt als Ketzer. Als dann Ludwig in Mailand die eiserne Krone und in Rom von einigen römischen Bürgern, gegen die Bestimmung Nikolaus' IIL,*) die 1) Marlene et Durand II 682: Qiiia inxta doctrinam^ der Pas- sus: p.683 F. Vgl. R i e z 1 e r, Gesch. Bayerns II 365. Es handelt sich um Heinrich v. Niederbayern u. die Tochter Friedrichs d. Seh. Weiteres gibt der Vfr. über diesen besonders gegen Marsilius gerichteten Prozess nicht an. 2) Divinis exemplis, Martene et Durand II 671 ff. als fünfter Prozess, vor dem vorigen. 3) M a r t e n e et D u r a n d II 698 ff. 4) De elect. in li. VI", c. Fimdnmejtta. 78 II. FÜNF SCHRIFTEN GEGEN LUDWIGS ERLASS ETC. Kaiserkrone erhalten hatte, sprach der Papst am 30. März 1328 im achten Prozess ^) das Anathema über Ludwig aus und er- klärte seine Krönungen und alle seine Handlungen für ungültig, besonders auch seine Erlasse gegen König Robert. Die Bischöfe, die der Krönung assistiert hatten, werden exkommu- niziert und ihrer Aemter und Würden entsetzt, ähnlich wird in anderen Prozessen") der niedere, kaiserfreundliche Klerus be- straft. Mit einer Mahnung an den Leser, das Werkchen mit ge- horsamem, devoten Sinne zu lesen, und mit der Antiphon : Tu es Petrus, schliesst der Vfr. sein Kompendium. — Haben wir es auch nicht mit einer Streitschrift im eigent- lichen Sinne zu tun, wenn auch der apologetische Zweck offen eingestanden wird, so verdient diese kurze Analyse der grossen Prozesse gegen Ludwig d. B. durch einen Zeitgenossen, der an der Kurie selbst tätig war, doch einige Beachtung. Sie zeigt, welches Aufsehen das Vorgehen des Papstes überall, selbst an der Kurie, erregte, und welche Mühe man. sich nahm, es als völlig legal hinzustellen. 1) M a r t e n e et D u r a n d II 727 ff. 2) Das ist besonders die Bulle bei M a r t e n e et D u r a n d II 692 ff III. Streitschriften Konrads von Megenberg und Wilhelms von Occam a. d. J. 1338— 1354. § 10. Konrad von Megenberg, a) Planc^us ecciesie in Germa- niam, 1338. 1. Zur allgemeinen Charakteristik. Zehn Jahre später als die bisher genannten Kurialisten hat ein anderer Deutscher zur Feder gegriffen, um sich ebenfalls gegen die Politik der Kurie zu wenden, auch er war ein Anhänger des Papsttums und in späteren Jahren, wie wir sehen werden, ein eifriger Verteidiger der kurialistischen Theorie gegen ihre Angreifer. Aber er war zugleich ein patriotischer Deutscher, dessen Trauer und Zorn über die Behandlung des Reichs und seines Kaisers durch den Papst sich 1338 in einer heftigen In- Tektive gegen die Kurie und gegen die kirchlichen Misstände Luft machte. Konrad von Megenbergs Gedicht vom J. 1338, sein Klage- lied der Kirche über Deutschland, ist bereits vor 8 Jahren nach derselben Hs., die auch mir allein zu Gebote stand, eingehend von H. Grauert analysiert worden, so dass ich hier darauf verweisen kann.') Man wird trotzdem den bisher unterbliebenen Abdruck des Textes nicht für überflüssig halten. Verdient doch das Stück vom historischen, wie auch vom philologischen Standpunkt aus volle Beachtung. Es ist ein höchst interessantes Glied in der Entwickelung jener Streitschriftenlit- teratur, die sich mit den Kämpfen der Jahre 1327—1347 beschäf- 1) H. Grauert, Konrads von Megenberg Chronik und sein l'lanctus ecclesiae in CJermaniam (Hist. Jahrb. '22 : 19011, 6,^1—687). 80 III. KONRAD VON MEGENBERG UND OCCAM. tigt, und deren noch unbekannte kurialistische Vertreter wir kennen gelernt haben. Inhaltlich bildet der Planctus einen Ueber- gang zu den Ansichten der Antikurialisten, denen man den Ver- fasser aber doch nicht zurechnen kann. Denn er wendet sich ja an den Papst und seine Legaten, er will sich die päpstliche Gunst erwerben. Der Planctus ist im Grunde eine Supplik, eine „Bettelschrift," wie die oben erwähnten des Lambert und Opi- zinus, aber freilich von ganz anderer Art. Unter dem Gewände des populären Poeten, in einer Art Vagantenton, der sich in Uebertreibungen der Sprache, grotesken Scherzen und Bildern gefällt, versteht Konrad von Megenberg dem Papste bittere Wahrheiten zu sagen, wird er zu einem Widersacher der Kurie, der in seinen Angriffen der papst- feindlichen Partei nichts nachgibt. Aber wohlgemerkt: immer unter der Form des Spieles, des locus, gewissermassen unter dem Schutz der Narrenfreiheit tritt er vor den Papst. Er will ihn erheitern, man soll also seine Worte nicht so ernst nehmen. Alles liegt ihm ferner, als die Kurialen etwa zu verstimmen. Denn ihm kommt es ja auf eine Pfründe an; er will der Kurie nicht den Fehdehandschuh hinwerfen, wie ein Occam. Freilich die bittere Satire, die er über die Kurie und beson- ders über die Politik Johanns XXII. ausgiesst, kam ihm von Herzen. Die nationale Bewegung in Deutschland im Jahre 1338 hatte auch ihn erfasst, und zu einem Vorfechter der königlichen Sache gemacht. Aber wir wissen, dass er dabei, Bundesgenos- sen unter den Kurialen, ja unter den Kardinälen selbst hatte. Man braucht deshalb m. E. bei Konrad von Megenberg doch keinen förmlichen Parteiwechsel anzunehmen, nicht von einem psychologischen Problem zu reden, wenn er in späteren politischen Traktaten als treuer Anhänger der papalistischen Theorie erscheint, während er im Planctus ecclesle scheinbar mit Occam in gleichem Lager steht. Das ist eben doch nur scheinbar. Beides verträgt sich nebeneinander: scharfe Opposition gegen die päpstliche Politik und Vertretung der kurialistischen Doktrinen. Theorien über das Verhältnis der beiden Gewalten, ob das Kaisertum unmittelbar von Gott oder medlante papa von Gott sei etc., waren doch zu abstrakt, um danach allein den politischen Standpunkt im Par- teileben zu bestimmen. Megenberg war m. E. stets ein dem § 10. MEGENBEKÜ3 PLANCTUS. 81 Papsttum ergebener Kirchenmann der alten Schule; eine kirchen- politische Gesamtanschauung, wie die Occams, stand ihm immer fern. Das zeigt sich auch im Planctus. Man kann in der äusser- lichen Devotion gegenüber dem Papsttum kaum weiter gehen, als es hier Megenberg tut. Er spricht vom Papste nur als vom Vicechristus und zeigt sich durchdrungen von dem Gefühl der päpstlichen Machtfülle. An den Institutionen selbst wagt er nicht zu rütteln. Aber er besass allerdings auch ein starkes patriotisches Gefühl, wie es nicht alle seine Parteigenossen zeigten, wenn mir auch scheint, dass selbst bei Männern, wie bei Hermann von Schildesche, Sybert von Beck oder dem anonymen deutschen Schreiber der Kurie, bisweilen das nationale Gefühl stärker war, als die päpst- liche Theorie, zu der sie sich bekannten. So bietet es m. E. nichts befremdendes, wenn wir Megen- berg in jungen Jahren, unter dem Eindruck der grossen politi- schen Ereignisse der Jahre 1337—38, vielleicht auch persönlich enttäuscht über den Misserfolg einer ersten Bewerbung um eine Pfründe, Opposition gegen das Papsttum machen sehen. Es geschieht doch in sehr vorsichtiger, kluger Form, im Narren- gewand des unerfahrenen, jungen Scholaren. Und man darf nie vergessen, wie weit im Mittelalter auch der Kirche gegen- über die Redefreiheit ging, wenn der Autor sich der nötigen Kautelen und Klauseln zu bedienen wusste, um nicht für jeden Satz zu Verantwortung gezogen zu werden. Man wird bei der Beurteilung des Planctus sich vor allem gegenwärtig zu halten haben, dass es keine Prosaschrift ist, keine ernste politische Streitschrift, kein wissenschaftlicher Trak- tat, der ein System von Theorien verteidigen will; sondern ein ludus, ein scherzhaftes Spiel mit Worten und Versen^); — es schadet nichts, dass dabei sehr ernst gemeinte Wahrheiten mit einfliessen. Das liegt in der Natur der Satire. Den Hauptwert wird man auf die beiden Widmungen an den päpstlichen Kaplan und an den päpstlichen Legaten legen müssen. So wie er hier spricht, wollte Megenberg selber seine Parteistellung aufgefasst wissen. 1) Er ist gewissermassen das Gegenstück zu der affektierten lilhrlichkeit des Lambert von Huy, der erklilrt, dass er Prosa schreibe, um streng bei der Wahrheit bleiben zu können ! bchois. Analysen und Texte. 6 82 III. KONRAD VON MEGENBERG UND OCCAM. Zuerst am 1. Januar 1338 hat Megenberg sein Opus dem päpstlichen Kaplan Johannes de Piscibus ^) überreicht, damit dieser es weiter an den Papst befördere. Mit unsäglich schwülstigen Wendungen singt er zunächst das Loblied dieses Vermittlers der päpstlichen Gunst an der Kurie. Auf ihn setzt er seine ganze Hoffnung. Er kann sich nicht genug tun seiner jugendlichen Unerfahrenheit und Unwissen- heit und seiner Furcht vor der Person des Vicechristus Ausdruck zu geben. An diesen Löwen selbst sich zu wenden, wagt er nicht ; aber Johannes de Piscibus, der täglich im päpstlichen Palaste ein- und ausgeht, ist ja der Vertraute des Papstes: möge er ihm das kindliche Spiel, den iocus, den die rohen Verse enthalten, manchmal vorführen, d. h. wohl daraus vorlesen und das Weitere, das Benefizium, vermitteln ! Benedikt XII. hatte, wie wir weiter erfahren, Megenberg zwar eine Exspektanz auf ein Benefiz gegeben: aber Konrad hatte so viele Vordermänner, dass er zweifelte, je zum Genüsse des Benefiziums kommen zu können. Zu einer neuen Bewerbung aber war er von Johannes de Piscibus kaum zugelassen worden (fol. 26, cap. 31). Er beklagt sich bitter über die Schwerhörigkeit der Kurialen. Und er hatte auch jetzt kein Glück. Da machte er noch einen Versuch, sein Werkchen an den rechten Mann zu bringen. In dieser zweiten Widmung spricht er recht deutlich seine Ent- täuschung und seinen Aerger über die fehlgegangenen Er- wartungen aus.^) Diese zweite Vorrede ist gerichtet an den päpstlichen Legaten Arnold von Verdala, der am 13. Septem- ber 1338 von Benedikt XII. bei Ludwig d. B. beglaubigt wird,^) 1) Ueber die Stellung dieses legum preceptor s. G r a u e r t I.e. 669 f. Schwerlich ist er identisch mit jenem Johannes Piscis, der 1337 provisorisch mit der Verwaltung der Senatorengeschäfte in Rom beauftragt war; er war altararitis basilice principis apostoloriim de ürbe; vgl. R i e z 1 e r, Vatik. Akten nr. 1894 u. 1925, p. 692; T h e i n e r, Cod. dipl. dom. temp. II. 22 nr. 42. Am 15. Sept. 1337 traf der neue Vikar ein, also konnte J. P. vor I.Jan. 1338 wieder in Avignon sein, doch fungiert er noch im Oktober in Rom. Vgl. auch D a u m e t , Lettres closes etc. de Benoit XII. nr. 545 über den Nach- lass dieses J. P. (1338^ Dez. 31). Dagegen Vi dal, Benoit XII. Lettres comm. nr. 4110 (1337, Sept. 16). 2) In unserer Hs. eröfifnet sie den Text. 3) Hs. Virdello, das ist Verdalle, Dep. Tarn. Der Legat heisst hier capellanus domesticus et commensälis des Papstes. Riezler, Vat. Akten nr. 1974; in nr. 1975 wird er als geborener Franzose bezeichnet. Nr. 1976 § 10. MEGENBERGS PLANCTUS. 83 um Über die Unterwerfung des Kaisers unter den Papst zu ver- handeln. Die Ueberreichung der Schrift Megenbergs kann also kaum vor Ende September erfolgt sein; jedenfalls nach den politischen Ereignissen des Sommers, als die Wogen der patriotischen Erregung in Deutschland noch hoch gingen, als Lupoid von Bebenburg daran ging, seinen bekannten Traktat über die Reichsrechte zu schreiben *) und Occam und die Mino- riten neue Angriffe gegen den Papst schleuderten. In dieser Zeit allgemeiner Erregung ein Produkt, wie den Planctus, zu ver- öffentlichen oder dem Legaten zu überreichen, war eben kein Zeichen besonderer Kühnheit. Jedenfalls entsprach der Ton, der in dem Werkchen so laut erklingt, völlig der Stimmung, die damals in Deutschland vorherrschte. Die Unterwürfigkeit, die trotz alledem der Verfasser gegen das Papsttum zeigt, konnte nur zu seinen Gunsten sprechen. Er konnte damals ungescheut in der Widmung an den Legaten darauf hinweisen, dass die Hauptursache des Unheils capitum morbus sei, konnte mit bi- blischen Worten die Entartung, Selbst- und Habsucht der Prä- laten geissein und eine nahe Reformation prophezeien. Darauf wiesen damals mehr oder weniger deutlich selbst die festesten Stützen des Papsttums, wie Alvarus Pelagius u. a. hin.^) Wenn Konrad aber als zweite Ursache des Uebels die Geringschätzung bezeichnet, die wirklich gelehrte, tüchtige und fleissige Leute an der Kurie erfahren, denen keine Kommende, kein Benefizium zu teil wird, so merkt man, wie stark der persönliche Aerger über die verunglückte Pfründenbewerbung sich mit dem Patrio- tismus Megenbergs mischte. Zum Schluss weist er stolz darauf hin, dass er in dem Traktate, den er dem Legaten sendet, bereits vor einem Jahre dem Papste vorausgesagt habe, was jetzt eingetreten sei: also den Abfall Deutschlands, die Erklärung der staatlichen, natio- 1977 vom 13. und 14. Sept. Geleitsbriefe für den Legaten, vgl. nr. 1989, 2001, 2002, 2013, 2014, 2024, 2025-2027. Erst um den 23. April 13v39 war A. wieder in Avignon. — Vgl. auch Hofier, Aus Avignon, S. 17 f. 1) Publiziert ist er allerdings erst 1340 ; vgl. Herrn. Meyer in der unten angeführten Schrift, S. 1. 2) Man denke auch an die Sprache, die schon unter Bonifaz VIII. und Klemens V. ein Arnald von Villanova geführt hatte. \'gl. auch unten Ab- schnitt IV. 84 III. KONRAD VON MEGENBERG UND OCCAM. nalen Unabhängigkeit, wie sie soeben in Rense und Frankfurt erfolgt war. Dass Megenberg in dieser Zeit in Deutschland war und seine Schrift in Deutschland dem Legaten überreichen Hess, ist fast sicher'), da er selbst von seiner Anwesenheit im Juli, August 1338 spricht und nicht der geringste Anlass zu der An- nahme vorliegt, dass er vor dem 13. Sept. (dem Tage der Abreise des Legaten) nach Avignon gekommen sei oder die Schrift dorthin geschickt habe. Nach der Ankunft des Legaten in Deutschland bot sich viel leichter eine Gelegenheit ihm sein Werk zustellen zu lassen. 2. Zur Analyse des Inhalts. Ohne in das Detail einzugehen,^) seien einige Bemerkungen über den Gedankengang des Planctus gestattet. Das Gedicht zerfällt in zwei scharf geschiedene Teile. Der erste (cap. 1—78, fol. 2^ bis 18) enthält den Dialog zwischen Papst und Kirche über das Reich und über die allzu strenge Behandlung Kaiser Ludwigs. Ausser der Kirche tritt auch die trauernde Alemannia mit einem Gefolge von Rittern, Frauen und Jungfrauen auf, um ihre Klagen gegen den Papst vorzubringen; und auch der Autor selbst mischt sich als handelnde und re- dende Person hie und da ein. Der zweite Teil dagegen besteht in einem Gespräch zwischen Autor und Abra, d. h. der Magd und Schwester der Kirche, nämlich der Weisheit (vgl. cap. 28), über die Misstände im Klerus und besonders bei den Bettelorden. Auch hier ist der Schauplatz des Gesprächs die Kurie. Die Personen führen dem Papste gleichsam einen ludus vor. Wiederholt weist der Autor auf diese Form hin: es ist eine Art allegorisches Schauspiel in Versen. Was die Sprache anlangt, so leistet der Vfr. das Unglaub- lichste, um das Metrum seiner leoninischen Hexameter heraus zu bekommen: Zerschneidung eines Wortes in zwei durch ein arideres Wort oder einen ganzen Satzteil getrennte Hälften, 1) Vgl. Grauert 1. c. 672, 675 u. 655 Anm. 2) Ich verweise hierfür ausser auf den Text auf die vortreffliche Analyse G r a u e r t s a. a. O. § 10. MEGENBERGS PLANCTUS. 85 Verlängerung durch Einschieben einer Füllsilbe und ähnliche Verlegenheitsbehelfe, die aber immer mit einem Anstrich ge- lehrter Technik umgeben werden/) finden sich häufig. Der Wortschatz wimmelt von seltenen, oft unverständlichen Worten^ von Germanismen, gewagten Bildern und Vergleichen etc., kurz das Verständnis des Inhalts ist äusserst schwierig. Die Dunkel- heit des Textes wurde wahrscheinlich schon von Megenberg selbst so deutlich empfunden, dass er selbst, wie andere seiner Zeitgenossen,') eine ausführliche Interlinearglosse beifügte, die die Hauptschwierigkeiten erläutert. Einige andere, sachliche Erklärungen finden sich am Rande der Hs. Trotzdem bleibt so mancher Vers unübersetzbar. — Mit einer schwülstigen captatio benevolentiae an den Papst beginnt der Autor. Er erwähnt dabei, dass er kaum einen Monat Zeit zu der Arbeit gehabt habe^): ein weiterer Entschul- digungsgrund für die Mangelhaftigkeit derselben. Wie viele seiner poetischen Zeitgenossen kleidet auch Megenberg seinen Gegenstand in das Gewand einer Vision. Im Traume erscheint ihm die Kirche und die Alemannia mit ihrem Gefolge. In der allegorischen Beschreibung der Kleidung und des Gebahrens dieser Gestalten besteht eine Hauptkunst Konrads (cap. 2). Teilweise mit den Worten des Hohen Liedes wird die Kirche beschrieben, später vom Papste als seine Braut begrüsst und trotz ihrer Traurigkeit, leichtfertig genug, zu einem Spazier- gang und zum Kosen im Garten eingeladen (cap. 5). Hier deutet der Autor schon hin auf die Möglichkeit eines Zwiespalts, eines Schismas zwischen der Kirche und dem Papste (cap. 6). Aber der Papst ruft die Kirche, die sich von ihm abwen- den will, zurück und lässt sich die Ursachen ihres Schmerzes ausführlich erklären (cap. 7). Es beginnt nun die lange Anklage der Kirche, die sich zwar nicht direkt gegen den Papst selbst, wohl aber gegen die Kurie, den Hochmut und die Habsucht der Prälaten richtet, die der Papst ja kennt. Das Pharisäertum in der Kirche hat das Unglück 1) In der Glosse wird von themis und anderem mehr gesprochen. 2) Man vgl. z. B. die historischen (iedichte des Kardinals Jakobus Gae- tani Stefaneschi, vgl. Ig. Hösl, Kardinal Jakob Gaetani Stefaneschi (Ehe- rings Hist. Stud. H. 61) Berlin 1908, S. 40. 3) f. 2 v: Matn rix tneu^nnnts etc. 86 III. KONRAD VON MEGENBERG UND OCCAM. Deutschlands und damit weiterhin auch das der Kirche ver- schuldet. Denn das Imperium ist die feste Stütze der Kirche. Mit einer schönen, patriotischen Lobrede auf die Vorzüge der deutschen Nation eröffnet die Kirche ihre Klagen über die Verwei- gerung des Kaisertums an Ludwig (cap. 8 — 13). Das deutsche Volk ist gut, mutig, edel, munter, es ist die Blüte des Rittertums und der kriegerischen Kraft, gefürchtet von allen Völkern. Ohne seinen Schutz ist die Kirche den Dieben und Räubern, Hunden und Schweinen preisgegeben, die schon an ihren Kleidern zerren. Der Hochmut der Prälaten gibt den Adler, d. i. das Kaisertum, den pueri avari, den Königen von Frankreich und Neapel, preis. Aber dieser pharisäische Hochmut der Pfaffen wird bestraft werden wie die Habsucht der Juden in Deutschland, die man im Main und Rhein ertränkt.') Der Papst antwortet auf diese Worte der Kirche mit hoch- mütiger Verachtung der Deutschen ^) und fordert die Kirche auf, sich mit ihm auszusöhnen: denn im Einverständnis mit der Kir.he ist der Papst sicher, dass er nicht sündigen, nicht irren k nn. Die Kirche aber geht jetzt streng mit dem Papst selbst ins Gericht, weil er nicht auf sie höre. Sie weist nach, dass er persönlich keineswegs frei von Irrtum sei und oft den Versuchen der Buhlerin, d. h. des pharisäischen Hochmuts, unterlegen sei. Die deutsche grobe Einfalt lobt sie gegenüber der Verschlagen- heit und Falschheit der anderen Völker und verlangt die Zu- rückberufung des Adlers, des Kaisers (cap. 14—18). Megenberg schiebt hier eine lustige Anekdote ein, die die unbeholfene Ehrlichkeit der Deutschen, im Gegensatz zur wel- schen Art, charakterisieren soll (cap. 19). Aber die Kirche geht auf solche Scherze nicht ein (cap. 20—21). Der ernste Dialog zwischen Papst und Kirche geht weiter. Die Kirche wendet sich gegen die Lehre, die der Papst (cap. 22) verkündigt, dass er der wahre Kaiser sei, der Adler also der Welt nicht fehle, weil er, wie Moses, beide Schwerter habe. 1) Vgl. cap. 27 u. Grauert, 1. c. p. 682—684 über die Judenverfol- gungen der J. 1336 — 38. Ein Beispiel für den Ernst ilieser Drohung ist die Ertränkung eines päpstlichen Botens im J. 1337 zu Fritzlar, mitgeteilt von K. Wenck, Z. des Vereins f. hess. Gesch. N. F. Bd. 27, S. 251-259. 2) Man vgl. die Aeusserung Benedikts XII. i. J. 1338 über die deutschen Bären und Löwen, Böhmer-Ficker^ Acta imp. selecta p. 740 nr. 1046. § 10. MEGENBERGS PLANCTUS. 87 Davon will die Kirche nichts wissen: die Priester des NT. sollen nicht beide Schwerter haben, wie die des AT., sonst kommt es zur Vermischung von Weltlichem und Geistlichem, der Kaiser ist dann ebenso gut Papst, wie der Papst Kaiser (cap. 23). Der Papst soll nach dem Beispiel Christi und der Apo- stel leben, die keine grossen Schlösser besassen : eine deutliche Anspielung auf den Bau des mächtigen Papstpalastes in Avignon, den Johann XXII. begonnen hatte *). Das Gleichnis von den zwei Himmelslichtern erläutert weiter das rechte Verhältnis von weltlicher und geistlicher Macht; nicht Vermischung, sondern einträchtiges Zusammenwirken beider ist das Ziel, das in immer neuen Wendungen erläutert wird. Also eben jene Theorie der Koordination, die von imperialistischer Seite immer der Theorie der Unterordnung alles Weltlichen unter das Geistliche schlecht- hin entgegen gestellt wurde, findet hier in Megenberg ihren Anhänger, ganz im Gegensatz freilich zu seinen Anschauungen in seinen späteren Streitschriften. Die Laien machen schon keinen Unterschied mehr zwischen den habsüchtigen, verweltlichten Priestern und den Juden: aber- mals also eine Anspielung auf die deutschen Judenverfolgungen, die sich teilweise auch gegen den Klerus richteten, und, wie wir hier erfahren, in den Maingegenden auch die Bauernbevöl- kerung erregten. Ein Bauer war nach Konrad dort der Führer. Ludwig der Bayer hatte aber in Frankfurt den Verfolgungen ein Ende gemacht, Klerus und Juden geschützt und die Bauern- unruhen beseitigt. Drohend schliesst die Kirche: Wenn der Kaiser wollte, könnte er ebenso leicht das Volk auf den Klerus hetzen! (cap. 27). 2) Der Papst erwidert der Kirche ziemlich hochmütig, dass er zwar die Handhabung des weltlichen Schwertes nicht habe, wohl aber den Kaiser konfirmieren und approbieren müsse. Die Missachtung der Deutschen kommt abermals stark zum Aus- druck (cap. 30). Die Kirche will wissen, welchem Volke denn der Papst das Kaisertum geben wolle; sie warnt vor Lombarden und Franzosen. Charakteristisch ist hier die Bemerkung der \) Vgl. G r a u e t- 1 1. c. 644, n. 1. 2) Vgl. dazu G r a u e r t 1. c. 682 ff, u. bes. Böhmer-Fickor, Acta imp. nr. 1042, p. 725 f. über den Bauernführer in Franken, den rex Arniledcr; Job. V. Vi ktri n g lib. VI., c. 3 u. 7. ed. F. Schneider II 1%. 20) f. (17Si. 88 111. KONRAD VON MEGENBERG UND OCCAM. Kirche, dass der Papst ihr grösseren Respekt schulde, als den Kardinälen, dass sie seine Herrin sei, und er ihr nicht das Wort verbieten dürfe. Der Unterschied zv^ischen Papsttum und Kirche, den die Kurialisten möglichst zu verwischen suchen, wird also scharf hervorgehoben, ja eine gewisse Ueberordnung der Kirche über den Papst betont (cap. 32). Das Zwiegespräch wird jetzt immer lebhafter, der Papst bleibt bei seiner Verachtung der Deutschen, die Kirche will von den anderen Völkern nichts wissen. Sie weist nach, dass nur der Neid und Hass der Prälaten den Deutschen ein Hemmnis war; Heinrich VII., Konradin, Friedrich II. sind ihm erlegen, und Ludwig d. B. ist in derselben Gefahr. In einem verzweifel- ten Aufschrei sieht die Kirche die Gefahr nahen, dass, wie einst die Griechen, so jetzt die Deutschen sich von der Kirche ganz lossagen, um das Kaisertum sich zu retten (cap. 37). Diese Drohung macht den Papst endlich stutzig, er geht jetzt ernsthafter auf die Beschwerden der Kirche ein und er- kundigt sich nach dem Grunde der Klagen Deutschlands. Als er aber hört, dass es um Ludwig, „den Bettler um sein Recht", wie er ständig genannt wird, trauert, erklärt er, dass Ludwig niemals zu Gnaden angenommen werden könne, sondern nur Deutschland allein. Ludwig sei ein Schismatiker und könne nicht in den Schoss der Kirche aufgenommen werden, weil er einen Gegenpapst eingesetzt habe. Doch die Kirche wirft dem Papst abermals Habsucht und Parteilichkeit vor, weist darauf hin, dass Ludwig alles getan habe, um seine etwaigen Sünden zu bereuen, dass er sich des Kaisertums jetzt würdig zeige und von allen Kurfürsten anerkannt sei. Den Gegenpapst Hess er nicht ohne den Rat des Klerus wählen; die Minoriten und Mar- silius und Johannes von Jandun haben ihm bewiesen, dass er gesetzlich dazu befugt sei. Auf diese Feinde der Kirche fällt also der ganze Vorwurf, nicht auf den Kaiser. Es ist ein ein- facher Laie; wenn er gewollt hätte, hätte er der Kirche grossen Schaden tun können, aber er ist langmütig. Er wartet lächelnd den rechten Augenblick ab, seine Feinde zu vernichten; er ist nicht rasch in seinem Vorgehen, sondern wohlüberlegt, aber tapfer und kriegerisch (cap. 38—44). Diese merkwürdige Charakteristik Ludwigs des Bayern, auf § 10. MEGENBERGS PLANCTUS. 89 die schon Grauert hinwies/) scheint auf guter Kenntnis des Kaisers zu beruhen; sie harmoniert mit andern zeitgenössischen Schilderungen und gibt anscheinend wesentliche Züge dieses schwer zu durchschauenden Charakters richtig wieder. Den Vorwurf des Papstes, dass Ludwig der Zitation Jo- hanns XXII. nicht Folge geleistet habe, entkräftet die Kirche mit dem Hinweis auf die Gefahr für Ludwig, sich nach Frank- reich zu begeben. Solange er schwach war, wartete er ab, als seine Macht in Deutschland gewachsen war, ging er nach Rom und Hess dort geschehen, was er jetzt bereut und wofür er Verzeihung erbittet (cap. 45. 46). Aber der Papst stellt als Bedingung der Aussöhnung: Ver- zicht Ludwigs auf das Imperium (cap. 47). In scharfen Worten weist die Kirche diese Forderung als unvernünftig zurück und deutet auf das Unheil hin, das der Untergang des Reiches für den Papst selbst im Gefolge haben würde. Der Papst kann ja kaum seine „schwarzen Mönche" im Gehorsam halten. Die Kirche richtet schliesslich ihr Gebet um Rettung und Aufnahme des Kaisers an die Jungfrau Maria, sie wird für ihn bitten ; allerhand Vorzeichen, wie ein 1337 erschienener Komet u. a.,'-) deuten auf die Teilnahme des Himmels an Ludwigs Schicksal hin, denn keiner hat grösseren Eifer für den Glauben gezeigt, als er. Wenn doch die Prälaten so eifrig wären ! (cap. 48 — 55). Darauf erwirkt die Kirche beim Papste die Erlaubnis, die trauernde Alemannia mit ihren Rittern und Frauen eintreten zu lassen, um selbst ihre Beschwerden vorzubringen. Der Papst nimmt das blass und elend aussehende Deutschland freundlich auf und lässt sich seine Leiden erzählen (cap. 56 — 59). Es beginnt nun eine lange Klage der Alemannia (cap. 60—68), deren Inhalt kurz gesagt eine beschwörende Aufforderung an den Papst ist, Ludwig in Gnaden anzunehmen und als Kaiser zu approbieren. Die Klagen über die Kurie und die Politik des Papstes, die schon die Kirche vorgebracht hat, kehren hier wieder. Der Papst erscheint als Werkzeug Frankreichs und Roberts von Neapel (cap. 60); infolgedessen verachtet er die Deutschen, zieht ihnen 1) 1. c. 686 f. 2) Vgl. Grauert 1. c. 655 n. u. in SB. d. Münchener Akad. phil. bist. Kl. 1901, S. 249. 90 III. KONRAD VON MEGENBERG UND OCCAM. alle anderen Völker vor. Aber Deutschland droht, lieber Papst und Kirche zu verlassen und, wie ihre ältere Schwester Griechen- land, sich von ihnen loszusagen, als ihren Kaiser aufzugeben. Also zum drittenmal, wie schon in cap. 6 und 37, die Drohung mit dem Schisma, mit dem Abfalle von Rom, der im J. 1337—38 in Deutschland, besonders in den Reichsstädten des Südens, allerdings ja gewissermassen in der Luft lag.^) Aber noch einmal wendet sich Deutschland zum Papste zurück. Als seine Fürbitter stellt es dem Papste zunächst die deutsche Ritterschaft vor (cap. 63. 64); dann die Jungfrauen (cap. 65), ferner die jungen Kleriker und Scholaren und endlich die Kai- serin Margarete selbst, die schwanger ist ^): alle flehen um Er- barmen für Ludwig. Die Alemannia weist auf die schlimmen Folgen des Interdikts, auf die unsicher schwankende Haltung des deutschen Klerus, aber auch auf das einmütige Eintreten der Bischöfe für ihren Kaiser (cap. 66) hin. Aber der Papst bleibt auf alle diese leidenschaftlichen Wor- te stumm; die Kurie schweigt. Da befiehlt die Kirche Deutsch- land heimzukehren, weil ihr Aufenthalt an der Kurie nutzlos sei. Das Ganze ist vielleicht eine Reminiszenz an die Miss- erfolge der deutschen Gesandtschaft an der Kurie im Herbst 1337: die politischen Verhältnisse dieser Zeit, der Sieg des fran- zösischen Einflusses über den schwachen Papst, liegen Konrads Schilderung zu Grunde. Vom Papste gar nicht weiter beachtet, von der Kirche aber mit warmen Trostesworten verabschiedet, verlässt Alemannia die Kurie, und auch der Vfr. will sich ihr anschliessen, denn er sieht, dass seine Bewerbung erfolglos ist (cap. 67—75). Die Kirche nimmt darauf noch einmal das Wort zu einer eindringlichen Warnung des Papstes : die Trennung Deutschands würde die Kirche schutzlos machen und ihr alle Grösse und allen Glanz nehmen. Aber der Papst heisst sie schweigen; jetzt will er sich nicht mit solchen Dingen abgeben, er verschiebt die Antwort (cap. 78). 1) Vgl. Grauert, 1. c. 621, 658 n. und bes. das Schreiben der Stadt Hagenau bei Ficker, Zur Geschichte d. Kurvereins zu Rense (Wiener SB. Bd. 11, S. 700 f.). K. Müller, Kampf II 61. 2) Vgl. dazu Grauert, 1. c. 685 f. R i c z 1 e r , Vatikan. Akten nr. 1304 S. 838. § 10. MEGENBERGS PLANCTUS. 91 Damit beginnt der zweite Teil, der gewissermassen ein Gegenspiel zu dem ersten ist. Wie der erste die üblen Folgen der kurialen Politik im Staate, im Imperium zeigt, weist der zweite auf die Schäden und Gebrechen innerhalb der Kirche selbst hin, wie sie ebenfalls von der Kurie geduldet oder ge- fördert werden. In einer kurzen Einleitung widerlegt der Vfr. in satirischer Weise die Klage der Kirche über das Aufhören der Harmonie in der Kirche, indem er auf den „harmonischen" Gesang der Klosterbrüder hinweist, die täglich sich vermehren : weisse, schwarze, graue Mönche, hunderte und tausende in jeder Stadt, die Klöster sind übervoll; Schwestern und Brüder wohnen zu- sammen, singen zusammen und stellen sich an, als ob sie Hel- dentaten verrichteten, wenn sie disputieren und Postillen schrei- ben etc. (cap. 2). Hier fordert die Kirche ihre Magd Abra, die sich später als die Weisheit zu erkennen gibt, auf weiter fort- zufahren; sie selbst will über so schmutzige, hässliche Dinge, wie die Zustände in den Orden, nicht reden (cap. 4). Es sind also wohl Meinungen, wie sie in Laienkreisen oder in den Kreisen der Scholaren und Magister an den Universitäten, vor allem in Paris, laut wurden, die wir jetzt erfahren. Die Abra schildert zunächst die gulositas und invidia der Mönche; ihre Betrügereien beim Genuss der Kirchengüter; die Simonie; ja noch Schlimmeres: Giftmischerei, ihr erlag ja Hein- rich VII. (cap. 5). Man sieht, wie diese Fabel vom Tode Hein- richs VII. damals noch in Deutschland geglaubt wurde.') Kayphas, Pilatus, Herodes, Judas und Simon Magus sind jetzt Bischöfe ! Die Mönche haben die Irrlehren von der Armut Christi erfunden; sie nähren die falsche Lehre von der visio beata; das Klare und Deutliche wird durch ihre Streitereien zweifelhaft und unklar; die Kirchenväter gelten nicht mehr, Ari- stoteles und Averroes herrschen (cap. 8). Zwar stellt der Vfr. Konrad selbst einige Einwände auf, aber freilich nur ironisch; denn er gibt i. G. die Wahrheit der Schilde- rung des Mönchswesens zu (cap. 9—11). Abra erzählt auch sofort ein neues Beispiel von der Habsucht und Schamlosigkeit der Mönche: den Streit um das Begräbnis eines Reichen, der in 1) Der Mörder sei jetzt prcanl sagt Konra 1 in cap. \1. 92 III. KONRAD VON MEGENBERQ UND OCCAM. ein grobes Handgemenge zwischen Welt- und Klostergeistlichen ausartet (cap. 14), Szenen, die ja tatsächlich vorgekommen sind, die w^ir aus urkundlichen Quellen belegen können.^) Die Abra tadelt weiter das luxuriöse, weltliche Auftreten der Mönche und Aebte, die alle den reichen Abt von Cluny nachahmen möchten und mit grossem Gefolge einherziehen (cap. 15. 16). Der Autor nimmt noch einmal die Priester etwas in Schutz (cap. 17); aber die Weisheit nennt seine Worte kindlich naiv. Sie erzählt, wie die Armen nicht, wie Konrad gesagt hatte, gepflegt, sondern geschlagen und verachtet werden von den stolzen Klerikern (cap. 19); wie sie ihre Gebete und Fürbitten an unreine und böse Menschen verkaufen; wie das Yolk sagt: ein Miserere für einen Pfennig (As), ein De profundis für ein fri- sches Ei, wenn sie auch beteuern, dass ein Miserere auch nicht für 100 Mark und ein De profundis nicht um 1000 Mark einem anderen als einem bussfertigen Menschen feil sei (cap. 20). Im Anschluss daran erzählt Abra eine lange, sehr burleske Geschichte von einem Bauern, der in seiner Einfalt sich von diesem Missbrauch der Indulgenzen täuschen lässt und dann höchst aufgebracht über Priester und Heilige ist, als er über seinen Irrtum aufgeklärt wird. An Türen und Säulen der Kirche sind Inschriften angebracht, die 1000 und 100 Tage Ablass dem gewähren, der der Kirche seine Gaben bringt. Der Bauer kann nicht lesen; lustige Scholaren klären ihn auf, wenn er der Kirche irgend etwas, eine geringe Gabe nur, gebe, könne er sich auf 100 000 Tage von allen Sünden befreien. Der schlaue Bauer denkt ein Geschäft zu machen. Die Eier, die er zu Markte bringen wollte, opfert er der Kirche, denn der Markt des hl. Nikolaus scheint ihm besser. Er holt noch alte Eier dazu und zählt 3000 oder 4000 ab: mehr als er je in seinem weiteren Leben Sünden begehen kann. Nun glaubt er sich gegen alle An- fechtungen sicher; er bringt seine Eier St. Nikolaus dar und fühlt sich als „Sanctissimus Adam'\ der keine Sünden mehr tun kann. Da kommt ein wirklich frommer Priester, klärt ihn über seinen Irrtum auf und belehrt ihn, dass nur denen, die gebeichtet 1) Ich verweise hier z. B. auf die an solchen Dingen reichen Consilia des Petrus de Monte Lauduno (gedruckt Frankfurt 1576), aus der Zeit Johanns XXII., eine für die politische und kirchliche Geschichte diese Zeit noch zu wenig beachtete Quelle. Vgl. oben S. 36, n. 3. § 10. MEGENBEKGS FLANCTUS. 93 und aufrichtig bereut haben, dieser Ablass erteilt werde. Der aufgebrachte Bauer vergreift sich darauf tätlich an dem Priester und der Statue des St. Nikolaus und erklärt den ganzen Ablass für Pfaffenbetrug. Mit offenbarem Wohlgefallen hat Konrad diese derbkomische Geschichte im Stile der Volksdichtung ausgemalt; ob irgend ein wirkliches Vorkommnis zugrunde liegt, ist natürlich nicht auszumachen.') Dass der Vorgang ins Burleske übertrieben ist, ist zweifellos. Aber man wird doch sagen müssen, wenn eine so bittere Satire auf das Ablasswesen geschrieben werden konnte, müssen die Uebelstände schon krass genug gewesen sein. Dass die feine, scholastische Doktrin der Kirche zu groben Missverständnissen führen musste, liegt auf der Hand und ist bekannt; dass diese Missverständnisse stillschweigend zu fiskalischen Zwecken ausgenutzt worden sind, ist sicher. Wir erinnern uns, dass ein Mann wie Hermann von Schildesche, der das Ablasswesen in der Theorie, wie in der Praxis gut kannte, bereits in derselben Zeit auf die Gefahren hinwies und vor der weiteren Ausdehnung warnte. Um so interessanter ist das davon unabhängige Zeugnis Konrads von Megenberg, das einen tiefen Blick in die grobe, volkstümliche Auffassung und ihre Folgen, Erschütterung des Glaubens an die Gnadenmittel der Kirche oder grobe Veräusserlichung, ja Vernichtung des sittlichen Verantwortlichkeitsgefühls tun lässt, in einer Zeit, in der eben diese Misstände im Entstehen waren. Aber die Abra weiss noch mehr Betrügereien des Klerus zu erzählen. Die Mönche lassen die Fassaden ihrer Klöster und Kirchen verfallen, um Gaben zum Kirchenbau zu erbetteln, während die hinteren Räume wohl ausgebaut und ausgemalt sind (cap. 22). Alle wollen wenigstens zehn Pfründen; viele leben unkeusch, andere gehen in Waffen umher (cap. 23). — Es sind hier wohl hauptsächlich französische Zustände, die Megenberg schildert, wie er sie als Scholar in Paris kennen lernte. In den folgenden Schlusskapiteln fordert die Abra den Autor auf, zu seinen Studien zurückzukehren, auf die Eitelkeit der Welt zu verzichten, sich in Paris mit ihr, der Weisheit, zu vermählen (cap. 24—26). In Avignon habe er nichts mehr zu 1) Konrad behauptet den Bauern zu kennen. 94 III. KONRAD VON MEGENBERG UND OCCAM. hoffen, Arme erhalten hier nichts ; wer fast nichts hat, verliert hier noch das Wenige, was er hat. Nur der Reiche findet offene Türen (cap. 27. 28). Der Vfr. kehrt reuig zur Weisheit zurück nach Paris, denn das Benefiz, das Benedikt XII. ihm anwies, kann er nicht aus- nützen; zum Examen der Bewerber ist er kaum zugelassen worden. Dennoch empfiehlt er sich dem Examinator Johannes de Piscibus aufs Neue. Die Prälaten an der Kurie, die taub bleiben, vergleicht er mit den Heiligenstatuen in den Kirchen; der Papst zieht sich in seine Burg zurück und lässt sich selten sehen (cap. 29—35). — Als Stimmungsbild der politisch bewegten Jahre 1337—38 wird der Planctus ecciesie Konrads von Megenberg von dauern- dem Werte sein. So subjektiv gefärbt, von persönlicher und nationaler Erregung getrübt auch seine Darstellung der kirch- lichen Zustände sein mag, die Stimmung sowohl an der Kurie gegenüber Deutschland, wie in Deutschland gegenüber dem Papsttum hat er offenbar richtig gezeichnet. Und die Einzel- bilder, die er von dem Treiben der Orden, dem Hochmut des hohen Klerus, den Zuständen an der Kurie etc. gibt, sind bei aller Einseitigkeit, doch in ihrer unmittelbar aus dem Leben gegriffenen Anschaulichkeit sehr bedeutsam. Ueberall zeigt sich der junge Autor als scharfer Beobachter. Weniger als poli- tischer Theoretiker, als vielmehr als Sittenschilderer, als Sati- tiriker und als patriotischer Anwalt der Rechte Deutschlands gegenüber dem Auslande tritt er auf; nicht als ein prinzipieller Gegner des Papsttums, wie Occam oder Marsilius, sondern nur als Mahner und Warner, in jugendlicher Reformbegeisterung von den Ereignissen des Tages ergriffen. Bald genug hat sich dieser Eifer abgekühlt. Wie die politische Situation in Deutsch- land sich in den nächsten Jahren wieder rasch zu Gunsten der Kurie änderte, so wurde aus dem Mahner uud Tadler ein eifriger Verteidiger des Papsttums. Das werden die beiden folgenden Schriften zeigen. § 10. MEGENBERGS DE TRANSLATIONE IMPERII 95 b) Qe t^ranslahone Romani imperii. 1. Veranlassung und Abfassungszeit. Fast noch unbekannt ist das Buch, das Konrad von Megen- berg im Jahre 1354 dem neuen Könige Karl IV. widmete.*) Es ist wohl die ausführlichste Erörterung der Frage nach dem Ver- hältnis von Imperium und regnum zum Papsttum, die in dieser Zeit entstand, zugleich eine umfassende Widerlegung des Stand- punktes, den Lupoid von Bebenburg in seinem bekannten Buche eingenommen hatte. Aber darüber hinaus geht doch sein poli- tisches Ziel. Er wendet sich in der Vorrede an den König. Zwei Gefah- ren stellt er ihm vor Augen : die Zwietracht der deutschen Königswähler und die Bosheit der Ausländer, die den römi- schen Adler mit „bäuerischen" Fingern zu entfedern suchen. Das Gefährlichste scheint die innere Zwietracht. In leiden- schaftlichen, harten Worten schilt der Verfasser die Torheit und Kurzsichtigkeit seiner Landsleute, die den äusseren Feinden ihre Angriffe so leicht machen. In allegorischen Bildern schmäht er die Bestechlichkeit und Treulosigkeit der Wähler, die um schnöden Gewinnes wegen ihren Herrn verlassen. Gegen diese Gefahren von innen und von aussen sehen die Freunde des Reichs nur ein Hilfsmittel, die Weisheit und den Reich- tum des Königs. Das Ziel aber aller Kämpfe des Königs muss sein für Christus zu streiten, also auch die streitende Kirche zu verteidigen, ein Schild zu werden für den Klerus Christi. Er möge sich erinnern des milden Wortes Konstantins des Grossen, der die Sünden des Klerus mit seinem Mantel ver- decken wollte : so möge auch er mit dem Papste nicht wie ein Söldner um Milch und Wolle der Schafe Christi streiten, und nicht seinen Vorteil, sondern Gottes Anteil bei allem im Auge haben ! Denn schlimmer noch als der innere Zwist der deut- schen Fürsten, ist der Kampf zwischen Papst und Kaiser, der nicht nur das Imperium, sondern auch die ganze universale Kirche ergreift. Karl habe einen guten und friedlichen Regie- 1) Ausser den Exzerpten bei Höfler, Aus Avignon S. 24 ff. vgl. S. Riezler, Litter. Widersacher S. 292. — H. Grauert, Hist. Jahrb. 22, S. 634, auch Ph. Schneider, Hist. Jahrb. 25, S. 70 5. I'>iedjung, Kai- ser Karl TV. .S. 68 ff. 96 III. KONRAD VON MEGENBERG UND OCCÄM. rungsanfang gehabt, möge mit Gottes Hilfe auch das Ende ebenso sein. Wichtiger als alles ist Konrad die Erhaltung des Friedens zwischen dem Reiche und der Kurie. Eindringlich warnt er den König vor neuem Zwist, nicht weil er ihn schon jetzt fürchte für die Zukunft, sondern nur weil er zurück denke an die schlimmen Zeiten der Staufer, Heinrichs VII. und Ludwigs des Bayern. Doch wenn man die Zeitumstände erwägt, unter denen Konrad seinen Traktat überreichte, so darf man vielleicht ver- muten, dass auch etwas Sorge um die Zukunft sich einmischte. Es war im April 1354 in Nürnberg, kurz vor Karls Aufbruch nach der Schweiz zum Zuge gegen Zürich, als Konrad dem König persönlich seine Schrift zu überreichen suchte*) — übrigens vergeblich, denn in dem Drange der politischen Ge- schäfte fand Konrad keine Gelegenheit sich dem Könige zu präsentieren. Es war die Zeit, in der noch die Unterhandlungen Karls mit Innozenz VI. über die Kaiserkrönung schwebten, und es ist bekannt, wie diese keineswegs ohne alle Schwierigkeiten waren. Am 26. Sept. 1354 konnte Karl die Romfahrt antreten. Aber im April war noch nichts entschieden, und Konrad mochte diese Zeit für geeignet halten, um den König ernstlich auf die Erhaltung der guten Beziehungen zur Kurie hinzuweisen, ihn zu warnen in die Bahnen seines Vorgängers einzutreten und sich etwa Lehren hinzugeben, wie sie noch vor wenigen Jahren der eigene Grossoheim des Königs, Balduin von Trier, vertreten hatte, und wie sie dann im Jahre 1340''), unter unmittelbarem Ein- fluss Balduins, Lupoid von Bebenburg in seiner dem Erzbischof gewidmeten, berühmten Schrift über die Rechte des Reichs weiter entwickelt hatte.^) Diesen Einflüssen, die vielleicht immer noch am luxemburgischen Hofe vorhanden waren/) jedenfalls 1) Vgl. den Schluss des Traktates gegen Occam und ebenda das Prooemium. 2) Vgl. darüber jetzt Herrn. Meyer, Lupoid von Bebenburg. Studien zu seinen Schriften. Studien u. Darstellungen a. d. Geb. d. Gesch. hrsg. v. H. Grauer t VII, 1-2. Freiburg 1909. 3) Vgl. über Balduins Bedeutung in dieser Hinsicht: K. Höhlbaum, Der Kurverein von Rense, Abh. d. Göttinger Ges. d. Wiss. 1903, N. F. VII. S. 38 ff. und M. Krammer, Wahl u. Einsetzung des deutschen Königs im Verhältnis zu einander. Qu. u. Studien z. Verfassungsgesch. des deutschen Reichs, hrsg. v. K. Zeumer, I, 2. 1905, S. 60. A. 2. 4) Vgl den vSchluss der Widmung an Karl IV. mit dem Hinweis auf § 10. MEGENBERGS DE TRANSLATIONE IMPERII. 97 bei Verhandlungen, wie den vorliegenden, wieder aufleben konnten, wie sie ja kurze Zeit darauf bei der Abfassung der Goldenen Bulle m. E. wenigstens latent wirksam gewesen sind*), will Konrad entgegentreten durch eine eingehende Widerlegung der Schrift Lupolds. Kurz vorher erst (25. Jan. 1354) war Balduin von Trier gestorben. In sehr behutsamer und sachlicher Weise ist diese Polemik geführt, alles vermieden, was Lupoid, den Konrad nie anders als dominus meus nennt, verletzen konnte. Er erklärt aus- drücklich, nur eine abweichende Ansicht begründen, seinen Gegner aber weder korrigieren, noch ihm widersprechen zu wollen: denn er sei nicht würdig, ihm die Schuhriemen zu lösen. Alles, was mit seinen Ansichten übereinstimmte, hat er wörtlich aus dem Traktate seines Widerparts übernommen. Mit den „goldenen Schwingen dieses smaragdenen Schreins der Rechts- gelehrsamkeit" (p. 460) beginnt er seinen Flug. Wir wissen ja, dass Konrad von früh an freundschaftliche Beziehungen zu Lupoid hatte, dass er ihm sein grosses, leider verschollenes Buch Oeconomica widmete^). Die Verehrung für seinen eben erst (13. Jan. 1353) zum Bischof von Bamberg er- hobenen Freund ist auch in dieser grundsätzlich gegen ihn gerichteten Schrift deutlich zu erkennen; und es stellt beiden Männern ein gutes Zeugnis aus, dass der politisch so verschie- dene Parteistandpunkt ihre persönlichen Beziehungen an- scheinend nicht alterierte. Wie ganz anders ist da das Verhalten die coyvi oculis obltquis und nialigni interpyetes am Hofe. S. auch Fried- jung, Karl IV. p. 71. 1) Anders K. Zeumer, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Qu, u. Studien z. Vfgsg. ll.j, Weimar 1908, S. 193 ff. Vgl. auch A. Hauck, Deutsch- land und die päpstliche Weltherrschaft. Leipziger Rektoratsprogr. 1910. S. 50 f. 2j Vgl. Ri ezl er, Widersacher S. 288 lt. Pfeiffer, Das Buch der Natur von Konrad von Megenberg S. IX f. — Ueber die Oeconomica vgl. auch De translatione imperii cap. 21: qtte hie et alibi de hoc materia sri'psi, und T r. c o n t r a W i 1 h. O c c a m cap. 8 Schluss : alias feci raciones in secimdo ycououiice mee ; so stand statt der Korrektur cronice ursprünglich an der radierten Stelle im ms. Eichstad., wie noch in Spuren zu erkennen ist ; die Lesungen Grauerts und P h. .Schneiders sind irrig, vgl- Hist. Jahrb. B. 25, S. 703ff. Damit fallen auch m. E. die Fol- gerungen über die angebliche Chronik Megenbergs. Die Oeconomica sind also noch vor den beiden obigen Streitschriften verfasst. Scholz, .Analysen mul r Ebenso in der Schrift über den Unterwerfungseid. 182 KONRAD VON MEOENBERG UND OCCAM. ihr losgesagt. Um seine Motive klarzulegen, will er nun ausführlich über den Charakter dieser entarteten Kirche sprechen. In erste Linie stellt er in dieser Schrift das Unrecht gegen das Reich und den Kaiser, also die politischen Vergehen der Kurie. Erst am Schlüsse, in der uns verlorenen Partie, kommt er auf die kirchliche Tyrannei, die Verfolgung der Spiritualen. So hat sich der Standpunkt Occams seit 1328 verändert: aus dem ur- sprünglich rein theologischen Polemiker ist ein Verteidiger des Staats und und der staatlichen Rechte geworden. Schon in der Schrift über Fidem catholicam von 1338, dann in den YIII. Quaestiones, in der Schrift für den englischen König und endlich in dem vorliegenden Traktate lässt sich der veränderte Kurs bemerken, der ja auch in der Anlage des Dialogus deut- lich zum Ausdruck kommt. Freilich bleibt Occam immer Theo- log, auch in der Behandlung der staatsrechtlichen Probleme. Aber die speziellen Streitfragen, die zwischen den Minoriten und der Kurie schwebten, beherrschen ihn doch seit 1338 nicht mehr so ausschliesslich wie vorher, was ja auch im Gange der äusseren Ereignisse, der vorläufigen Beendigung des Armuts- streits, der Fortdauer der Kämpfe um die Autonomie des Impe- riums, begründet war. In keiner seiner früheren Schriften aber findet sich eine so scharfe und wegen ihrer Knappheit umso wirksamere Anklage gegen das Papsttum, wie in unserem Traktate. Nicht gegen die Person des Papstes, wie in den Schriften gegen Johann XXII., Benedikt XII. und Klemens VI. wendet sich jetzt Occam, sondern vielmehr gegen die kuriale Politik, gegen das System und seine Vertreter im allgemeinen Sehr bezeichnend ist der Anfang. Wenn die Fürsten und Völker, so meint er, klar erkannt hätten, welches Elend und welche Tyrannei die Kirche von Avignon über die Christenheit bringt, so würden sie sich hüten, sie weiter zu begünstigen '). Deshalb will er vor allem zeigen, wie überall die Kirche von Avignon die antiqui termini überschreitet, und zu diesem Zwecke zuerst feststellen, welches diese antiqui termini sind. Zunächst gilt es da den Begriff der plenitudo potestatis zu 1) Man kann vermuten, dass er dabei an Karl IV. dachte und an die Kurftirsten, wie Balduin von Trier, die jetzt für ihn, gegen Ludwig, einge- treten waren. § 11. OCCAM DE IMPERATORUM ET PONTIFICUM POTESTATE. 183 fixieren. Sie ist keine schrankenlose Gewalt im Geistlichen und Weltlichen. Christus setzte der Macht, die er Petrus übertrug, bestimmte Grenzen (cap. 1). Diese Grenzen der Gewalt Fetri be- zeichnen die Grenzen der päpstlichen Macht. Zunächst steht fest, dass das Papsttum sich nicht regelmässig auf die welt- lichen Geschäfte erstreckt, und dass es ebensowenig (im Geist- lichen) opera supererogaioria verlangen kann, d. h. also seine Macht ist keine Willkür: es hat vielmehr die Rechte und Frei- heiten der Christen, vor allem der Fürsten, zu respektieren. Ferner (ausser den negotia seciilaria, iura et libertates aliorum und den supererogatoria) sind ausgenommen von der päpstlichen Gewalt alle frivolen, unnützen und indifferenten Dinge, wenn man auch in solchen Fällen, wenn der Papst darüber Anord- nungen erlässt, ihm äusserlich die schuldige Ehrerbietung nicht versagen soll. Endlich darf der Papst den Christen die wirklichen Pflichten des Gehorsams nicht durch lästige Bestimmungen erschweren (cap. 2—5). Das Papsttum ist ein prin- cipatus ministrationiSj bestimmt zum Nutzen der Untertanen : darin ähnelt es der vornehmsten Art des principatus regalis, der vielleicht nie, weder von Gott, noch von Menschen verwirklicht worden ist, (cap. 6) d. h. also es kommt für Occam doch dem Idealbild irdischer Regierung am nächsten, dem regnum im aristotelischen Sinne'). Die vielen schlimmen Folgen, die die Nichtbeobachtung dieser Grenzen der päpstlichen Macht gehabt hat, zählt Occam im Folgenden auf: ungerechte Exkommunikationen und Interdikte; Parteilichkeit und Ungerechtigkeit in der Aemterverteilung, Bür- gerkriege, Minderung der Zahl der Gläubigen. All das würde besser werden, wenn die Päpste den Kaiser nicht an dem Ge- brauche seiner Macht hinderten. Zunächst werden nun eine Reihe Zitate des NT. angeführt zum Beweis, dass das Papsttum sich nur erstreckt ,,auf das, was nötig ist zum Heile der Seelen und zur Leitung der Gläu- bigen". Der Charakter des principatus minist ratio nis wird stark hervorgehoben ; der Papst soll der Diener der Gläubigen sein, nicht ihr Herr (cap. 7). Es gilt nun genauer, positiv den Inhalt der päpstlichen 1) Nach Aristoteles Politik IV (VII). 3, 1325b 10 ff ; vgl. III, 13, 1284 a 3 ff; 14, 1284 b 35 ff. 184 m. KONRAD VON MEGENBERG UND OCCAM. Gewalt zu bezeichnen. Alles was ein sterblicher Regent für das Seelenheil der Gläubigen tun kann, darf der Papst tun, doch ohne das Mass zu überschreiten (cap. 8). Andrerseits sind die iura et libertates, die von seiner Macht ausgenommen sind, näher zu bestimmen. Dahin gehört alles, was die Ungläubigen an Rechten und Freiheiten besitzen. Ihre Rechte bestehen auch in den christlichen Zeiten fort; sie enthalten alles, was zur Ge- schäftsfähigkeit im Weltlichen gehört; überhaupt alles was weder den boni mores, noch den Lehren des NT. widerspricht, kann zu diesen Freiheiten und Rechten gerechnet werden (cap. 9). Dem Papst bleibt speziell : lectio, oratiOy predicatio und cultus Dei. Vor allem aber muss er dafür sorgen, dass diese geist- lichen Pflichten vom Klerus überall gehörig versehen werden. Im Falle der Not aber, so fährt Occam fort, oder im Falle eines Nutzens (utilitas), der der Notwendigkeit gleich käme, dürfte der Papst sich auch in die Temporalien einmischen, um gefährlicher Nachlässigkeit abzuhelfen. Das wäre dann also die plenitüdo potestaiis (cap. 10). Die Einwände behandelt Occam nur kurz, indem er auf seine anderen Schriften verweist. Die Canones über die potestas pape müssen stets mit Einschränkungen und nach dem beson- dern Falle interpretiert werden. Soweit die päpstliche Macht nicht auf göttlichem Rechte beruht, umfasst sie nur ebenso viel, als die betreffenden menschlichen Gewalthaber dem Papste zu- gestanden haben. Streit hierüber haben diese weltlichen Ge- walten, bezw. ihre Nachfolger, zu entscheiden, oder es ist der Rat weiser und erfahrener Männer einzuholen (cap. 11). Das Ar- gument, dass der Papst notwendig sei als oberster und einziger Richter aller und über alles, gibt Occam nur bedingt zu. Der Papst ist nicht der reguläre, ordentliche Richter aller ; und über geistliche Dinge, besonders über eine causa fidei, darf auch der gläubige, christliche Kaiser urteilen (cap. 12). Darnach definiert er das päpstliche Regiment als ein solches, das sich auf Spiritualien bezieht, nur über Freie sich erstreckt und alles umfasst, was zum Regiment der Gläubigen gehört. Noch nicht klar sind die casus, in denen der Papst die Schranken seiner Gewalt überschreiten darf. Eine allgemeine Regel lässt sich nicht geben ; jedenfalls ist dabei die grösste Vorsicht und stets der genaue Rat der erfahrensten Männer § 11- OCCAM DE IMPERATORUM ET PONTIFICUM POTESTATE. 185 nötig (cap. 13). Die Meinung, dass eine päpstliche Sentenz unter allen Umständen giltig sei, ist falsch (cap. 14). Hierauf geht Occam zu einem neuen Teile über: dem Nach- weise des Unrechts und der Tyrannei, die die Kirche von Avignon über die Christenheit ausübt. Sie verfolgt alle, die über die Macht des Papstes disputieren, ein Zeichen des schlechten Gewissens; denn das Recht, die üblen Taten des Papstes zu kritisieren, ist notwendig (cap. 15, 16). Genauer werden nun die Uebergriffe erörtert, die sich die Kurie gegenüber dem Reiche zu schulden kommen lässt (cap. 17 ff). Eine lange Sündenliste wird ihr vorgehalten. Zuerst die Politik in Italien, die widerrechtliche Okkupation von Reichs- gut, Städten, Burgen etc. ; weiter die Lehre, das Imperium hänge vom Papste ab und der Papst habe über die Zulassung des Gewählten zur Regierung zu entscheiden. Der Papst hat über das Imperium keine grössere Verfügungsfreiheit, als über Frank- reich oder ein anderes Land ; er darf sich weder vacante, noch non vacante imperio in die Regierung mischen-ohne Willen derer, denen die dispositio imperii zusteht, d. h. also offenbar nicht ohne die Kurfürsten. Was die Approbation oder admissio zum Im- perium betrifft, so ist sie ein ungesetzlicher Anspruch, den die anderen Reiche nicht anerkennen ; weder ius divinum, noch ius gentium, noch ius civile, noch ius canonicum, noch consuetudo kann sie rechtfertigen. Sie beeinträchtigt die kaiserliche Würde, denn der so mit Approbation Erwählte wäre kein wahrer Nach- folger der priorum electorum in imperaiores, wie Occam sich charakteristisch ausdrückt. Sie beeinträchtigt aber auch das Ge- meinwohl, zumal wenn man die oft viele Jahre andauernden Se- disvakanzen des päpstlichen Stuhles berücksichtigt, weil es dann an einem Vertreter der obersten öffentlichen Gewalt fehlen würde. Jedes etwa im Wege stehende alte Herkommen (consue- tudo) ist ungiltig; der Kaiser steht über dem Gesetze. Gleich durch die Wahl ist der Gewählte befugt, Titel und Regierung anzunehmen. Diese unersättlichen Räuber der kaiserlichen Rechte in Avignon usurpieren also wider Recht und Gesetz die Güter und Rechte des Imperiums (cap. 21). Ihre Herrschsucht und Hab- sucht steigert sich zu einer blinden Wut gegen das Reich, Fürsten und Völker verhetzen sie, um mit Hilfe einer Partei dann 186 III. KONRAD VON MEGENBERG UND OCCAM. die Gegenpartei ganz zu vernichten: wie das neulich bei der Wahl eines neuen Königs geschehen ist (cap. 22). Diese letzte Untat kann in keiner Weise mehr entschuldigt oder beschönigt werden. In dem Streite zwischen dem Kaiser und der Kurie ist diese im Unrecht. Der Kaiser war immer zur Nachgiebigkeit und zur correctio bereit; sie zwingen ihn ganz gegen seinen Willen zum Krieg, vielleicht zu ihrem eignen Verderben! Die, die so die Völker verführen, sind mit Waffengewalt zu besei- tigen (cap. 25). Darin liegt vielleicht die Drohung mit einer krie- gerischen Expedition nach Avignon, jedenfalls aber ein Hin- weis darauf, dass der Kampf um den Thron zwischen Ludwig und Karl noch nicht entschieden ist. Es folgen die Beschwerden über die tyrannische Bedrückung der Kirche durch „die von Avignon". Occam resümiert dann kurz, was er bereits ausführlich in der Schrift für den englischen König über das Kirchengut, insbesondere über die s. g. bona Süperhabundantia ausgeführt hatte. Der König darf in Notständen aus eigener Autorität Steuern vom Kirchengut fordern, (cap. 24). Auch die der römischen Kirche geschenkten Güter bleiben zins- pflichtig, wenn sie es vor der Schenkung waren. Noch einmal fasst hierauf Occam alle Anklagen gegen die Kurie und ihr despotisches Regierungssystem zusammen. Auch die Beseitigung der Wahlfreiheit der Domkapitel etc. wird jetzt er- wähnt; ferner die Beschränkung der (franziskanischen) Ordens- regel, wohl durch Benedikts XII. oben erwähnten Erlass ; über- haupt die willkürlichen Dispense, die Aufhebung von Gelübden; weiter, was ja für Occam besonders bezeichnend ist und bereits wiederholt erwähnt wurde, die äusserste Beschränkung der Frei- heit wissenschaftlicher Tätigkeit, die captio intellectus; ferner Anspielungen auf die Verfolgung der Spiritualen u. a. m. Auch hier verweist der Verf. auf die ausführliche Behandlung dieser Dinge im Dialogus, wo sie diskutiert seien. Pessimistisch schliesst er: nie werde Frieden zwischen Papsttum und Christenheit herr- schen, bis nicht allgemein von allen Laien und Klerikern die Grenzen der päpstlichen Gewalt genau festgesetzt seien. Also ein Konzil soll offenbar eine Art Verfassungsgrundgesetz für die Kirche geben. Er wiederholt seine oben entwickelte De- finition der päpstlichen Gewalt; alles andere hat der Papst nur kraft menschlichen Rechtes, und das könnte wegen Missbrauchs § 11. OCCAM DE IMPERATORUM ET PONTIFICUM POTESTATE. 187 wenigstens dem zeitweiligen Inhaber des päpstlichen Stuhls wieder entzogen werden. Alle Gelehrten, meint Occam, sollten sich mit diesem wichtigen Problem, der Theorie der päpstlichen Gewalt, beschäftigen. Im fehlenden Schlussteile wollte Occam die Irrtümer der Päpste in der Armutslehre erörtern, zum Beweis, welche tö- richten und ketzerischen Lehren die Kurie verbreite, und wie sie die wahre Lehre unterdrücke. Davon ist nur der Anfang in cap. 27 noch erhalten. Mitten in der Analyse der Bulle Ad conditorem canonum bricht der Text ab. Ob noch eine andere Hs. gefunden werden mag, die einen vollständigeren Text enthält, bleibe dahingestellt. Möglich ist es, dass auch diese Streitschrift unvollendet, und also wohl unveröffentlicht, geblieben ist. Der fehlende Teil über die Armutsfrage dürfte übrigens kaum für uns wesentlich Neues enthalten haben. Die politischen Hauptprobleme sind in dem erhaltenen Teile erörtert und dieser verdient auch neben, ja vielleicht vor manchen anderen politi- schen Schriften Occams die grösste Beachtung. Keine frühere bietet eine so knappe, klare Gesamtdar- stellung der wichtigsten kirchenpolitischen Anschauungen Oc- cams, wie diese kurze Streitschrift aus seinen letzten Tagen. Sie zieht die Summe seines politischen Denkens und seiner Er- fahrungen. Bei aller grossen, ja vielleicht auffälligen Mässigung gegenüber der kurialistischen Theorie ist doch in allen Grund- zügen das System Occams, wie es im Dialog nicht so klar zu erkennen ist, wiederzufinden. Während im Dialogus mehr aus wissenschaftlich-dialekti- schem Interesse die kühnsten Probleme aufgestellt und Fragen der kirchlichen Verfassungsreform erörtert werden, die wie jene oben erwähnte Erläuterung ja ausdrücklich sagt, rein akademi- sches Interesse hatten und haben sollten, sodass die wirkliche politische Anschauung Occams daraus nicht zu abstrahieren ist: haben wir hier und in den vorher analysierten kurzen Streit- schriften gewissermassen einen Abriss der politischen Ueber- zeugungen Occams selbst. Die eben besprochene Schrift will ja förmlich wie eine Bekenntnisschrift aufgefasst sein, eine Rechtfertigung und zugleich eine Anklage. Aus jeder Zeile spricht der innerste persönliche Anteil des Verfassers. 188 111. KONRAD VON MEGENBERG UND OCCAM. Umso mehr Wert ist darauf zu legen, dass wir auch hier manche der kühnsten, reformatorischen Grundgedanken des Oc- camschen Systems wiederfinden. Schon in der Schrift gegen Johann XXII. begegneten wir dem Gedanken, dass es noch etwas Höheres gebe als selbst die Autorität der allgemeinen Kon- zilien. Ueber Papst und über Konzil steht die allgemeine, un- sichtbare Kirche der Gläubigen aller Zeiten; und selbst sie, also die reine Tradition der Lehre, ist nicht die letzte Autorität, neben und über ihr steht die heilige Schrift, das Evangelium, und für den Glauben des einzelnen giebt es schlechthin keine andere regula fidei, als das Evangelium. Nicht Papst, nicht Konzil, nicht Tradition der allgemeinen Kirche, sonder das Evangelium ist Occam die letzte und für den einzelnen entscheidende Quelle des Glaubens. Die In- terpretation aber der Schrift kommt den Erfahrenen, Frommen, Weisen zu, — nicht der äussern kirchlichen Autorität. Immer wie- der wendet sich Occam in diesen Schriften gegen den Gewis- senszwang, das Verbot der Disputation etc. durch die Kurie. Kritik auch am Papsttum ist Pflicht. Und dennoch stellt er auch in dieser Schrift die Institu- tion des Papsttums hoch auf eine ideale Höhe. In seiner rechten Gestalt, als dienende, rein religiöse Macht, ist es ihm die Vollendung aller irdischen Gewalten. Aber rein auf das Geistliche ist es zu beschränken : lectio, oratio, praedicatio, cultus Dei sind die Aufgaben des Papstes. Seine Macht aber muss feste Grenzen haben; bereits taucht hier bei Occam die Forderung verfassungs- mässiger Garantien gegen den Absolutismus des Papsttums auf, wie sie dann die konziliare Bewegung zu erfüllen suchte. Als wichtigste Aufgabe seiner Zeit stellt er am Schlüsse des obigen Traktats diese Forderung hin. Keineswegs aber bricht er -deshalb so völlig, wie etwa Mar- silius, mit der alten mittelalterlichen Anschauung vom Verhält- nis geistlicher und weltlicher Gewalt. Nebenordnung beider, ge- genseitige Hilfe, im Notfalle auch Vertretung und Ergänzung der einen durch die andere ist sein Ideal. Papsttum und Kai- sertum sind beide gleichgeordnete, von Gott gesetzte Mächte. Im Notfalle darf sich auch der Papst in das weltliche Gebiet einmischen. Aber ebenso hat der Kaiser im Geistlichen mitzu- reden, namentlich gegen verbrecherische Päpste eine genau § 11. OCCAM DE IMPERATORUM ET PONTIFICUM POTESTATE. 189 normierte Strafgewalt auszuüben, in einer causa fidei mit zu urteilen, den neuen Papst, im Falle einer Absetzung des früheren durch das Konzil, mit Fürsten und Prälaten zu wählen und einzusetzen. Die Autonomie des Reichs gegenüber der Kurie verteidigt Occam ganz im Geiste der fürstlichen Opposition unter Ludwig dem Bayern, wenn auch charakteristische Abweichungen, wie das Betonen der Königskrönungen in Aachen und Monza als notwen- dig für den Regierungsantritt, sich geltend machen. Immer und immer wieder aber tritt in allen Schriften das theologische, religiöse Moment hervor neben dem politischen. Der Kampf um die Ordensregel und um das Armutsideal steht im Zentrum von Occams Ideen. Aus diesem Grunde heraus sind alle seine andern, politischen Anschauungen erwachsen. Er ist und bleibt in erster Linie Theolog. IV. Vier Schriften des Augustinus Triumphus, Alvarus Pelagius und Landulfus Colonna über innerkirchliche Zustände. Als die eifrigsten Verteidiger der extremsten papalistischen Tlieorien gelten herkömmlich Augustinus Triumphus und Alvarus Pelagius mit ihren ca. 1328—32 erschienenen beiden grossen Werken über die päpstliche Gewalt. In ihnen sah man meist den ersten litterarischen Ausdruck der neuen, durch Thomas von Aquino und seine Schule belebten Untersuchungen über die kirchliche und staatliche Macht, den ersten Ausdruck des neuen Lehrsystems des päpstlichen Absolutismus, das seitdem ohne wesentliche Aenderungen aufrecht erhalten wurde. Frei- lich schon vor Augustinus Triumphus und Alvarus hatte ein anderer Schüler des Thomas, der Augustiner Aegidius von Rom, während des Kampfes Bonifaz' VIII. mit Philipp dem Schönen von Frankreich eine umfassende Schrift De potestate ecclesiastica geschrieben, die mit besserem Rechte als der Prototyp dieser Gattung für das spätere Mittelalter gelten kann und auf viele andere ihrer Art, auch auf Augustinus Triumphus, eingewirkt hat, ähnlich wie desselben Verfassers Schrift De regimine prin- cipum der beliebteste Fürstenspiegel der Zeit wurde. Und neben ihm verfasste sein Ordensgenosse Jakob Capocci aus Viterbo eine ähnliche Schrift De regimine christiano, die Alvarus seinem Planctus geradezu einverleibte^). 1) Ich muss für diese Traktate zunächst noch auf mein Buch tiber die Publizistik z. Z. Phil. d. Seh. u. Bonifaz' VIII. (Stuttgart 1903) verweisen. Eine kritische Edition der genannten Schriften des Aegidius und Jakob von Viterbo habe ich vorbereitet. Völlig unbrauchbar ist der Abdruck der Flo- rentiner Hs. des Aegidius durch U. Oxilia u. G. Boffito, Firenze 1908. Das Werk des Alvarus scheint überhaupt ein grosses Mosaik zu sein ; ausser Jakobs von Viterbo Schrift ist u. a. auch ein im ms. Paris lat. 4046 über- lieferter kleiner Traktat völlig einverleibt, vgl. den Exkurs im Anhang. § 12. AUGUSTINUS TRIUMPHUS, DE DIVINATORIBUS. 191 So wenig man bisher dies beachtet hat, so wenig achtet man andererseits meist darauf, dass gerade diese ersten Ver- teidiger des päpstlichen Systems, Augustinus Triumphus, Al- varus Pelagius und ein dritter Hauptvertreter des Kurialismus am Anfang des 14. Jahrh., Landulf von Colonna, keineswegs blind an den schweren Misständen dieses Systems vorüberge- gangen sind, dass wir von ihnen Aeusserungen haben, die eine herbe Kritik der kirchlichen Zustände enthalten. So sehr sie die Prinzipien billigten und verteidigten, so wenig waren sie oft einverstanden mit der Anwendung dieser Prinzipien in der päpstlichen Politik. Vier darauf bezügliche, bisher unbekannte Schriften dieser drei Männer seien deshalb im Folgenden besprochen. § 12. AugusMnus Triumpl^us De divinaforibus e^ somniat^oribus. Von Augustinus Triumphus besitzen wir allerdings nichts hierher gehöriges, ausser etwa einem kleinen Traktat, aus dem ich einige Auszüge folgen lasse*). Er ist nicht uninteressant für die geistigen Richtungen der Zeit, wie auch für die Persön- lichkeit des Verfassers. De divinatoribus et somniatoribus ist er betitelt und bereits unter Klemens V. geschrieben. Er warnt den Papst vor der Leichtgläubigkeit und dem Vertrauen, das er „Pseudopropheten" entgegenbringt, die ihn mit törichtem Aber- glauben für sich zu gewinnen suchen. Die Art und Weise, wie dieser Aberglaube und die Personen ihrer Vertreter geschildert werden, weist nun m. E. deutlich auf zwei ganz bestimmte, sehr bekannte Männer hin. Einmal auf Ramon Lull, jenen merk- 1) Nach dem Cod. Vat. lat. 939. Dieser Codex enthält auch jene andern kleinen Streitschriften Agostino Trionfos aus der Zeit Bonifaz' VIII, die ich a.a.O. bereits publiziert habe. Sie werden hier deutlich als Schriften des Augustinus bezeichnet. Von den bei Curtius, Elogia p. 137 erwähnten po- litischen Schriften Trionfos : De sacerdotio ac regno ac de donatione Con- stantini und De ornc Romant iinperii ist keine Spur zu finden. Wahrschein- lich liegt eine Verwechslung vor. Im ms. d. ßibl. Angelica fondo antico 739 (Q. 5. 15.) saec. 15. werden die beiden gleich betitelten Schriften des Johann von Paris u. des Engelbert von Admont wenigstens dem Augustinus Triumphus zugeschrieben. Ueber die von mir und H. F i n k e gleichzeitig wiederge- fundene, interessante Streitschrift Agostinos gegen die Ankläger Bonifaz' \'III. (von ca. 1308), mit ihren Invektiven gegen Klemens V. etc. vgl. H. Finke, Aus den Tagen Bonifaz' VIII., Freiburg 1902, S. 250 ff. und LXIX bis IC ; und meine Publizistik S. 175—180. 192 IV. VIER SCHRIFTEN DES AUGUSTINUS TRIUMPHUS ETC. würdigen Missionar und abenteuerlichen Reformator der Kirche und der Wissenschaften, der durch seine verw^egenen Theorien, obwohl selbst eifriger Kämpfer gegen die averroistische Ketzerei, sich selbst in den Ruf der Ketzerei brachte, aber Jahre lang in einem unruhigen Wanderleben, in Afrika, Spanien, Italien, Frank- reich die gelehrte Welt und auch die Menge in Erregung zu setzen wusste ^). Er war bekanntlich Tertiarier des Franziskaner- ordens und neigte zu der spiritualistischen Richtung hin. Auch gegen sie, besonders gegen Petrus Olivi und seine Verteidiger, wendet sich Augustinus Triumphus. Die hauptsächliche Veranlassung zu Augustins Schrift hat aber vielleicht ein anderer, geistesverwandter Spanier gegeben, der berühmte Arzt Arnald von Villanova, der als Gelehrter und po- litischer Agent, als „Laientheologe*', phantastischer Prophet und Reformator, voll von eschatologischen und spiritualistischen Ideen, seit den 80 er Jahren des 13. Jahrhunderts alle romanischen Länder durchzog, und durch seine Reformschriften grosses Auf- sehen erregte^). Bei ßonifaz VIII., wie bei Klemens V. stand er in Gunst als Arzt und als Gelehrter. Gegen ihn und ein besonderes, von ihm veranlasstes Vorkommnis des Jahres 1309 scheint sich Augustinus zu wenden. Die Schrift ist dem Papste gewidmet^), und scheint in den letzten Jahren des Verfassers geschrieben. Er erwähnt die Müsse und viele freie Zeit, die er jetzt habe und zu litterariachen Arbeiten benutzen könne. Leider wissen wir noch zu wenig über Trionfos Lebensumstände, um genauer die Ursache dieser Müsse angeben zu können. Der Traktat erlaubt an das Jahr 1310 zu denken, als man sich eingehender an der Kurie gerade mit den Schriften 1) Vgl. Hist. Litt, de la France XXIX 12 f. Menendez Pelayo, Hi- storia de los heterodoxos Espanoles (Madrid 1880) Bd. 1, S. 513-539. 2) Ueber Arnald von Villanova vgl. Menendez Pelayo, 1. c. Bd. 1, S. 449—487 und 720-781 ; H. F i n k e , Aus den Tagen Bonifaz' VIIL Freiburg 1902, S. 190-226 ; P. Diepgen, Arnald von Villanova als Po- litiker und Laientheologe (Abh. zur mittl. und neueren Gesch. hrsg. v. Below^ Finke, Meinecke, H. 9) Freit». 1909. — Ueber persönliche Beziehungen Arnalds zu R. Lull: Finke, Acta Aragon. II nr. 556 ; zu Klemens V. schon 1305: ib nr. 551. 3) Es kann dem Inhalt nach nur Klemens V. sein. Das Vatik. Inventar nennt Klemens IV., was unmöglich ist. Doch scheint der Traktat identisch zu sein mit dem schon von C u r t i u s Elogia p. 131 ungefähr in diese Zeit versetzten: Contra Fraticellos ; cf. Gandolfo, Diss. hist. p. 84. § 12. AUGUSTINUS TRIUMPHUS, DE DIVINATORIBUS. 193 Lulls, Arnalds und Olivis befasste, über die das bevorstehende Konzil von Vienne aburteilen sollte. Aus der Schrift ergibt sich, dass der Papst selbst einmal genauere Auskunft über das Treiben gewisser Schwärmer, Spi- ritualen und Sektierer gewünscht hat. Augustinus benutzt seine freie Zeit, sie ihm zu geben, und zugleich ihn eindringlich zu warnen, solchen gefährlichen Einflüssen sein Ohr zu leihen. Eitel Träumereien geben diese Schwärmer als Wahrheit aus und missbrauchen die Heilige Schrift als Zeuge für ihre Erdichtun- gen. Sie heucheln Frömmigkeit und haben sie doch nur in den Worten; sie, verleumden heilige Männer und suchen die Männer der Kirche zu sich herüberzuziehen. Dass hier vor allem Arnald von Villanova, Ramon Lull und gewisse Spiritualen gemeint sind, ergibt sich aus dem Fol- genden. Die Feindschaft Augustins gegen die Spiritualen ist um so bemerkenswerter, als sein eigener Zögling König Robert von Neapel sich als Tertiarier dem Franziskanerorden angeschlos- sen hatte und im Armutsstreite auch litterarisch eine vermit- telnde, keineswegs dem Spiritualentum prinzipiell feindliche Haltung einnahm'). Indessen steckt sich Augustinus sein Thema noch weiter und spricht schliesslich überhaupt von Schwärmertum und Aber- glauben im Allgemeinen. Vor allem soll der Papst nicht jedem sogenannten Propheten trauen, auch wenn er angeblich die Welt verachtet (c. 1): wahr- scheinlich ist hier wieder Arnald gemeint. Göttliche Offen- barungen kommen jetzt überhaupt nicht mehr vor, und es ist grosse Anmassung, Visionen und Träume dafür auszugeben (c. 2). Teuflische Inspirationen lassen sich aber leicht von den göttlichen unterscheiden : man erkennt sie an der Ruhelosigkeit (mobüitas) des „Erleuchteten". Bald ist er verheiratet, bald ehelos, bald weltlich, bald Mönch, bald diesseits, bald jenseits des Meeres, bald zieht er sich von der Welt zurück, bald erscheint er in 1) Ueber K. Roberts Persönlichkeit vgl. jetzt W. G o e t z in dem Dok- torenverzeichnis der Philosoph. Fakultät der Universität Tübingen von 1908. Tüb. 1910; und R. Caggese in Studi Storici N. S. vol. 1. Interessante Ver- fügung Benedikts XII. gegen Roberts Predigten : V i d a 1 , Lettres comm. de Benoit XII. nr. 6057 (v. J. 1338). Roberts Traktat über die Armut u. a. in Paris lat. 4046 fol. 70v— 82 ; Epigramme von ihm: Barb. lat. 3888. io Schuh, Arialyseii und Texte. ^^ 194 IV. VIER SCHRIFTEN DES AUGUSTINUS TRIUMPHUS ETC. ihr. Ein ferneres Zeichen ist die eifrige Proselytenmacherei; um einen Anhänger zu bekommen, ziehen diese Leute durch die ganze Welt. Endlich ist ihre Lehre stets der Heiligen Schrift entgegen und ihre Offenbarungen sind falsch (c. 3). Passt schon diese Beschreibung vorzüglich auf unruhige Weltverbesserer vom Schlage Ramon Lulls oder Arnalds von Villanova, so wird die Beziehung auf diese beiden Männer im Folgenden noch deutlicher. Der Vfr. erwähnt zunächst die auch sonst bekannte Ketzerei, die manche solche Schwärmer verbreiten, dass einige grosse Männer gesagt hätten, die Glaubenslehre sei nicht göttliche Offen- barung, sondern menschlicheErfindung, Beweis: dieVerdorbenheit des Klerus und die Langsamkeit der Kurie ihn zu bessern (c. 4). Es scheint nun, dass unter dem Verbreiter dieser Behauptung kein anderer als Arnald von Villanova zu verstehen ist, und dass die grossen Männer, die angeblich diese Ketzerei äusserten, die Könige Jakob IL von Aragonien und sein Bruder Friedrich von Sizilien sind. Denn eben von ihnen hatte Arnald im Ok- tober 1309 an der Kurie in einer grossen Rechtfertigungsrede vor Papst und Kardinälen (dem sogenannten Rahonament) eine solche verläumderische Aeusserung getan, wie wir aus der Korrespon- denz König Jakobs erfahren'). Damals hatte er auch über die Träume der beiden Könige gesprochen, die er Anfang 1309 in einem besonderen Traktate gedeutet hatte. Gegen diese Traum- deuterei Arnalds scheint mir die Schrift Augustins vor allem ge- richtet zu sein^). Weiter verdammt Augustinus die Versuche, einem König oder Fürsten ohne speziellen päpstlichen Auftrag eine evangelische Lebensregel vorschreiben zu wollen, obwohl die Lehren dieser Ketzer schon von der Universität Paris verurteilt worden seien (c. 5). Auch das bezieht sich ohne Zweifel noch auf den Be- kehrungsversuch, den Arnald in dem eben genannten Traktate 1) Vgl. Acta Aragon. II. nr. 569 bis 573, S. 892 ff 895 f. M e n e n d e z Pe- 1 a y o 1. c. 1, S. 776 nr. 13. vgl. nr. 11 u. 12 ; F i n k e , A. d. Tagen Bonifaz' VIII. Quellen S. CXXVI f. 2) Gedr. von Flacius Illyricus im Catalogus testium veritatis (Argentinae 1562), und besser bei M e n e n d e z P e 1 a y o 1. c. 1, S. 720— 734: Interpretacio facta per Magistrum Arnaldiitn de Villanova de visioni- btis in sotnnh domtnorittn Jacobi secandi regis Aragonum et Federici tercii regis Sicilie eins fratris. — Vgl. Acta Aragon. II nr. 573. § 12. AUGUSTINUS TRIUMPHUS, DE DIVINATORIBUS. 195 an König Friedrich II. von Sizilien vornimmt'). Unter der Ver- urteilung der Pariser Universität ist dann wohl die berühmte Sentenz über sein Buch De adventu Antichristi zu verstehen"). Im Folgenden allerdings scheint mir nicht mehr Arnald, sondern R. Lull der Angegriffene zu sein. Denn das in cap. 6 erwähnte Experiment, durch untrügliche Demonstration die In- karnation und die andern Dogmen beweisen zu wollen, ist für Ramon Lulls Auftreten in Paris und seine Methode ganz cha- rakteristisch. Jede Empfehlung einer solchen Doktrin, wie sie eben damals die Pariser Universität und Philipp der Schöne gaben, kommt Augustinus schon ketzerisch vor^). Dabei wird von ihm auch die Lehre des Petrus Johannis Olivi genannt, die jene Schwärmer, wie eben Arnald und die Spiri- tualen, als die einzig echte christliche Religion empföhlen, ob- wohl die Minoritenbrüder sie verworfen hätten. Ausführlich wendet sich Augustinus zu einer neuen Widerlegung von 12 ver- dammten Lehrsätzen Olivis (c. 7). Gerade 1309 begann an der Kurie unter tätiger Mitwirkung Arnalds von Villanova, als Ge- sandten Friedrichs von Sizilien oder Roberts von Neapel, unter dem Einflüsse der Petitionen Lulls für seine grossen Reformen und der von den Spiritualen stark beeinflussten Kardinalspartei der Colonna, Nogarets und anderer mächtiger Personen, eine grosse Aktion zum Schutze der Spiritualen und zur Rehabili- tierung der als ketzerisch verurteilten Schriften Olivis. Eine Menge Streitschriften wurden gewechselt, Ubertino von Casale vor allem tat sich hervor, eine päpstliche Untersuchungskom- mission zur Prüfung der Schriften Olivis wurde eingesetzt*). Das ist offenbar die Situation, die Augustinus hier voraussetzt. Im Folgenden ändert er etwas seinen Ton und wendet sich nun zum Aberglauben überhaupt. Er bespricht die divinatio und 1) König Friedrich von Sizilien bekennt : Proponimus vivere in statu nostro secunditm regiilain evangelii, M e n e n d e z 1. c. S. 734, 775 f. ; vgl. Acta Arag. II 898. F i n k e , A. d. Tagen Bonifaz' VIII. S. 225 ff. 2) Vgl. darüber Finke, A. d. Tagen Bonifaz' VIII. S. 210. 3) Vgl. Hist. litt. XXIX 39 ff. Die Universität Paris erkannte eben da- mals die Doktrinen Lulls als gut und nützlich an, Denifle, Chartul. Univers. Paris. II nr. 669 (1310, Febr. 10), vgl. nr. 684 (1310, Aug. 2): Em- pfehlung Philipps des Seh. für Ramon Lull. 4) Vgl. Ehrle, Arch. f. Litt. u. KG. III 444 ff. u. II 339 ff. Lull erschien 1309 an der Kurie, 1310 schrieb er seine Vtsiones de nativitate Chri flf. 197 f. 199 f. 247 ff. 214 V. SCHLUSSBEMERKUNGEN. unter den Legisten wenige wirkliche Verteidiger des Kaisers, wie den berühmten Dichter und Juristen Cino von Pistoja, der einst Heinrich VII. gedient hatte, und Albericus de Rosciate, der jetzt als Beamter der Visconti für den Kaiser eintrat, während andere, wie Oldradus, der uns so wertvolles Material zur Geschichte der Zeit hinterlassen hat, ganz im Dienste der kurialistischen Idee standen. Der grösste Jurist der Zeit Bartolus von Sasso- ferrato scheint politisch sich sehr zurückgehalten zu haben ^). Die wirksame Hilfe der Legisten, die dem französischen Könige so wertvoll gewesen war, entbehrte der Kaiser. 2. Werfen wir nun einen raschen Blick auf die Hauptpro- bleme, die in den Streitschriften dieser Tage zur Sprache kommen, so erhalten wir auch hier alsbald den Eindruck, dass man nach endgiltigen, abschliessenden Lösungen der alten Streitfragen drängt. Auf kaiserlicher, wie auf päpstlicher Seite werden die letzten Konsequenzen gezogen, hier in der Lehre von der schran- kenlosen Weltherrschaft des Papstes, dort in der Proklamierung der Unabhängigkeit, ja der Ueberordnung des Kaisertums über die Kirche. Die Kaiseridee der Zeit Ludwigs knüpft eng an die An- schauungen der Stauferzeit an und führt sie theoretisch weiter. Im 12. Jahrhundert hatte Friedrich I. in Uebereinstimmung mit der Rechtsanschauung auch der gelehrten Juristen den Satz von der Unabhängigkeit des Imperiums, von seinem göttlichen Ur- sprung verteidigt ^). Accursius noch erklärt ''), die Kirche sei mehr die Schwester des Imperiums, als seine Mutter; nur wegen der höheren Heiligkeit der religiösen Dinge heisse sie Mutter des Imperiums. Aber beide haben den gleichen göttlichen Ur- sprung und unterscheiden sich wenig von einander, nur die Sphären ihrer Tätigkeit sollen getrennt sein. Ob die Konstan- 1) lieber die Entwicklung der publizistischen Theorien in den Schulen der grossen Juristen des 12. bis 14. Jahrh. hoffe ich demnächst an anderm Orte zusammenhängend handeln zu können. Hier mögen einige kurze Hin- weise genügen. Vgl. i. A. L. v. Savigny , Gesch. d. röm. Rechts im M. A. 2. Aufl. VI 71 ff. tiber Cinus ; S. 98 ff. : Johannes Andreae, dazu F. Schulte, G. d. Qu. u. Litt. d. kanon. Rechts IL 203 ff.; Savigny 1. c. S. 126 ff.: Albericus de Rosciate, vgl. Schulte II 245; Savigny, S. 137 ff. : Bartolus., S. 53 ff. : Oldradus, vgl. Schulte II 232 f. 2) Rahewin, Gesta Friderici lib. III, c. 11. 3) Gl. ord. zu Authent. Quomodo oporteat episc. coli. 1, tit. 6, nr. 6., utraque. V. SCHLUSSBEMERKUNGEN. 215 tinische Schenkung dem Papste irgendwelche weltliche Ju- risdiktion verleihe, ob Rom eine päpstliche Stadt sei, blieb den Legisten strittig *). Und ähnlich, wie Accursius fassten die Glos- satoren des Dekrets im 12. Jahrhundert das Verhältnis auf: ein Huguccio, der Lehrer Innocenz' III., Rufinus und noch der Nieder- deutsche Johannes Zemeke in seiner Glossa ordinaria •). Auch ihnen ist das Imperium allein von Gott, wie das Papsttum, keines hängt vom andern ab, der Kaiser hat sein Schwert nicht vom Papste, sondern von Gott und der Wahl der Fürsten; der Papst hat kein Recht ihn abzusetzen ohne Zustimmung der Fürsten ^). Aber freilich schon die Tage Innocenz' III. brachten praktisch und theoretisch den Umschwung: die Weltmacht des Kaisers zerbricht an der universalen Idee des Papsttums. Schon vor 1210 erklärt sich der Engländer Alanus, der die Grundlagen zur Erläuterung des Dekretalenrechts schuf *), gegen die ältere Idee der Nebenordnung der beiden Gewalten. Auf Grund der De- kretale Venerabilem bauten er und andere die kanonistische Doktrin von der unbeschränkten Ueberordnung des Papstes über den Kaiser auf; vom Papste erhält der Kaiser sein Schwert, nur ein Haupt kann der Körper der « Kirche » haben ; der Papst ist der ordentliche Richter des Kaisers, er kann ihn kraft seiner päpstlichen Vollgewalt absetzen, wie er ihn einsetzt ; er ist der wahre Kaiser; der weltliche Kaiser ist sein Vikar, sein OffiziaP). Diese Lehre der Dekretalisten beherrscht das 13. Jahrhundert; wie das ältere Recht des Dekrets zurückgedrängt wird von dem päpstlichen Dekretalenrecht, so auch die Anschauungen der De- kretisten des 12. Jahrh. Gegen die Lehren des Johannes Teuto- nicus erhebt sich schon früh der Widerspruch der nationalen, französischen, italienischen, spanischen Kanonisten; sie werfen ihm ihrerseits seine imperialistische Gesinnung als national beschränkt vor '•). Wohl bestanden auch weiterhin noch Unter- 1) Gl. ord. Dig. 1. 1, tit. 12, 1 zu pertinere. 2) Vgl. i. A. F. Schulte, {. c. I 96, n. 14, 156 Ü\ 3) Gl. ord. des Joh. Teut. zu c. 11, dist. 95, divinifns; c. 3, C. 15, q. 6, deposuit; zu c. Venerabilem s. v. in Germanos etc. Huguccio bei Fr. M a a s- sen , Beitr. z. Gesch. d. Jurist. Litt. d. MA. (Sß. der Wiener Ak. phil.-hist. Cl. 24), S. 68 n. 4) S c h u 1 1 e 1. c. I 188 und SB. der Wiener Akad. 66 (1870;, S. 8:) c, 89 p. 5) So auch Hostiensis, vSumtna aurea (Lugduni 1568), fol. 31 > b, ^ 10. 6) Vgl. z. B. Guilielmus de Montelauduno bei B a 1 u z e - M a r c a , De concordantia sacerdotii et imperii, 2. A., 1669, I 63: Jnninte<, tatucit Ih ii- 216 V. SCHLUSSBEMERKUNOEN. schiede in der Leiire der Kanonisten selbst. Wir haben sie selbst aus den Streitschriften nachweisen können. Eine strengere und eine mildere Richtung lassen sich deutlich nachweisen. Die mildere knüpft an an Innocenz III., die Schule des Hostiensis und Wilhelm Durantis den Aeltern '), die strengere, die Lehre von der potestas temporalis directa des Papstes an Innocenz IV. und die Schriften des einflussreichen Kanonisten der Zeit Bo- nifaz' VIII., Guido von Baysio, des Archidiakonus. Auf ihn vor allem berufen sich alle Extremen der Partei. Auch Legisten, wie der papsttreue Oldradus, stehen auf diesem Standpunkt, während freilich umgekehrt Kanonisten, wie Albericus von Ro- sciate, eine solche Machtvollkommenheit des Papstes geradezu für usurpiert erklären ^). Die realen Machtverhältnisse waren der kaiserfreundlichen Theorie nicht günstig. Der Versuch der Wiederbelebung des alten Kaisertums durch Heinrich VII. war gescheitert. Das Epi- gonentum Ludwigs des Bayern aber glaubte ausführen zu können, was die Staufer in der Fülle ihrer Macht nicht vermocht hatten. Getragen von den revolutionären Theorien eines Marsilius von Padua, gestützt auf die zunehmende Macht der naturrechtlichen Ideen von der Volkssouveränität legte er in Rom Hand an an den theokratischen Aufbau des Mittelalters, dachte er das Papst- tum degradieren zu können zu einem Diener des Kaisers. Die Utopie verschwand. Die Selbständigkeit des Imperiums wurde errungen auf anderem Boden, nicht im Anschluss an die um- stürzenden Träume eines Theoretikers, sondern an die alte, lebendige deutsche Rechtsanschauung von der freien Königs- und Kaiserwahl. Der Streit um die Bedeutung des päpstlichen Approbationsrechts und der Kaiserkrönun^ steht im Mittelpunkt der Erörterungen. Auch hier handelt es sich um Fragen, die schon im neunten Jahrhundert lebendig, seit der Stauferzeit im Flusse geblieben waren und die Entstehung des deutschen Wahl- tonictis non concordat his. Sed erat Alamannns vel Theittonicns. Unde favor et caro et sanguis revelavit sibi. Aehnlich schon Johannas Faventinus bei Guido de Baysio, Rosarium, zu c. 14 (Legimus) di. 93 ; Vincenz von Beauvais, Bernardus Compostell. bei Joh. Andreae zu c. Venerabilem. 1) Vgl. ausser Egi.dius Spiritalis besonders die Stelle bei Oldradus, Con- silia (Francof. 1576), nr. 180, fol. 90 f. 2) Albericus, Dictionarium utr. iuris, s. v. papa, adi. Item ipsemet se deponit; s. v. electio ; s. v. confinnatio electionis. V. SCHLUSSBEMERKUNGEN. 217 rechts und des Kurfürstenkollegs begleitet hatten ^). Erst jetzt gelangen sie in den Erklärungen von 1338 für Deutschland zum Abschluss. Auf kurialistischer Seite war schon im 9. Jahrh. aus Krönung und Approbation geradezu auf die päpstliche Ver- leihung des Kaisertums geschlossen worden. Im 12. Jahrh. hatten auch die gemässigteren Dekretisten, wie Rufinus, dem Papste ein ius terreni imperii, ein ius auctoritatis zugeschrieben, denn er weihe ja den Kaiser für sein Amt; aber unabhängig vom Papste (praeter eum) besitze doch der Kaiser sein ius et officium ad- ministrandi -). Huguccio und seine Schule hatte nur die Führung des kaiserlichen Titels aus der päpstlichen Salbung abgeleitet, das Recht der Regierung: aber auf die Wahl der Fürsten ge- gründet ^). Andererseits leitete schon Alanus aus dem Appro- bationsrecht alle Ansprüche der päpstlichen Suprematie über den Kaiser ab *), und ihm folgten darin die Dekretalisten des 13. Jahrh. Nur über das Mass der päpstlichen Rechte bestand noch eine gewisse Unklarheit. Auf deutscher, kaiserfreundlicher Seite hatte man immer an dem Rechte des erwählten deutschen Königs zur Kaiserherrschaft festgehalten ; dem Papste blieb nur die Pflicht der Kaiserkrönung. Regnum und Imperium waren seit der Ottonenzeit so sehr zu einem Ganzen geworden, dass man nicht mehr streng zwischen rex und Imperator unterschied, ja, oft beide einfach identifizierte. Erst der Widerstand des Papsttums nötigte zur schärferen Ab- grenzung der Rechte des deutschen Königs und des Kaisers, bis zuletzt Lupoid von Bebenburg in einet* künstlichen, staats- rechtlichen Theorie zuerst ein rein deutsches Staatsrecht zu schaffen suchte. Er fand die Identifizierung von Königtum und Kaisertum absurd; sein Gegner Occam ist der eifrigste Ver- teidiger der « Kaiserwahl ». Megenberg sucht in einer Steige- rung der Bedeutung der Kaiserkrönung die päpstlichen Ansprü- che zu retten. Aber selbst er schwächt doch die päpstlichen Forderungen ab bis zum blossen Schein in dem Begriffe der 1) \'gl. zum Folgenden: A. Hauck, Deutschland u. die piipstl. VV^elt- herrschaft. Leipz. Rektoratsprogr. 1910. — H. Bloch, Die staufischen Kaiser- wahlen u. die Entstehung des Kurfürstentums. Leipz. Berl., 1911. 2) Rufinus, Summa decretorum ed. H. Singer, S. 47 ad c. 1, dist. 22. 3) Huguccio bei M a a s s e n, Beiträge, S. 68 n. 4) Alanus bei Schulte, Wiener S B. 60, S. S,') u. «9. 218 V. SCHLUSSBEMERKUNGEN. tacita approbatio, den auch Alvarus anerkennt. Andererseits freilich hatte Augustinus Triumphus in seiner Summa ^) die un- umschränkte Verfügungsfreiheit des Papstes über den deutschen Thron gelehrt, das Recht einen Kaiser einfach zu ernennen, das Kurfürstentum zu beseitigen, ja das Kaisertum wenigstens zeit- weilig in ein Erbreich zu verwandeln. Aber unter den Juristen gab es auch Stimmen, wie Albericus von Rosciate, der unge- scheut die päpstliche Approbation als Usurpation bezeichnete ; die drei Dekretalen Venerabilem, Ad apostolice und Pastoralis erscheinen ihm rechtswidrige Attentate auf die Freiheit des Reichs^). Nur in päpstlichen Vassallenreichen besitzt der Papst vacante imperio die iura regni "). Man erhält auch aus den kurialistischen Schriften den Ein- druck, dass die Politik Johanns XXII. geringe Sympathien fand. Die Prozesse gegen Ludwig wurden als Ungerechtigkeiten und überdies als unzweckmässig empfunden, an der Kurie selbst ebenso, wie im Lager der Gegner*). Was während der Kämpfe des 13. Jahrh. auf deutscher Seite immer als Grundsatz festge- halten worden war, was im Anschluss an die ältere kirchliche Rechtsanschauung selbst, 1252 die Fürsten als Weistum prokla- miert hatten, und was nur vorübergehend in den trüben Zeiten des Interregnums von den Königen Richard und Alfons und später, in der Zeit der notwendigen Selbstbeschränkung des Königtums auf Deutschland, von Rudolf und Albrecht I. der Kurie preisgegeben worden war, das Prinzip der freien deutschen Wahl zum Imperium, siegte endgiltig in Rense und Frankfurt. Auf der Wahl der Fürsten nach Gottes Veranlassung oder etwa auf der siegreichen Waffengewalt im Kampfe um das Reich ^) ruhte nach deutscher Rechtsanschauung das Kaisertum und Königtum. Untrennbar sind beide verbunden ; nur über die 1) Quaest. 35, art. 2—7; q. 36; q. 38, art. 1—3. 2) Vgl. oben, bes. s. v. electio, add. electio imperatoris. 3) Ib. s. V. papa, add. papa siiccedit. Vgl. auch in Cod. de summa trinit. et fide cath. 1. 1 und Cod. ]. 3 de quadr. praescr. bei S a v i g n j^ VI 136. 4) Das bezeugen nicht nur die Aeusserungen der Kardinäle (S. 69), sondern auch die Verteidigung des Verfahrens im Compendium maius und das scharfe Gegenurteil des päpstlichen Advokaten Oldradus : consil. 62. 5) Hierüber jetzt besonders E. Stengel, Den Kaiser macht das Heer, Weimar 1910 (SA. aus der Festgabe zu K. Zeumers 60. Geburtstage), S. 40 (286) ff. über die Anschauungen des Ssp. und seines Glossators Johann von Buch. V. SCHLUSSBEMERKUNGEN. 219 Führung des Kaisertitels vor der Krönung mochten noch die Juristen streiten ^). Gegenüber den Anschauungen der Staufer- zeit trat nur jetzt der Erbanspruch der Dynastie in den Hinter- grund vor dem Grundsatze der freien Wahl der Kurfürsten. Die alten Ansprüche auf Weltherrschaft sind auch jetzt noch mit der Kaiseridee verbunden, obwohl schon im 13. Jahrh. sich das erwachende Nationalbewusstsein der andern Staaten dagegen ge- wandt hatte. Schon Huguccio im 12. Jahrh. erscheint die Realität der kaiserlichen Weltherrschaft zweifelhaft '') ; Alanus erklärt ge- radezu ^): die divisio regnorum sei nach ius gentium eingeführt und vom Papste approbiert worden, wenn auch nach antikem Völkerrecht ein Imperator auf Erden sein sollte. Tatsächlich gibt es Könige und Fürsten, die in ihrem Reiche Kaiser sind, keinem andern Untertan. Gegen die Lehre des Johannes Teuto- nicus von der Oberherrschaft des Kaisers über alle Könige wenden sich schon im 13. Jahrh. Italiener, wie Johannes von Faenza, Spanier, wie Bernardus von Compostella, der sogar den griechischen Kaiser als rechtmässigen bezeichnete *), Franzosen, wie Vincenz von Beauvais und Engländer, wie Bracton und Alanus ^). Kaiser Friedrich II. selbst hatte die Idee der kaiser- lichen Oberherrschaft, die noch Heinrich VI. erstrebt hatte, ab- geschwächt zur Vorherrschaft des Kaisers als primus inter pares ''). In Frankreich hatte am Anfang des 14. Jahrh. die Idee des Nationalstaats gesiegt, die Notwendigkeit der Existenz des Kaisertums war bestritten worden, Peter Dubois hatte den Ge- danken eines europäischen Staatenbundes mit einem perma- 1) Die Frage, von wann an der gewählte deutsche König sich Kaiser nennen dürfe, war im 14. Jahrh. die erste bei dem Vortrage der Digesten, bei der Glossierung der Constitution Omnem ad antecessores, s. v. Impe- rator^ vgl. Hugo, Zs. f. geschichtl. Rechtswissensch. 1 (1815), S. 345 ff. über die Gastvorlesung des Ubertus de Lampamiano 1380. 2) Huguccio, Summa zu c. 41 (in apibus) C. VII. q. 1 (ms. Lips. 985, fol. 79): Imperator iiniis dehet esse, hoc generaUter et reguläre^ casitaliter tarnen quandoque aliter fuit et Jorte male... solns enim romanus dicitur iure Imperator siib quo omnes reges deberent esse., quicquid sit {de facto ?). 3) Bei Schulte, Wiener SB. 66, S. 90. 4) Vgl. oben S. 100, n. 1. 5) Vgl. oben S. 215 n. und über England : Political theories of the Middle Ages by O. Gierke ; translated by F. W. M a i 1 1 a n d , Cambridge 1900, S. XLV, n. 4. E. Stengel 1. c. S. 16. 6j E. Stengel 1. c. S. 93, n. 1. F. Graefe, Die Publizistik in der letzten Epoche Kaiser Friedr. II. (Heidelberger Abh. H. 24), S. 4, 28 f., 47 ff. 220 V. SCHLUSSBEMERKUNGEN. nenten, internationalen Schiedsgericht an seiner Spitze ent- wickelt '). Klemens V. selbst hatte die alte Kaiseridee als an- tiquiert bezeichnet, den Nationalstaaten ihr Recht gegeben 2). Unter Johann XXII. führte der päpstliche Advokat Oldradus in einem seiner Consilia den strikten Beweis, dass das Imperium weder im A. noch im NT. von Gott gutgeheissen worden sei, dass es gegen Gottes Willen durch Gewalt entstanden sei, dass es weder auf das natürliche, noch das menschliche Recht ge- gründet sei, den Rechten der einzelnen Länder widerpreche. Nur die einzelnen Könige seien von Gott anerkannt, und eine wahre Weltherrschaft habe es nie gegeben '). Aber in derselben Zeit schrieb Dante die grossartigste Apo- logie der Weltmonarchie, leitete sie ab von Gottes Willen und erblickte im Kaiser den idealen Repräsentanten der Menschheit*). Die Zeiten Heinrichs VII. hatten mehr im Kampfe gegen die fran- zösische Vorherrschaft als gegen das Papsttum, dem alten Kaiser- gedanken neue Kraft gegeben. Die Legisten malten die abso- lute Machtfülle des Imperators nach dem Vorbilde der antiken Herrscher'); und unter Ludwig dem Bayern sind es nicht nur seine Verteidiger, wie Marsilius oder Occam, die die Notwendig- keit des Kaisertums betonen, sondern auch Kurialisten, wie Lam- bert oder Alvarus heben gerade hervor, dass de iure alle Könige vom Kaiser abhängen, von ihm gekrönt und bestätigt werden sollten •'). Die alten Vorstellungen leben weiter. Aber auf den neuen Grundlagen der Reichsverfassung entstand jetzt ein Kaiser- tum, das, in seiner realen Macht wesentlich auf Deutschland be- schränkt, gegründet war auf das deutsche Recht der Wahl, frei von allen Eingriffen der kirchlichen üniversalgewalt, eine fast national deutsche Institution. 1) Dubois, De recuperatione terrae sanctae ed. L a n g 1 o i s p. 3, 7, 8, 10, 11, vgl. meine Publizistik, S. 3)5 ff. und 410 über sein Schwanken. 7) Vgl. P. Viollet, Hist. des institutions de la France II 41, n. 4. 8) Oldradus, Consilia nr. 69, vgl. nr. 231. 9) Zwischen der Argumentation Dantes und der entgegengesetzten des Oldradus finden sich manche Berührungen. Die wahrscheinlichste Datierung der Monarchia dürfte doch die in die Jahre des Kampfes Ludwigs d. B. um das Reich sein. Der neue Datierungsversuch M. Krammers in der Aus- gabe der Determinatio p. XL ist nichts weniger als überzeugend. 1) M. G. Const. imp. IV., S. 1308, nr. 1248. 2) Vgl. oben S. 63 f. 203. V. SCHLUSSBEMERKUNGEN. 221 3. Richten wir noch einen Blick auf die Anschauungen von der Kirche und der päpstlichen Macht, wie sie uns jetzt ent- gegentreten, so ergibt sich, dass die kurialistische Theorie am äussersten Ziele angelangt ist, dass sie keinen Schritt mehr vor- wärts tun kann, keinen zurück tun will und darf. Der vicarius Dei ist seit den Tagen Innocenz' III. zum Träger der unbe- schränkten göttlichen Gewalt auf Erden geworden. Nicht mehr über den Inhalt oder die Grenzen der päpstlichen Vollgewalt konnte man streiten, sondern nur noch über die Formen ihrer Anwendung. Der kanonistisch bedeutsame Unterschied der päpstlichen potestas directa oder regularis und der potestas in- directa oder casualis in temporalibus beschäftigt im 13. Jahrh. die gelehrten Juristen. Schon Aegidius Colonna hatte am An- fang des 14. Jahrh. diesen Unterschied verwischen wollen. Bo- nifaz VIII., wie Johann XXII. machten in ihrer Politik Ernst mit der Durchführung der direkten Weltherrschaft des Papstes. Aber der Widerstand, den sie dabei fanden, wuchs '). An der Kurie selbst, im Kardinalskolleg, erhob sich die Opposition im Bunde mit den nationalen Interessen und der kirchlichen Reform- idee der Spiritualen. Auch die eigentlichen Verteidiger des Pap- stes erhoben, wie wir sahen, mehr oder weniger laut ihre war- nenden Stimmen. Den wenigen Agitatoren für den schranken- losen Absolutismus des Papstes, wie Heinrich von Cremona und Egidius Spiritalis, stellt sich eine Tendenz der politischen Klugheit, des Opportunismus gegenüber, der das dissimulare (Sybert) lehrt, um die weltlichen Mächte nicht zu reizen (Peter von Lautern). Nicht um das Recht des Papstes handelt es sich : das steht fast allen fest; sondern um honestas, decus, boni mores, die erhalten werden müssen. Die Politik Johanns XXII. gegen- über dem Reiche erscheint auch den Kurialisten eben deshalb vielfach so verwerflich, weil sie politisch unklug, aufreizend und ergebnislos war; nicht, weil der Papst die Grenzen seiner Macht überschritten hatte. Wie tief der Begriff der plenitudo potestatis des Papstes im Zeitbewusstsein haftete, erkennt man aus der Haltung der Gegner. 1) Noch aus dem ]. 1340 haben wir eine Nachricht von gewissen ge- heimen Untersuchungen, die Benedikt XII. über seine Rechte vacante im- perio vel non vacante anstellen liess. Der Zweck ist den Berichterstattern unbekannt. Vgl. Lettere inedite degli ambasciatori Fiorentini ed. G o r r i n i , Arch. Stör. Ital. IV. ser. 14, S. 170 f., nr. 6 (1340 Mai 28). 222 V. SCHLUSSBEMERKUNGEN. Wohl hat Marsilius auch diese Vorstellung zerpflückt und ab- gewiesen; aber wesentlich anders war doch die Meinung Oc- cams und seiner Partei. In der bekannten Aktensammlung des Nikolaus Minorita z. B. findet sich in einer von Cesena, Bona- gratia, Heinrich von Thalheim, Franz von Ascoli und Occam unterzeichneten Abhandlung über die Wahl des Geraldus Odonis eine längere Auseinandersetzung über die Begriffe potestas ab- soluta und ordinaria '). Es wird da dem Papste auf dem Gebiete des Kirchenrechts eine absolute Gewalt ex certa scientia et de plenitudine potestatis causa cognita zugestanden, dieses Recht aufzuheben oder abzuändern. Hier ist der Papst legibus solu- tus, kann Privilegien zum Nachteile anderer geben, hat keinen Richter über sich, untersteht keinem Konzil, keine Appellation gegen ihn gilt. Erklärt dagegen der Papst nicht ausdrücklich, ex certa scientia das kirchliche Recht beiseite setzen zu wollen, so besitzt er nur potestas ordinaria. Reskripte, Mandate, Prozesse, die ohne jene Klausel erlassen sind, sind ungiltig, wenn sie gegen das Kirchenrecht Verstössen. In Glaubenssachen ferner, in Dingen circa bonos mores und im ius divinum untersteht der 1) Vat. lat. 4010, fol. 112 v— 113 v: Cum qiieritur de gestis per eum fpapantj tangentibus mere ius positivum ecclesiasticmn disttnguendum est ,quia aut queritttr de potestate absoluta aut de potestate ordinata. Cum agitur de gestis per eum circa ius ecclesiasticum positivum ex po- testate absoluta, ut puta quia ex certa scientia et de plenitudine potes- tatis causa cognita volens tollere tale ius positivum sive derogare eidem habita mentione de ipso iure: tunc tenent gesta per eum quia potest tollere tale ius sive eidem derogare, quia legibus est solutus... Et sie locum habet quod dicitur^ quia papa potest supra ius positivum dispensare et illud tollere... et Privilegium in aliorum preiudicium. dare... et sententiam in- validam conßrmare... et sub hoc intellectn dicitur, quod papa omnes iudicat et ipse a nemine iudicatur... et quod non appeliatur ab eo quia superiorem non habet... et quod non suhiaceat conciliis... Et hac potestate absoluta que plenitudo dicitur potestatis non intelligatur papa uti^ nisi ut pre- dictuni est, expressam vide licet faciat mentionem, quod ius velit tollere et eidem ex certa scientia derogare. Si vero agatur de gestis per papam ex potestate ordinata ex qua sepe intendit, vult et debet servare iura, tunc non tenent gesta sive facta per eum contra ius. Unde si rescriptum vel tnandatum aut processtts sui emanarent contra ius, non tenent nee est eis obediendum... In hoc vero casu, cum queritur de gestis per papam circa fidem vel bonos mores sive ius divinum^ in hiis subiacet papa legi divinae et statutis sanctorum patrum^ quia non potest ex aliqua potestate contra ea facere, sed quod determinatum est a lege divina sive a sanctis patribus tenetur ßrm.iter observare et inviolabiliter cusiodire... citiert c. b, C. 25, q. 1, Et in hiis papa subiacet conciliis. Unde quod semel synodus pro veritate catholica et apostolica promulgavit^ non potest retractare. V. SCHLUSSBEMERKUNGEN. 223 Papst der lex divina und den Bestimmungen der sancti patres. Er kann wohl neue Gesetze erlassen, aber nur über Materien, die im Evangelium nicht schon geordnet sind (nach c. 6, C. 25, q. 1). An das Evangelium und die Entscheidungen der Kon- zilien über die katholische Wahrheit ist der Papst gebunden. Auch Occam erkennt noch in seiner Streitschrift von 1347 die plenitudo potestatis des Papstes durchaus an. Er bekämpft v^ohl die Lehre von der regularis potestas papae in tempora- libus (cap. 2); aber der Papst darf auch nach Occam kraft seiner plenitudo potestatis, qua regulariier vel casualiter omnia potesi quae necessaria regimini fidelium dinoscuntur, im Notfalle auch in weltliche Dinge sich einmischen, ja selbst dann, wenn der Vorteil für die Gläubigen so gross ist, dass er der Notwendig- keit gleichgestellt werden kann. Immer wieder freilich betont Occam die antiqui termini der päpstlichen Gewalt, fordert ver- fassungsmässige Garantien für ihre Beachtung, und definiert das Amt des Papstes als lectio, oratio, praedicatio, cultus Dei. Aber auch er gesteht, dem geistlichen Haupte der Christenheit eine diskretionäre Gewalt zu, die es in ausserordentlichen Fällen über die Gesetze stellt und ihm die Ordnung des Weltlichen unter- wirft. Auch für Occam bleibt das von Missbräuchen befreite Papsttum der ideale principatus regalis, der freilich bisher auf Erden noch nicht verwirklicht worden ist. Dieser Punkt scheint mir für die Beurteilung von Occams Standpunkt sehr wichtig. Er hat gewiss entschieden wieder der Kirche neben dem Papsttum moralische und politische Geltung zu verschaffen gewusst; er hat nach Organisationsformen gesucht, um der Kirche, d. h. dem ständischen, demokratischen Prinzipe, an der Regierung der Christenheit wieder Anteil zu verschaffen, z.T. sogar es dem Papsttum überzuordnen. Die konziliare Theorie des 15. Jahrh. konnte daran anknüpfen. Aber dennoch bleibt auch Occam erfüllt von dem Ideale der monarchischen Kirchen- regierung durch den Papst. So merkwürdig widerspruchsvoll erscheint oft seine Argumentation, dass schon im 15. Jahrh. manche ihn für einen verkappten Papisten hielten *). 1) Vgl. ausser der oben S. 168 mitgeteilten Randnote eine ungedruckte Literaturübersicht über kirchenpolitische Streitschriften des 14. u. 15. Jahrh. in dem grossen Werke des Laurentius vor Arezzo (Zeit Eugens IV.), der geradezu meint, Occam gerire sich im Dialogus als Freund des Papstes. Genaueres über diese und andere Schriften an anderem Orte. 224 V. SCHLUSSBEMERKUNGEN. Occam und Marsilius sind mit den einschneidendsten Reform- forderungen gegen das Papsttum und die Verfassung der Kirche aufgetreten. An Reformforderungen im einzelnen fehlt es auch bei anderen Publizisten nicht; und gerade auch die Kurialisten stehen dabei, wie wir gesehen haben, nicht zurück. Eine der Hauptforderungen, die immer wieder auftaucht, ist die Rückkehr der Kurie nach Rom. Die eine Partei spricht freilich den Papst frei von jeder Residenzpflicht, sie findet die römische Kirche überall, wo der Papst sich aufhält'); die an- deren halten dagegen das Papsttum durch göttliche Anordnung an Rom gebunden, und zu ihnen gehörte anscheinend die Ma- jorität. Augustinus Triumphus schalt bereits Klemens V. wegen seiner Feigheit und Furcht vor der Rückkehr^); Lambert von Huy entschuldigt förmlich das Zurückbleiben Johanns XXII ^). Aus einem Gutachten des Oldradus erfahren wir, dass 1328 der Papst beabsichtigte Rom förmlich seines Privilegs der prima sedes zu berauben, wegen der Schlechtigkeit der Römer und, bezeichnend genug, um ihnen den Gewinn aus den Pilgerfahrten zu entziehen, d. h. doch eben diese materiellen Vorteile jetzt Avignon zuzuwenden *). Aufs entschiedenste erhebt Oldradus Einspruch gegen diesen Processus. Viele Getreue des Papstes in Italien, wie in Spanien würden dadurch bitter gekränkt werden, die Guelfen würden sich vielleicht dann mit den Ghibellinen gegen die Kirche verbinden. Ueber nichts werde in der ganzen Christenheit so geklagt, wie über das Fernbleiben des Papstes von Rom. Die Zeit nach dem Scheitern der Romfahrt Ludwigs schien Oldradus als besonders geeignet zur Rückkehr ^). Von auswärtigen Mächten kamen wiederholte Aufforderungen, noch 1340 z. B. von Florenz^). Immer wieder warnten Konrad von Megenberg und andere vor der französischen Schlange. Aber freilich die römische Frage war nicht durch einen einfachen Ent- schluss eines Papstes zu lösen. 1) Wie z. B. Lambert von Huy, oben S. 65. 2) In der Schrift Contra articulos inventos cap. 6 u. 7, bei F i n k e , Aus den Tagen Bonifaz' VIII, S. XCI, XCII. 3) Oben S. 63 f. Vgl. auch Alvarus Pelagius, Planctus c. 32. 4) Oldradus, Consilia, nr. 62, fol. 27 f. 5) Oldradus, Consilia, nr. 85. 6) Lettere inedite ed. G o r r i n i , Arch. Stör. Ital. IV. ser. 14, S. 168 ff., nr. 5. Ueber Dantes bekannten Brief vgl. jetzt Ig. Hö sl, Kardinal Jaco- bus Gaietani Stefaneschi (Eherings Hist. Stud. H.61). Berlin 1908, S. 126 ff. V. SCHLUSSBEAIERKUNGEN. 225 Andere Reformwünsche beziehen sich, wie zu allen Zeiten vor allem auf die Disziplin und die Lebensweise des Klerus. Die alten Gegensätze zwischen Orden und Weltklerus (Megen- berg) und der beginnende Verfall der Ordensdisziplin (Megen- berg, Alvarus, Landulf) treten auch in den Streitschriften scharf hervor. Es wäre hier auch zu erinnern an die Untersuchungen und die Streitschriften, die 1328 in Frankreich gewechselt wurden, über die Grenzen der geistlichen Jurisdiktion, über die Rechte der Pfarrer, Bischöfe und Orden ^). Ueberall hört man bereits die Stimmen, die am Ende des Jahrhunderts, in der Zeit der Kirchenreform, die Führung er- langen. Es ist wichtig zu bemerken, dass diese Stimmen gerade unter den eifrigsten Verteidigern des Papsttums und in Schriften, die dem Papste selbst gewidmet wurden als Zeichen der Er- gebenheit, laut werden. Der Versuch, das absolutistische Regi- ment von Avignon durchzuführen, weckt überall den Wider- stand. Der Kampf um die Weltherrschaft endete, wie vorher in Frankreich, so auch in Deutschland mit der Niederlage des Papsttums. Eine neue Periode seiner Geschichte beginnt damit; der Kampf um die errungene, monarchische Stellung in der Kirche. Die kirchenpolitischen Streitschriften der Folgezeit haben ein anderes Hauptthema als bisher: Papst und Kirche, nicht mehr sacerdotium und Imperium lautet die neue Problemstellung. 1) Die Actio Petri Cugnerii u. Petri Bertrandi bei Goldast Mon. II 1361 — 1383, dazu die Traktate des Petrus Paludanus De causa immediata ecclesiasticae potestatis, des Guilielmus Durandus a S. Porciano De iuris- dictione ecclesiastica und De legibus, und des Hervaeus Natalis De pote- state papae, sämtlich gedruckt Paris, 1306. Vgl. Friedberg, Zs. f. Kir- chenrecht III 81. 15 Beilagen 1. Zu Petrus de Lu^ra (vgl. S. 22 ff).. Herr Professor Schreibmülle r-Kaiserslautern hatte die Freundlichkeit mich darauf hinzuweisen, dass Peter von Lau- tern vermutlich einem der beiden Kaiserslauterer Reichsministe- rialengeschlechter angehört habe, das seit dem 13. Jahrh. sich abwechselnd nach Lautern und der Burg Montfort (bei Ober- moschel in der Nordpfalz) nennt; vgl. Schreibmüller, Pfälzer Reichsministerialen (Progr. des Kaiserslauterer Gymn. 1910) S. 53. Genannt wird unser Autor: 1333, Aug. 7 als Prior fr. Peter von Lautern, Glas- schröder, Urkunden zur pfälzischen Kirchengesch. nr. 588. 1374, Juni 24: Propst Peter vom Praemonstratenserkloster, ib. nr. 134, S. 57. Identisch scheint aber zu sein : 1368, Febr. 6: Peter von Monphort probst, Winkel- mann, Acta imp. ined. II 589 nr. 915. 1369, Apr. 22: Petrum de Monforte prepositum monasterii in Keyserslautern, Münch. Reichsarch. Rheinpfälz. Urk. 1295, Kai- serslautern Praemonstr. Kl. Da 1347 März 25 noch Hugo als Propst des Klosters er- scheint (G l a s s c h r ö d e r 1. c. nr. 500), kann Peter erst zwischen 1347 bis 1368 selbst zu dieser Würde emporgestiegen sein, vor- ausgesetzt, dass er wirklich zum Geschlechte derer von Montfort gehörte. Dass er 1391 nicht mehr lebte, bezeugt das Auftreten eines Propstes Johann in diesem Jahre (Glasschröder nr. 153). Geboren muss er spätestens 1308 sein, wegen c. 1 de statu monach. in Clement. (III, 10) § 7. Was übrigens die Datierung des Traktats gegen die Lehren des Defensor Pacis betrifft, so dürfte er doch etwas später an- zusetzen sein, als die beiden anderen ähnlichen Arbeiten. Die Einleitung mit ihren Vergleichen und Anspielungen auf den Unter- gang Pharaos und seines Heeres, die Warnung an Ludwig auf seine Kriegsmacht zu vertrauen, das Imperium über die Kirche zu er- höhen usw., scheint deutlich auf die italienischen Ereignisse des J. 1328 hinzuweisen. Ludwig wird denn auch als Imperator an- 230 geredet. Demnach kann der Traktat nicht mehr als Gutachten für die Bulle Licet iuxta doctrinam bezeichnet werden, sondern als eine erst nach der Kaiserkrönung, aber noch i. J. 1328 ent- standene Schrift gegen eben jene häretischen Lehren des Mar- silius und der andern Ratgeber des Kaisers. Auch Michael von Cesena und seine Anhänger können darunter mitverstanden werden, sodass der Titel der Hs.: Contra Michaelem et socios eins ein gewisses Recht hat. Auch unsere Kenntnis der literarischen Tätigkeit des Lau- terer Priors hat inzwischen eine Bereicherung erfahren durch den Hinweis Kentenichs im N. Arch. 34, S. -506 ff. (1909), dass die Hs. der Trierer Stadtbibl. nr. 689, fol. 49—61 einen noch völlig unbekannten Traktat Peters, Liga fratrum betitelt, enthält, im J. 1346 Papst Klemens VI. gewidmet. Ich bringe die kleine Schrift unter den Texten (nr. IIIt>) mit zum Abdruck ^). Hier sei nur kurz auf den für die Person des Autors wesent- lichen Inhalt hingewiesen. Peter bezeichnet sich als vices ge- rens in cura plebis Lutrensis, da der Lauterer Propst Hugo an der Kurie weile. Er erwähnt als früher von ihm verfasste Schriften: einen Johann XXII. gewidmeten Laqueus Michaelis^), also eine Streitschrift gegen Michael von Cesena und seine Anhänger, in der wir vielleicht die oben analysierte Schrift wieder- erkennen können ; eine Lex rectorum^ die in Form einer Summa den Pfarrern ihre Pflichten lehren sollte, mit polemischer Ten- denz gegen die Bettelorden ^) ; endlich ein Scisma fratrum be- titeltes Buch, das er vielleicht gleichzeitig mit der Liga fratrum verfasst und an den Kardinalbischof von Preneste P(eter) ge- 1) Die Hs., Chart, saec. 14 u. 15, miscell., enthält den Traktat von zwei Händen geschrieben : fol. 49 — 52v und 57 — 61v in schöner Schrift saec. 14, fpl. 53 — 56 wohl später, zur Ergänzung einer Lücke eingeschoben, Schrift saec. 14 ex. oder 15 in. Incipit fol. 49: Sancttssimo in Christo patri ac doniino. Incipit libellits qui dicitur liga fratrum doniino Cletnenti di- vina dispositione sacrosancte Bomane ac universalis ecclesie stanmo pontifici frater Petrus de Lntra Prenionstratensis ordinis vices gerens in cura plebis Lutrensis, religiosi viri dotnini Hugonis prepositi Lu- trensis in curia Romana pro nunc constituti ; fol. öOv die Zeitangabe: elapsis iam ab incarnacione domini ex integro MCCCXLVl annis.] 2) Fol. 49 : inter alia oblatum d. h. also er hatte Johann XXH. noch anderes geschickt. Seitdem habe er nichts mehr geschrieben. Von den oben erwähnten, verschollenen Schriften hören wir leider nichts. 3) Fol. 52, 52v, 58v ; die Schrift bestand aus Text mit Glosse. 231 richtet hatte '); es scheint eine Klageschrift über den zwischen seinem Orden und den Minoriten in Kaiserslautern ausgebro- chenen Streit gewesen zu sein. Die Liga fratrum widmete Peter dem Papste selbst, dem sie der Kardinaldiakon Johannes Co- lonna überreichen sollte, derselbe, dem Peter eine (verlorene) Schrift De columnis mysticis widmete (s. o. S. 22 n.). Von all diesen Schriften ist ausser der Liga fratrum noch nichts wieder zu Tage gekommen. Sie zeigen uns sämtlich unsern Autor als einen federgewandten und eifrigen Vtrteidiger der Rechte des Pfarrklerus in seinem alten Kampfe gegen die Bettel- mönche. Die Liga fratrum gibt davon ein anschauliches Bild. Sie behandelt namentlich die hinterlistige Art, in der die Mino- riten die Frauen an sich zu ziehen suchen, um durch sie auch die Männer zu gewinnen (fol. 45^, 50). Gegen diese Liga der Minoriten und der Frauen im Tertiarierorden wendet sich der Traktat. Die Minoriten beanspruchten nicht nur ihre Privilegien im Predigt-, Beicht- und Begräbnisrecht in weitem Umfange, sondern beeinträchtigten neuerdings auch das Recht der Kaisers- lautrer Ortsgeistlichkeit, das Abendmahl zu reichen (fol. 60). Peter von Lautern hat öffentlich gegen das Treiben der Brüder, besonders gegen ihre liga nefaria mit den Weibern, gepredigt und sich dadurch ihren Hass zugezogen ^). Er erzählt allerhand interessante Einzelzüge aus den Zuständen in der Wormser und Speyerer Diözese (fol 55, 56^) '). Die Gefahr für die Kirche, die aus dem Treiben der „dritten Orden" entsteht, erscheint ihm sehr gross ; der jüngste Tag ist nahe (fol. 49^, 50, 50^). Den Minoriten wird ein langes Sündenregister vorgehalten (bes. fol. 59 — 60), der Widerspruch zwischen dem Armutsgelübde und ihrem Leben hervorgehoben (fol. 51^, 52); vor allem aber wieder Unterordnung der Bettelmönche unter die Bischöfe gefordert, Einschränkung, wenn auch nicht Beseitigung der Exemtionen der Bettelorden, insbesondere Aufhebung de Bulle Benedikts XL Inter cunctas sollicitudines, Extrav. comm. c. 1 (V, 7), auf die 1) Fol, 60. Petrus de Prato war Vizekanzler der Kurie, Kardinalbischof von Preneste seit 1323, vgl. Eubel, Hier. cath. I 36, 44, 96, 438. 2) F'ol. 58: Et quin preniissa ad popitliitn loqiteus predico, prcdictos fratres graviter niichi infestos sencio. 3) Z. B. fol. 54 die Praktiken, um sich das Begräbnisrecht zu verschaffen, Versprechungen, die bei ihnen Beerdigten innerhalb einer gewissen kurzen Zeit aus dem Fegefeuer zu erlösen etc. 232 sich die Bettelmönche immer noch beriefen, trotzdem sie schon 1312 von Klemens V. beseitigt worden war ^) (fol. 56, 56^). Bemerkenswert ist die Belesenheit in den alten Klassikern, die Peter in diesem Traktate zeigt; er zitiert wiederholt Stücke aus Juvenals Satiren, aus Ovid, Lucan, Macrobius, Cicero u. a. Von kanonistischer Gelehrsamkeit ist dagegen wenig zu spüren. 2. Der „ferMus fracfal^us" des Franciscus Toh und die Schrift des niexander de S. Elpidio, Qe poi'es^al'e eccIesiasMca (zu S. 36 f.). Erst nachträglich war es mir möglich festzustellen, dass der Tractatus tertius de cessione personali etc., der im ms. Ottobon. 2795, fol. 186^ — 203^ dem Franciscus Toti von Perugia zuge- schrieben wird, nicht nur inhaltlich, sondern wörtlich identisch ist mit dem dritten (Schluss-) Teile der Schrift des Augustiner- generals Alexander de Sancto Elpidio, De potestate ecclesiastica (Roccaberti, Bibliotheca Max. Pontificia, Rom 1688, II 30 bis 40). Auch die Ueberschrift: Incipit tractatus tertius de ces- sione personali et sedium fundatione seu mutaiione. Postquam in secundo tractatu dictum est usf. findet sich bei beiden. Nur die Schlussworte Ottobon. fol. 203^ : Hec autem omnia etc. sancte vestre paternitatis iudicio et correptioni subposiia contra cuius auctoritatem nee Augustinus nee etiam quicumque sancii dociores suam sententiam defendere audent, fehlen bei Roccaberti. Gerade diese Worte scheinen aber nicht auf den Minoriten Toti, sondern auf den Augustiner Alexander als Autor hin- zuweisen, der seine Schrift dem Papste Johann XXII. widmete, während Toti für den Kardinallegaten Johann Gaetani schrieb **). Dasselbe bestätigen andere Kriterien. In der Hs. der Augustiner- ordensbibliothek in Rom, Angelica 810 (Q. 7., 13.) saec. 15, findet 1) Vgl. H. Holzapfel, Handbuch der Gesch. des Franziskanerordens (1909), S. 239 ff. 2) Vgl. die Unterschrift im Cod. Paris. 4046 fol. Il8v: Ego frater Fran- ciscus Toti de Pertisio profess. in ord. ininorum, de ruaitdato rev. patris et doniifti 7iostri lohafinis Sfi. Theodori diacoui cardiualis et legati sedis apostolice in Thtiscia predicta inxta ingejiii niei tetiiiitateni nie zelo ur- gente honoris domini ac sancte Rom. eccl. veri pastoris, sanctissimi pa- tris et domini Johann is pape XXII. dictavi et scripsi. 233 sich der tractatus tertius vereinigt mit den beiden Traktaten der Schrift De ecclesiaslica potestate als Werk des Alexander; ebenso Vat. lat. 4126, 4134, 4139. Inhaltlich schliesst sich der Traktat an die beiden vorausgehenden Teile nicht unpassend an, während die Bezeichnung „tractatus tercius^' im Ottobon. nur gezwungen erklärt werden kann bei Beziehung auf die vorausgehenden beiden Schriften der Minoriten. Die Einteilung in 10 Kapitel teilt der Traktat mit der Schrift des Alexander, deren erste zwei Teile je 10 Kapitel haben ; sie fehlt den Streitschriften der Minoriten. Freilich ist in anderen Hss. der Traktat De potestate eccle- siastica in der Gestalt von nur zwei Teilen überliefert, der trac- tatus de cessione fehlt hier ; so Angelica 1150 (S. 4., 19.) saec. 15 und Paris 4046 saec. 15.; ebenso haben die ältesten Drucke (Turin 1494 und Arimini 1624)') nur zwei Teile ^); ja, Alexander selbst sagt im Prooemium (Roccaberti p. 30) ausdrücklich: at- tentavi aliqua compendiose de potestate ecclesiastica in scriptis redigere, praesens opusculum in duobus tractatibus per diversa capitula distinguendo etc. Trotzdem scheint mir kein Zweifel, dass auch der tractatus de cessione von Alexander verfasst worden ist, nur muss er ursprünglich eine selbständige kleine Schrift ge- wesen und erst später als dritter Traktat vom Vfr. seiner Schrift De potestate ecclesiastica angefügt worden sein. Da Alexander bereits im Jahre 1326 starb '), so fällt die Abfassungszeit in die Jahre 1316—1326, bezw. da es sich um Streitschriften aus dem Kampfe der Kurie mit Ludwig d. B. handelt, 1323-1326, jeden- falls etwa zwei Jahre früher, als die Schriften der Minoriten von Perugia. Die Ueberschrift des Ottobon. fol. 186^ : Tractatus magi- stri Francisci Toti de Perusio O. Fr. M. contra Bavarum ist also einfach ein Versehen des Schreibers, der vorher die echte Streit- 1) Nach Narducci, Catalogo dei mss. della bibl. Angelica I, nr. 810; vgl. Gandolfus, Diss. Historica p. 44. Roccaberti hat: Turin 14%. 2) Vgl. die Bemerkung Narduccis 1. c. ; ebenso Gandolfus I. c, der daneben als besondere Schrift Alexanders ausdrücklich nennt : De cessione, sediiiin fuiidatione et niitfatione tractatus in Vaticana. 3) Das vielfach verschieden angegebene Todesdatum : nach Febr. 18, vor Okt. 6, 1326, ist gesichert durch Reg. Joh. XXII. Litt. comm. ed. Mollat, tom. VI. nr. 24426 und Eubel, Hierarchia cath. I 350, wonach A. wenige Monate nach seiner Erhebung zum Bischof von Melfi starb; vgl. Denifle, Chartul. univ. Paris. II. nr. 613 n. 847 n. 234 Schrift des Minoriten kopiert hatte. Cod. Paris. 4046 fol. 110^ bis 118^ enthält denn auch nur diese Streitschrift unter Totis Namen, nicht den tractatus de cessione. 3. Eine ungedruckk Vorrede zum Speculum manuale sacerdol^um des Hermann von Scl^ildesche (zu S. 51). lieber die Hss. des Speculum vgl. Seckel 1. c. p. 14. Ich benutzte die Hss. der Pariser Nationalbibl. a) lat. 17500, chart. saec. 15 (früher: nouv. acqu. 1071) fol. 2—50; b) lat. 10731, chart. saec. 15 (ex libris seminarii Carnutensis) fol. 118-129; c) Nouv. acqu. lat. 1733, chart. et membr. saec. 15 (früher Hospital von Dijon)fol. 314— 333^ — Drucke: Nürnberg 1479 in domo fratrum praedicatorum (Exemplar auf d. Leipz. Univ. Bibl.) u. ebenda 1480 (Leipzig, Biblioth. d. Buchgewerbehauses Klemm II 753; vgl. 0. Günther, Die Wiegendrucke der Leipziger Sammlungen u. d. herzogl. Bibl. zu Altenburg. Leipzig, 1909, no. 1977 u. 1978). Die Drucke haben die Vorrede „Deo amabilibus" an den Klerus überhaupt (b); ebenso Paris nouv. acqu. 1733 (doch nur bis z. d. W. ex Ulis vakant enodare); in Paris 10731 fehlt jede Vorrede. Dagegen findet sich in 17500 auf einem vorgehefteten Blatte die folgende Notiz und ein mangelhaftes Exzerpt einer andern Vorrede für das Kloster Herford {a) von der Hand eines kaiserl, Bibliothekars v. J. 1870: La premiere page du „speculum sacerdotum" dont suit un extrait, est copiee au revers du dernier feuillet d'un exemplaire d'un ouvrage imprime ä Strasbourg en H83: hec circa officium curatorum breviter a me perstricta sunt: hec insuper exarata sunt in famosa civitate Argentinensium anno Domini MCCCCLXXXIII tercio kal. septembr. Cet exem- plaire est au departement des imprimes". Ich konnte es leider nicht ermitteln. Es folgt dann ein Exzerpt des Prologs (a), den ich mit Verbesserung der Lesefehler und Ergänzung der Lücken, soweit möglich, aus dem Prolog der zweiten Ausgabe (b), wie- dergebe. Er ist interessant wegen der bisher unbekannten Nachrichten über die verwandtschaftlichen Beziehungen des Verfassers. Incipit prologus in speculum sacerdotum. Honorabili domino Henrico de Borkelhusen, canonico ebdomadario cunctisque Deo 235 comnmnicabilibus secularibiis ecciesie et oppidi Hervordensis tarn presentibus quam futuris f rater Hermannus de Scildis ord. fratr. heremitanim S. Augustini, inter sacerdotes [christicolas Dei pa- cientia professoris nomen habens, cum devotis orationibus in sa- cerdotali officio et sacramentali ministerio dignetur digne famu- lari. öloriosus doctor Johannes Crisostomus] ^) tercio libro de dignitate sacerdotali loquens de sacerdotibus dicii sie : Per ipsos Christum videmus, per ipsos filio Dei coniungimur, per ipsos membra beaii capitis efficimur. Unde patet quod in sacerdotali officio et sacramentali ministerio emanat salus christianorum omniumque populorum, quod ipsorum officium est summe glo- riosum. Absit ergo, carissimi, a nobis rem istam facere, ut infe- ramus crimen glorie nostre, ut legitur primo libro Machabeorum capitulo secundo. Crimen autem maximum imponeremus glorie nosire, si sacerdotale et sacramentale ministerium contingeret nos ignorare, quia diceretur de nobis id quod de filiis Meli libro primo Regum capitulo secundo scribitur: Porro filii Meli, filii Belial nescientes dominum neque officium sacerdotum ad populum. Eapropter, fratres et domini mei reverendi, de dictis doctorum tarn sacre theologie, quam ^) canonum ^) collegi unum breve et per- lucidum speculum ad honorem sancte matris ecciesie et profeclum simplicium et puuperum sacerdotum ^). Hoc ergo speculum ob vestri reverentiam et amorem, avuncule mee, qui semper bonum Hervordensis ecciesie tam in spiritualibus, quam in temporalibus procurastis, vesirique nominis memoriale perhenne cunctis sacer- dotibus ecciesie et opido Hervordensis tam presentibus, quam fuiuris sub duplici modulo communicavi, ut sub uno in loco ad hoc apto ecclesiarum parietibus affigaiur, ita quod continue sit in oculis ad excusationem (?) negligentem et pigrum; et nichilo- minus sub alio modulo in sacristiis seu armariis exponatur in una cathenula, ut cum oportuerit, possit seriosius revideri. Primo (?) fiat in exercicium studiosis (?), rogans humiliter et devote omnes vos Dei sacerdotes prefatos, tam presentes, quam fuluros, ut quo- a) christlicolas — Chrisos/oniu^ fehlt a. h) b add. sacfortnii. ci h add. secundnm riidilatciu tue! iii::;enii. d) h fährt fort: (jnod ideo snb .^imfliiitate lerbonDti et sifie allega- tiouibtt.-i compi/avr, ut siiuplicioyibus uoii sit ad iiitelligeiidiini difßcile et fouiparaitdiDJi panperibtn^ sncerdotihns. snuiptnoü/un u.s.f. bis gegen Schluss abweichend von dem Herforder Prolog. 236 tiescumque in altari Christi fueritis missas celebrando pro domino Heinrico avunculo meo prelibato ac meis parentibus et me ipso Christum Dominum exoretis ^), assumentes verbum gloriosi doctoris Augustini IX. libro confessionum cap. ult.: Inspira domine Deus, inspira servis tuis, dominis meis, quibus corde et voce et litera- liter servio, ut queque hie legerint, memlnerlnt ad altare tuum, parentum meorum, per quorum carnem Introduxisti me In hanc vitam, ac etiam avuncull mel prefatl ^) ac mei ipslus, ut "") Deus omnipotens et parentibus meis requlem nostram et avunculo pre- fato et vobls omnibus ac mihi concedat gaudla semplterna. Quod nobis omnibus prestare dlgnetur, qul vlvlt In secuta seculorum. Amen. 4. Ueber dss Verl^äHnis von Konrads von Megenberg Tracl^afus de franslahone imperii zu Lupolds von Bebenburg Tracl^ai^us de iuribus regni ef imperii (zu S. 100, 113). Durch die Arbeit von Hermann Meyer, Lupoid von Bebenburg. Studien zu seinen Scliriften (Studien und Dar- stellungen a. d. Gebiete der Geschichte hsg. von H. Grauert, Bd. VII, Heft 1. und 2., Freiburg i. B. 1909) sind wir zum ersten- mal in stand gesetzt worden, die handschriftliche Ueberlieferung der Schriften Lupolds zu übersehen ^). Aus seinen textkritischen Untersuchungen ergibt sich speziell für den Tractatus de iuribus regni et imperii das interessante Resultat, dass mehrere Rezen- sionen dieses Traktates vorhanden sind; dass Lupoid selbst die Urgestalt mehr als einmal mit Nachträgen und wesentlichen Aenderungen des Textes versehen hat. Die Hss. Cod. lat. Trev. 844., Clm. 7726, Cod. lat. Lips. 363 zeigen die ursprüngliche Textgestalt. Die Zusätze und Nachträge, die Cod. lat. Trev. 844 am Rande zeigt, sind teilweise oder vollständig auch in die übrigen Hss. übergegangen. Selbständige, im Trierer Codex a) Von hier an stimmt b mit a wieder überein. b) ac — prefati fehlt b. c) b: tit reqiiieui beataui niereaniiir percipere, qita}n uohis oiiuiibtis prestare dignetiir Jesus Christus sinunms priitccps o)nniii>n saceräotiini qui est benedictus iu seciila sec/i/onini. Amen. 1) Die wichtige Trierer Hs. hatte schon J. Schwalm , N. Arch. 32, 237 — 239 untersucht; hier auch ein Facsimile. 237 nicht vorhandene Zusätze, die auch noch Lupoid selbst zuzu- schreiben sind, weisen die Hss. Clm. 88 und Cod. lat. Fran- cof. 105 auf, und zwar im Kontexte, nicht am Rande. Den Cod. lat. Trev. 844 sieht Meyer als das für Balduin von Trier be- stimmte Exemplar an, in das aber Lupoid teils selbst, teils durch einen Notar die genannten Nachträge gemacht habe, sodass es als Dedikationsexemplar unbrauchbar geworden wäre. Bei einer Vergleichung der ersten drei Kapitel des Lupold- schen Textes mit den von Konrad von Megenberg wörtlich daraus entnommenen Partien in cap. 3., 5. und 6 seines Traktates er- kennt man nun sofort, dass Konrad ein Exemplar Lupolds vor- gelegen hat, das anscheinend von den Zusätzen des Trierer Codex frei war. Sämtliche von Meyer 1. c. p. 7—9 notierten Zusätze des Cod. lat. Trev. 844 fehlen bei Megenberg, soweit er überhaupt Lupoid wörtlich zitiert, mit Ausnahme von zwei noch zu nennenden Stellen, wie die folgende Uebersicht zeigt ^). Es fehlen die Nachträge Lupolds 1. c. fol. 4^, cap. 1 vor Porro defuncto : quorum etiam bis consederunt, Meyer S. 7. — fol. 5^ cap. 1 : Sciendiim tarnen est bis sequendam. — fol. 5^': Fuit autem bis continetur. — Qui sab anno bis contineiur. — fol. 6^, c. 1 : a Deo. — fol. 8^', cap. 2, Meyer S. 8: Sciendum tarnen bis ap- pellant. — fol. 10^', cap. 3 : Unde etiam legitur bis imposuerit. — fol. 11, cap. 3: Fuit etiam bis c. diffinitus. — fol. 11^ cap. 3.: Pre- terea etiam bis fore factum, und das Folgende bis dico quod. Man könnte vielleicht einwenden, dass es sich um Kürzungen Konrads von Megenberg handele, denn in der Tat finden sich solche an anderen Stellen. Er hat nämlich Hinweise, wie ut patet in cap. supra proximo u. a. ausgelassen, andere Partien subjektiv gefasst oder gekürzt. Megenberg cap. 6 fehlt die Stelle Lupoid cap. 1 nach Valentinianus imperator : ut refert Eusebius bis anno D. 367. — ib. Lup. c. 1. nach Marcomede: filio dicti Priami et Sunone — ib. nach Gotefridi: quondam imperialis curie cappelani et notarii; — ib.: ut ex iam dictis apparet. — ib.: de quo facto bis plene dicitur ; — ib.: inductus ad compe- scendum bis iniravit et eundem regem; — ubi erat sedes regni; — ib. nach Papye cepit gibt Megenberg nur ein gekürztes, nicht 1) Die nicht als Zusätze, sondern als Korrekturen zu betrachtenden Stellen, finden sich dagegen vor, ebenso wie im Clm. 772» und Lips. 363, vgl. Meyer 1. c. S. 18 und 20. 238 wörtliches Referat; — ib. Lup. c. 2: Bernhardum vero bis iussit fehlt bei Megenberg; — ebenso ib.: iste habuit tres filios bis di- cetur (zwischen Ludowicus und rex öallie). — ib.: der Passus nach Karolus tercius: filius Ludowici bis Ytaliam, heisst bei M. gekürzt: filius Ludowici regis Germaniae obtinuit Ytaliam. — ib. nach imperatoris secundi: ut iam dixi fehlt bei M.; ebenso nach obtinuit: una cum bis obtinuit; ib. scilicet filii Arnulfi desgl.— Lup. c. 3: Ex preallegata bis tum eiiam quia (Zitate) fehlt bei M. c. 5; — ib.: Eorum insuper prerogativa bis cap. 1. circa princ. desgl. — ib.: ut premisi desgl. — ib.: ut ex infra dicendis cap. 6. pla- nius apparebit fehlt ebenfalls. — ib.: ut patet ex dictis in 7*^ cap. memorato, bei M. c. 5: sicut cap. proximo patebit. — ib.: eo modo quo dictum est superius in cap.: fehlt M. — ib.: prout hec bis merito considerato : fehlt M. — ib. nach Francorum: ut referi predicta historia Francorum seu chronica, fehlt bei M. — ib.: tri- plici consideratione predicta: fehlt bei M. — cap. 1 nach Valen- tiniani imp.: ubi plene prosequiiur Eusebius de origine geniis et regum Francorum: fehlt M. c. 6. Andrerseits finden sich auch einige Stellen bei Megenberg, die in dem Schardschen Drucke, der doch die letzte, erweiterte Rezension Lupolds bietet, fehlen. Ich lasse es zunächst dahin gestellt, ob es sich hier um Zusätze Megenbergs oder um Lücken der Vorlage Schardius' bezw. Schardius' selbst handelt. In der handschriftlichen Ueberlieferung, soweit sie sich nach H. Meyer übersehen lässt, finden sie jedenfalls keine Stütze. So fehlt Lupoid cap. 2 nach : in superscriptione das Zitat Megenbergs c. 6 : et eadem distinctione c. Inter vos similis in superscriptione. Loihario vero, — ib. nach Ostrofrancie : M. c. 6: seu Orientalis Francie. — nach Beringario: M. 1. c: tercio. — zwischen Deo und assi- stente : sibi. — Lupoid c. 3 nach: Sed fama interdum probare videtur, hat M. c. 5 : precipue in his quorum memoria non habe- tur. — Lupoid c. 3 nach in quibus vocabulis hat M. c. 5: pro parte — ib. nach Imperium fuit: M. c. 5: regnum (Francorum) — ib. nach: nichilominus tamen, M.: hodierna die. — nach adhuc esse: M. regnum — nach maior pars: M. numero — nach in concordia : M. eligendo — nach aput reges Germanie: M. : et non aput reges Gallie eciam dum adhuc erat in posteritate et genere Karoli Magni ipsum Imperium in Germanos. — Lup. c. 1 nach paludes intraveruni folgt bei M. cap. 6: que sunt in principio 239 Europe et in confiniis Asie constitute, sicut scribitur in l. 15 de proprietaie rerum. Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich also ein beträcht- liches Abweichen der beiden Texte, das auf verschiedene Weise erklärt werden kann. Entweder wich der Text Lupolds, den Me- genberg als Vorlage benutzte, noch stärker von den uns über- lieferten Rezensionen ab, als wir aus den Hss. jetzt ersehen können; es lag ihm eine Urform vor, die selbst manches Text- gut des Cod. lat. Trev. 844 noch nicht besass und von allen späteren Zusätzen frei war, erst von Megenberg mit gewissen Zusätzen versehen wurde; — oder Megenberg hat den Lupold- schen Urtext oder doch eine seiner ersten Rezensionen willkür- lich verändert, gekürzt und auch ergänzt, wo es ihm angebracht schien. Die letzte Annahme scheint mir die wahrscheinlichere. Dass Megenberg nicht überall wörtlich seine Vorlage auf- nahm, sondern kürzte, zeigen die an zweiter Stelle gegebenen Vergleichungen mehrfach deutlich. Es handelt sich hier fast immer entweder um formale Hinweise auf andere Stellen des Lu- poldschen Traktates oder um historische Beispiele und Zitate aus der Karolingergeschichte etc., die für seine Zwecke über- flüssig waren; an zwei Stellen, Lupoid c. 1. nach: Et tunc post- quam bis tempore Carolas = Megenberg c. 3 am Ende, und Lu- poid c. 1 nach: Papye = M. c. .6, begnügt er sich mit einem kurzen, nicht wörtlichen Referate. Doch ist auch hier der Lu- poldsche Text noch deutlich zu erkennen. Schwieriger sind die Stellen zu beurteilen, wo Megenberg mehr hat, als selbst die letzte uns vorliegende Rezension Lupolds. Es handelt sich aber hier um i. A. ziemlich belanglose Glossen, kleine Erläuterungen, die recht gut auf Rechnung Megenbergs oder auch nur eines Schreibers des Megenbergschen Traktates ge- schoben werden können; vielleicht waren sie auch der ursprüng- lichen Fassung des Megenbergschen Traktats ebenso fremd, wie dem Lupoldschen Traktate. In der hslichen Ueberlieferung Lu- polds kann ich, wenigstens an der Hand von Meyers Untersu- chungen, diese Zusätze nicht finden. Anders scheint mir aber das Fehlen der Zusätze des Trev. 844 zu beurteilen. Hier ebenfalls an willkürliche Auslassungen und Kürzungen Megenbergs zu denken, scheint mir unwahr- scheinlich, da eben in diesen Partien nur die oben angeführten 240 Verweise und Zitate und die Trierer Zusätze, diese aber mit zwei Ausnahmen sämtlich fehlen. Zwei Stellen nämlich, die im cod. Trev. als Nachträge notiert sind, finden sich bei M. bereits vor; und zwar Lupoid cap. 1. fol. 5: Et de hac lege bis prima glossa, bei Megenberg c. 6, ein Zitat aus den Libri feudorum und der Glosse zum Dekret Gra- tians; ferner Lupoid c. 3 fol. 10^: ad idem Godefredus bis Ungara maier, die bekannte Stelle über Karls d. Gr. Abkunft aus Gott- fried von Viterbo ')• Es wäre denkbar, dass Megenberg in seiner Vorlage gerade diese beiden Nachträge, sie allein von allen spä- teren, im cod. Trev. in dieser Partie nachweisbaren, vorfand und deshalb übernahm. Aber wahrscheinlich ist das nicht, in der handschriftlichen Ueberlieferung findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass diese zwei Stellen älteres Textgut wären, als die anderen Nachträge ; wenn Megenberg ein Exemplar, wie etwa Clm. 7726 oder Lips. 363 benutzte, wie es doch scheint, so fehlten hier die zwei Stellen. Vor allem aber ist kein Grund ersichtlich, warum Megenberg, wenn er etwa ein schon mit Zusätzen versehenes Exemplar be- nutzte, gerade diese beiden Nachträge Lupolds aufgenommen haben sollte, die andern aber wegliess, da er doch sonst Zitate und historische Beispiele kürzt oder auslässt. Fand er sie aber nicht bei Lupoid, so hat er offenbar den aoch unkorrigierten Text, der ihm vorlag, selbst mit Zusätzen versehen; und nichts liegt dann bei den persönlichen Beziehungen Lupolds zu Me- genberg näher, als dass jener eben durch Megenberg angeregt wurde, seinen Traktat umzuarbeiten, zu ergänzen etc., dass er wenigstens einzelne Ergänzungen Megenbergs aufnahm. Das Plus, das der Text Lupolds bei Megenberg gegenüber der älte- sten Rezension zeigt, scheint also nicht so sehr auf Nachträgen Lupolds, als vielmehr auf Zusätzen Megenbergs zu beruhen, die ihrerseits erst solche Nachträge veranlassten. Dieses Verhältnis scheint mir besonders deutlich auch aus einer Stelle bei Lupoid c. 4 hervorzugehen. Hier findet sich fol. 17 der Nachtrag: Circa hanc questionem est sciendum, quod 1) Zu diesem Zitate vgl. auch G. Leid in ger in Festgabe K. Th. v. Heigel gewidmet, München 1903, S. 163 und 170. Danach scheint es ein Lieblings- zitat Megenbergs. 241 opinio est Quorundam, quod imperator Constantinopolis sit verus Imperator et quod nosier imperator sit procurator sive defensor ecclesie Romane, que opinio notatur XCVI. dist. Si imperator. Et hanc opinionem tenet Bernhardus Hispanus, iit ibi noiat ar- chidiaconus. Et secundum hanc opinionem sequeretur quod nulla de Grecis ad Germanos translatio imperii facta fuisset. Sed quia tam iura canonica ut patet Extra De electione Venerabilem et De iure iurando Romani in princ. in Clement, quam etiam cro- nice diverse asserunt de Grecis Imperium fuisse translatum, id- circo reprobata ista opinione usw. Diese Ausführungen finden sich auch bei Megenberg c. 2, aber ohne Beziehung auf Lupoid. Sie lauten hier: Sane tam sacri canones quam etiam cronice diverse asserunt verum Impe- rium de Grecis ad Francos et Germanos translatum fuisse, ut patet Extra de electione Venerabilem et de iure iurando Romani imperatores in Clement., quamvis fuerit opinio Bernardi Hispani et quorundam aliorum, quod verus imperator sit imperator Con- siantinopolitanus, et quod noster imperator sit procurator sive de- fensor ecclesie Romane, que opinio notatur per dominum Gwi- donem archidiaconum XCVI. dist. Si imperator. Hier scheint mir das Abhängigkeitsverhältnis einleuchtend: Lupoid wurde zu seinem Nachtrage durch den Passus bei Me- genberg veranlasst, nicht umgekehrt. Dasselbe scheint mir aber auch, wie schon oben hervorge- hoben wurde, der Fall zu sein bei den tiefgreifenden Aende- rungen Lupolds in cap. 16 '). Auch hier finden wir die Nach- träge Lupolds aus den Chroniken über die karolingischen Kaiser- krönungen bei Megenberg cap. 18 bereits im Texte vor, in bester Harmonie mit ihrer Umgebung, ohne dass Lupoid zitiert würde. Hat, wie wir annahmen, Megenberg den nicht erweiterten Text Lupolds benutzt, so fehlten hier diese Stellen, und es liegt nur zu nahe anzunehmen, dass eben Megenberg die ihm besonders nahe liegenden Aenderungen und Ergänzungen vornahm, die dann wieder Lupoid zu seinen Korrekturen und Umarbeitungen veranlassten. Lupolds Schrift war nach Meyers Nachweis im Urtext vollendet am 3. Febr. 1340; der Traktat Megenbergs erst 1354. Vielleicht 1; H. Meyer I. c. p. 146. Scholz, .Analysen und Texte. lo 242 scheint der Zwischenraum zu lang; man möchte denken, dass Lupoid schon eher seine Arbeit umgearbeitet und neu redigiert hätte. Indessen ist das nicht nötig. Occam hat um 1342 in seinen Octo quaestiones noch den nicht erweiterten Text benutzt ^). Zudem sind ja aber nach dem Befund der Hss. mehrere, drei bis vier auf einanderfolgende Ueberarbeitungen wahrscheinlich (vgl. Meyer S. 25, 29 f.); Megenberg wird die Nachträge und Aende- rungen, die Lupoid an seinem Werk anscheinend immer wieder vornahm, nicht gekannt haben, wenn er eine ältere Abschrift benutzte. Er mag Einfluss nur auf die letzte oder eine der letzten Rezensionen gehabt haben ^). Gerade die Zeit um 1354 scheint für eine Neuredaktion besonders geeignet, wenn man die politische Tendenz beachtet, in der namentlich der Nachtrag zu c. 16 und die daraus abgeleiteten Korrekturen erfolgten. Sie deuten hin auf ein gewisses Zurückweichen Lupolds vor stär- keren Einflüssen der kurialistischen Partei ; solche Einflüsse machten sich aber offenbar in den ersten Jahren der Regierung Karls IV., namentlich in der Zeit seiner Verhandlungen mit Inno- cenz VI., also um 1354, viel mehr geltend, als um 1340. Dazu kam, dass Lupoid eben 1353 Bischof geworden und wohl geneigt war, äusserlich mit der Kurie in gutem Einvernehmen zu bleiben. Ich bin mir bewusst, nicht mehr als eine Hypothese auf- stellen zu können, um zu genauerer Untersuchung anzuregen. Grössere Sicherheit kann erst die kritische Edition der Schriften Lupolds geben. Immerhin scheint mir die Wahrscheinlichkeit zu bestehen, dass der Kurialist Megenberg an dem Werke seines imperialistischen Freundes nicht nur Kritik übte, sondern dass diese Kritik auch nicht ohne Wirkung blieb und Lupoid zu Ab- änderungen und Konzessionen veranlasste, die sein ganzes po- litisches System, wie Meyer 1. c. zeigt, ins Schwanken brachten. 1) Vgl. das Zitat Occams VIII Quaest. q. 8, cap. 2, Goldast II 380-382 mit dem Verzeichnis der Nachträge zu Lupolds cap. 6 bei Meyer 1. c. 2) Für die Abfassungszeit und die Bestimmung des cod. Trev. 844 würde die obige Hypothese freilich die Konsequenz haben, dass die eventuell erst durch Megenberg vermittelten Nachträge auch erst 1354 und später einge- tragen sein könnten. Die Hs. könnte dann nicht das in den Besitz des Erz- bischofs Balduin von Trier gelangte Dedikationsexemplar sein, da ßalduin Jan. 1354 starb; die Nachträge müssten denn in Trier selbst gemacht worden sein, was unwahrscheinlich ist. Vgl. auch Meyer, S. 125. 243 5. Die Bearbeil^ung der QekrminaMo compendiosa vom Jahre 1342. (zu S. 126). Vat. lat. 4115 enthält fol. 231 bis 266^ eine teilweise Bear- beitung bezw. Fortsetzung der von Krammer 1. c. herausge- gebenen Determinatio compendiosa, die zeigt, wie diese Schrift aus dem Ende des 13. Jahrh. auch noch in den Kämpfen unter Ludwig dem Bayern eine Rolle spielte. Fol. 231 trägt die Ueberschrift: Confirma hoc Deus quod ope- ratus es in nobis. Darunter mit kleinerer Schrift: Incipit novus libellus contra Michaelitas hereticos et bausinos. An der obern rechten Ecke : Tractatus contra fratrem Nliquaellem (!) de Ces- sina ministrum fratrum minorum qui erores aliquos docmaticabat. Der Schrift wird also eine ihr ganz fremde Tendenz unter- gelegt, die nur auf die Zusätze des Bearbeiters passt. Dieser gibt ungescheut das Ganze als sein Werk aus. In der von ihm verfassten Vorrede wendet er sich an Klemens VI., die Kardi- näle und die gesamte Geistlichkeit der Welt, um ihr hunc bre- vem tractatum de iurisdidione imperii et auctoritate summi pon- tificis zu empfehlen, den er aus den heiligen Schriften und den Chroniken geschöpft, necnon cum magnis laboribus et vigiliis compilatum zum Lobe Christi und der Kirche geschrieben habe, zur Abwehr der Tyrannen und Rebellen. Alle Gläubigen sollen die Schrift lesen, abschreiben und überall verbreiten 0« Er wendet sich dann direkt gegen Michael von Cesena und seine Anhänger, gegen ihre Streitschriften, gegen jeden Versuch einer Auflehnung gegen die Kirche, der kläglich scheitern müsse. Der Sieg des Papstes ist gewiss; alle Kaiser mit wenigen Ausnahmen waren Verfolger der Kirche, alle Päpste Heilige. Mystisch ist schon vom Propheten geweissagt worden: Ecce advenit dominator do- minus et regni in manu eius potestas et imperium in manu vi- carii eius. Der Standpunkt des anonymen Vfrs. ist daraus klar er- sichtlich. Auf sein Vorwort lässt er die Kapitelübersicht folgen : Cap. 1 1) Der Schluss: (jiii her. scripsi — Amen entspricht Determ. comp. p. 64, Zeile 10-17. 244 bis 31 stimmen mit der Determinatio überein ^). Es folgen dann noch 8 neue Kapitel, in der Uebersicht : Quare ecciesia Ludovicum de Bavaria regno Romanorum seil imperio privaverit cap. XXXII. Cap, XXXIII. De falsis fratribus Michahelis et eins sequa- cibüs, Cap. XXXIV. De regibus fidelibus et infidelibus ecclesie. Cap. XXXV. De virtuie et potestate ecclesie. Cap. XXXVI. De gloria et magnificencia ecclesie militantis. Cap. XXXVII. Quod summum pontificem modernis tempo- ribus decet statum habere magnificum ei gloriosum. Cap. XXXVIII'^l Quod summus pontifex ceterique omnium ecclesiarum prelati possunt et debent habere licite et secure mo- dernis temporibus castra et municiones ac terras pro defensione fidei Christiane. Cap. XXXIX. Que causa fuerit auctoris scribendi hunc trac- tatum. Cap. XL^\ Exhortacio bona et utilis ad legentes hunc li- bellum. Cap. XLI. Quod soli pape iura celesiis et terreni regni a Deo sunt commissa^l Die Ausführung stimmt nicht ganz zu dieser Uebersicht; die Hs. enthält offenbar nur einen Entwurf. Auf den Text der Determinatio compendiosa cap. 1—31 mit dem Schluss: Hec de dicta questione sufficiant ad presens, folgt fol. 258^ als cap. XXII bezeichnet (statt XXXII): Nunc auiem breviter vi- dendum quare ecciesia seu sedes apostolica Ludovicum de Ba- varia regno et imperio Romanorum privaverit; fol. 259 v.: Quod 1) Vgl. Krammer, p. 1 — 3; kleine Abweichungen der Hs. abge- rechnet, wie Iioc statt hie, Urammer, p. 1, Zeile 14 u. 22; ibidejn per se de se ipso, p. 2, Z. 2 ; nsnnipcionis statt institucionis, p. 2, Z. 10 ; precipue ffiiit) addit., p. 2, Z. 31 ; pritno deest p. 2, Z. 32 ; et Silvesti'o deest p. 3, Z. 4 ; adtnittistracionis statt adininistrandi, p. 3, Z. 11 ; qitod statt qjio- tnodo, p. 3, Z. 15. — Der Text der Hs. ist i. A. schlecht ; es fehlen die Zu- sätze von P. 3 ebenso, wie die Abweichungen von M. Nebenbei bemerke ich, dass in Krammers^Ausgabe das Hss. -Verhältnis mir nicht richtig beurteilt zu sein scheint, abgesehen davon, dass eine ganze Reihe von Hss., wie Palat 605. Ottobon. 641 und 711. Auxerre 252 (saec. 14), nicht einmal genannt sind. a) ms. cap. XXXIX. b) ms. cap. XLII. c) ms. cap. XXX VII JI. 245 summo pontifici iura celestls et terreni regni soll a Deo sunt commissa c. XXXIII, quod tarnen erit ultimum id est XXXV !!.; fol. 260 ohne weitere Ueberschrift: cap. XXXIIIL; fol. 260. v.: Quod summus pontifex ceterique episcopi et archiepiscopi necnon omnium ecclesiarum prelati possunt et debent habere licite et se- cure censuSy terras ei provincias, castra, civitates et municiones pro defensione fidei cftristiane. cap. XXXV. Dann fol. 261^: caplm. XXXVI : De falsis prophetis fratribus ca"^ 33'" Mychae- litis et eius sequacibus. — fol. 262: c. ///(.') De regibus fidelibus et infidelibus ecclesie: — fol. 263: c. 34: De virtute et potestate ecclesie catholice. — fol. 263 v: De gloria et magnificencia ecclesie caplm. 36"". — fol. 264^ ein Absatz ohne Ueberschrift: Zelus domus Dei usw. — fol. 266: Exortacio bona ei utilis ad legentes hunc libellum cap. XXXVII. Alle Kapitel des Bearbeiters scheinen für sich abgeschlossen; sie schliessen sämtlich mit einer Gebetsformel: fol. 259^: a quo nos custodiat semper omnipotens pius pater et misericors dominus. Amen. — fol. 260^: qui in irinitate perfecta vivit et regnat, Dens per omnia secuta seculorum amen; ähnlich fol. 261^, 262, 263, 264, 264^', 266, 266^'. Wahrscheinlich also handelt es sich um einzelne, allmählich erst aneinandergefügte Zusätze, bezw. Stil- übungen. Der Schluss fol. 266^' gibt die genaue Abfassungszeit: Explicit brevis libellus de iurisdictione imperii et auctoritate summi ponii- ficis qui in principio bene placebit legentibus, in media melius, in fine autem optime. De novo quidem compilatus a quodam Sancte Romane ecclesie devoto sub anno vero domini MCCCXLIT in mense Augusti pontificatus autem sanctissimi in Christo patris ac domini nostri domini Clementis pape VV' anno primo. Die Ausgabe hängt also wohl mit der Erneuerung der Prozesse gegen Ludwig den Bayern durch Klemens VI., 4. August 1342, zusammen. In dem Verfasser darf man vielleicht einen Franzosen sehen '). Da in den Texten der Abdruck der Vorrede sowie der Kapitel der Fortsetzung folgt, gebe ich hier nur eine kurze Inhaltsanalyse. Der Bearbeiter klagt heftig über die deutschen Fürsten und 1) Vgl. fol. 21)0 die Verherrlichung Frankreichs; ebendort das Wort: rciidere = geben. 246 Wahlbestechungen bei Ludwigs Wahl (cap. 32, fol. 258^, fol. 265). In cap. 82 werden die Gründe für Ludwigs Bannung aufgezählt: die Wahl in regem Romanorum in discordia, die Uebernahme der Reichsregierung in Deutschland und Italien vor der päpst- lichen Konfirmation, die italienische Politik, die Heiratsaffäre der Margarethe Maultasch, endlich die Liga der Kurfürsten, die hartnäckig auf ihrem Standpunkt beharren wollen '). Sie haben dadurch die imperialis dignitas, die ihnen einst die Kirche übertrug, verwirkt, das Romanum imperium ist pleno iure ad summum pontificem revolutum, er kann es einem Volke geben, wo Gerechtigkeit herrscht. Denn (cap. 33, fol. 259^ f.) der Papst ist der Vikar Christi, er konfirmiert, konsekriert und krönt den Kaiser, setzt ihn ab, wenn er schismatisch oder häretisch ist. Der Papst steht über jedem Konzil und jedem Gesetz usw. Cap. 34 (fol. 260— 260v) feiert den Klerus mit dem Papst an der Spitze als die militia, der höhere Ehren als der am kaiser- lichen Hofe zukommen; cap. 35 (fol. 260^-261) rechtfertigt den Besitz von Reichtum, Gütern und Kriegsmacht in den Händen der Geistlichen zur Verteidigung gegen ihre Verfolger; zum Kampfe fordert der Vfr. auf: ubi namque non est pugna, nulla est Victoria; es ist eine Zeit des Kampfes aller gegen alle und besonders gegen die Kirche. Cap. 36 (33, fol. 261^-262) wendet sich gegen die falschen Propheten, d. h. die fratres Michaeliiae und frater Guillermus Occam, die Verräter des Papstes und ihres Ordens, gegen die die frommen Minoriten vergeblich predigen. Das folgende (fol. 262-263) bekämpft den impium et prophanum Ludovicum de Bavaria exaltatum et elevatum sicut cedrus Libani, den neuen Pharao; ihn erwartet das Geschick aller Tyrannen und Feinde der Kirche; man solle zu Gott bitten, dass er wieder fromme Fürsten erwecke. Die nächsten Kapitel (fol. 263-264^) enthalten eine überschwengliche, dabei formelhafte Beschreibung der Herrlichkeit der römischen Kirche, ihrer Ueberordnung über alle andern weltlichen und geistlichen Ordnungen, als Quell aller Tugend und Religion : quid ergo habes, o homo Christiane^ quod ab ecclesia non accepisti? (fol. 264). Einst ehrten sie alle Kaiser und Könige und wurden dafür von Gott belohnt; jetzt hat sich leider alles geändert, totus mundus odit ecclesiam (fol. 264); wie 1) Gemeint kann also nur die neue Bannung von 1342 sein. 247 Christus vor Herodes und die Apostel vor den Juden, so flieht Jetzt die Kirche nach Frankreich, in quo solum viget pax et iu- stici'a. Das folgende Kapitel wendet sich gegen einen neuen, in Bayern von jenen falschen Magistern und Doktoren verfassten libellus, der die Behauptung vertritt, quod Rex Romanorum quam cito electus fuerit ab electoribus Alemannie poterit administrare citra ei ultra montes sine confirmacione pape; dass Imperium und Papsttum getrennt seien und das Papsttum abhänge vom Im- perium ; dass rex Romanorum seu imperaior ut supra electus die Kaiserkrönung und Reichsverwaltung nicht nur vom Papste, sondern von jedem puro catholico empfangen könne; dass nicht der Papst, sondern der Kaiser der alleinige Herr der Welt sei; ferner dass zur Papstwahl die Zustimmung des Kaisers gehöre, dass der Kaiser den Papst zu konfirmieren oder zu reprobieren habe, dass er wenn er wolle, auch einfach einen Papst und Kar- dinäle ernennen und absetzen könne, dass er die ganze geist- liche Hierarchie einsetzen dürfe; endlich dass die Prozesse Jo- hanns XXll. nichtig seien. Damit wollen sie die Irrtümer Ludwigs beschönigen und auch die der deutschen Fürsten, qui, pro dolor, quod flens scribo, corrupti sunt et abhominabiles facti sunt et non est aliquis inter eos qui faciat bonum, ymo non est usque ad unum, sicut apparuit iam multis annis in regimine eleccionis Ro- manorum regis seu imperatorls, in quo publice consueverunt ren- dere unus alteri vocem sue eleccionis pro magna pecunie quan- iitate, necnon pacta inhonesta rei publice contraria more paga- nissimo assueti sunt subire in abusionem sue gentis et patrie atque Romani imperii non modicam lesionem usw. (fol. 265). Welchen libellus der Vfr. meint, ist nicht recht deutlich; am ehe- sten wird an Schriften Occams *), vor allem an seine Octo Quae- stiones und den Dialogus zu denken sein; vielleicht auch noch an den Defensor Pacis, von dem ja auch eine gekürzte, eben 1342 erschienene Ausgabe existierte"). Zum Schluss spricht der Vfr. nochmals seine Hoffnung aus, dass Gott bald einen christlichen Fürsten schicken werde, der dem Papste gehorche (fol. 265^). Das Schlusskapitel (fol. 266-266^) 1) In der Hs. wird in den Randglossen auf Occam und die Michaelitae verwiesen. 2) Snllivan in Kngl. llist. Kev. 1905, S. 293 ff. N." Valois, Hist. litt. XXXIII 603. 248 enthält noch eine Mahnung an das christliche Volk auf die Stimme Gottes zu hören, der die Herrschaft des Papstes auf Erden ver- l<ündet. 6. Ueber einen anonymen Trak^af gegen Benediki^ Xli. (zu S. 150). In der Hs. Palat. lat. 378, chart. saec. 15, die ausser Schriften des Erzbischofs von Armagh, fol. 206-264^ Occams Octo Quae- stiones enthält, findet sich fol. 265-287 ein anonymer Traktat, der ohne Frage aus dem Kreise Occams und Michaels von Ce- sena stammt, grosse Aehnlichkeit mit Occams Art hat, aber doch wohl nicht von ihm selbst herrührt ^). Ich bringe das Wesentliche daraus in den Texten und be- gnüge mich hier mit einigen Bemerkungen. Der obere, halb abgeschnittene Rand von fol. 265 trug die Worte: ...immo Libellus ...quem nunc ego scnpsi . . . quisque catolicus studere vel legere debet ad observandum et credenduni questiones in eo contentas esse veras, sed ad condempnandum tanquam erronea et falsa et etiam plura bona magna et utilia. Die Ueberschrift lautet: Libellus editus ad defensionem fidei catolice et contra hereses que insurrexerunt adversus ipsam fidem. Der Inhalt betrifft die Haltung Benedikts XII. in der Frage der visio beatifica. Die Schrift v^endet sich an die gesamte Christenheit, sie wird als eine litera bezeichnet, ganz wie die entsprechenden Flugschriften der Minoriten im Armutsstreit. Nachdem zunächst (fol. 265-266^) festgestellt worden ist, dass der Papst in Glaubensfragen dem Urteil des universalen Kon- zils unterworfen ist und, wenn er Glaubenslehren verkündet, die gegen den Glauben und die Lehre der Kirche Verstössen, als Häretiker von allen zu meiden ist, wird nachgewiesen, dass Be- nedikt XII. in der Lehre von der visio beatifica öffentlich in dem Erlass: Benedictus Deus in donis suis'') die Irrlehren Jo- hanns XXII. und anderer Ketzer verkündet habe, also selbst für einen Ketzer zu halten sei. Es wird (fol. 274) insbesondere an die frühere Appellation der Minoriten gegen diese Ketzerei er- 1) Derselbe Traktat steht auch: Angelica fondo antico nr. 378. 2) Vgl. darüber K. Jacob, Studien über Papst Benedikt XII. Berlin 1910, S. 34 ff. 249 innert '), der Widerspruch zwischen der alten Lehre der Kirche und der Lehre Benedikts und Johanns XXIL gezeigt; das Ver- halten der beiden Päpste gegen die Ketzer Thomas de Anglia und Gerald Odonis, die Vorstellungen der frommen Königin Sancia von Neapel u. a. m. erwähnt, und aus allem der Schluss gezogen, dass beide Päpste als Ketzer zu behandeln seien. Diese Ausführungen zeigen inhaltlich die grösste Aehnlich- keit mit den oben S. 150 ff. besprochenen Traktaten Occams. Ja, es finden sich so^jar wörtliche Anklänge, wie fol. 266^ das Beispiel von Hilarius und Leo in der Occamschen Schrift gegen den Eid Karls IV. (hrsg. von K. Müller, S. 9) wiederkehrt. Dennoch glaube ich nicht Occam, sondern eher Bonagratia als Verfasser der vorliegenden Abhandlung ansehen zu sollen. Die Beweisführung stützt sich ausschliesslich auf Stellen des ka- nonischen Rechts und das Ganze wahrt einen offiziellen Kanzlei- stil, wie er für solche Manifeste, die nicht so sehr Streitschriften, als öffentliche Erklärungen sein wollten, passt. Solche Erklä- rungen aber hat nachweislich ja Bonagratia verfasst. Gegen Occam spricht m. E. insbesondere die Lehre, dass das Generalkonzil die höchste Autorität in Glaubensfragen sein solle, während Occam gleichzeitig doch in seiner Schrift gegen Jo- hann XXIL auf die Autorität der spiritualen Gemeinschaft der Gläubigen rekurriert, ja bald danach in der Streitschrift gegen Benedikt XII. nur noch das Evangelium gelten lässt. Diese An- schauungen scheiden seine Schriften scharf von den mehr offi- ziellen Aeusserungen des Libellus ad defensionem fidei. Sollte Bonagratia als Vfr. in Frage kommen (gest. 1340, Jan. 17) -) so müsste der Traktat zwischen 1336 und 1339 ent- standen sein. Darauf weist auch die Anführung des Erlasses Benedictüs Dens vom 29. Jan. 1336, der wohl den ersten Anlass zur Abfassung gab. \) Vielleicht die ßon.igratias von 1332? Vgl. K. Müller, Kampf Ludwigs d. B. I 326. 2) Vgl. P r e g e r , Abh. Münch. Ak. 16, S. 34. K. Müller, Kampf Ludw. d. B. II 251. 250 Eine anonyme Abhandlung de pofesfak ecciesiae und Alvarus Pelagius, Planc^us cap. 40. (zu S. 190). In dem öfters genannten Cod. Paris. 4046 findet sich fol. 118^- 121 eine anonyme, kurze kurialistische Abhandlung mit der Ueber- schrift : De potestate ecciesiae. Sie richtet allem Anschein nach ihre Spitze gegen den Defensor Pacis des Marsilius, zeigt aber in ihrem Gedankengange auch merkwürdige Analogien mit der Monarchia Dantes. Deshalb sei hier kurz darauf eingegangen. Der Anfang lautet wie folgt: Circa ecclesiasticam potestatem et saecularem et earum com- paracionem et ordinem ad invicerriy licet sapientibus fidelibus non Sit multum dubium propter sanctorum patrum determinationem quam Spiritus sanctus per eos nobis communicare dignatus est, [ I propter tarnen aliquorum proterviam, que Christiane religionis solum nomen obtinent et rem nominis non tenent, inde questio- j < nem tamquam dubium susciiantem non inconvenienter videtur de istis ianquam de dubiis disputandum. Et quia secundum sen- tentiam philosophi circa principium tercie metaphysice voleniibus inquirere veritatem occultorum convenit eis pre opere dubitare seu per modum dubitantis de eisdem occultis inquirere, nam copia et investigatio posterior non est nisi solutio priorum dubitatorum: idcirco conveniens videtur preponere circa propositum motiva qui- büs aliqui possunt moveri vel forte moventur ad ponendum eccle- siasticum monarcham non posse nee debere regere et corrigere seculares principes ^) sacrarum scripturarum que in texiu biblie continentury vel per rationes naturalis iuris quod apud omnes est idem ei omni alio positivo subponitur immutabiliter, et per auciori- tates philosophorum que rationibus naturalis iuris innituntur, licet sanctorum doctorum auctoritas cuicumque fideli sit maior auc- toritate philosophorum. Et quia naturalis ratio patenter ostendit, quod spiritualia sunt nobiliora corporalibus et corporalia ordinan- tur ad spiritualia tamquam ad finem, potestas vero ecclesiastica est principaliter spiritualis, secularis autem seu civilis est corpo- ralis, ideo omnes concedunt, quod monarcha ecclesiasticuSy apud n) Hier sind 1 — 2 Worte ausgefallen, etwa: per ratioticin. 251 quem est plenitudo poiestatis ecclesiastice, regulat ei ordinat in ratione suis^) principem politicum seu civilem et potestatem eins. Verumtamen quidam dicunt, quod monarcha ecclesiasticus, scilicet dominus papa, in ratione agentis ei moventis (fol. 119) per se non potest nee debet regere nee iudicare principatum civilem nee eius principem circa ea que ad principatum civilem pertinent. Et hoc est dicere, quod dominus papa non potest regere principatum secularem nee ed excessibus principis secularis cognoscere nee corrigere per se in quantum tales excessus sunt, sed solum hoc potest per accidens, videlicet in quantum per tales excessus spi- riiuales actiones que subsunt regimini eius impediuntur ; et ita quia poiest per se compellere ad rcgimen spiritualium, potest ex consequenti prohibere civiles actiones que spirituales impediunt in eo quod impediunt, et non aliter. Ad hoc autem videtur posse induci talis ratio : sicut monstrum et contra naturam esset unum corpus habere duo capita distincta, ita monstruum et contra naturam esset unum capud habere duo Corpora distincta; quod est, contra naturam ratione iuris natu- ralis est, quod monarcha ecclesiasticus regat in ratione agentis et moventis principatum secularem et eius principem in eo quod princeps est usf. Der Vfr. führt dann die Beweise „einiger" dafür an, dass die ierarchia ecciesiastica und der principaius politicus zwei distinkte Körper seien: ex causis istorum principatuum ei dif fe- renda consequenie easdem cau^as. Die causa effectiva der kirch- lichen Hierarchie sei allein Gott; die causa des principaius ci- vilis, aber ipsa natura instituta iam per Deum quia civiliter et politice regere est actus virtutis moralis. Die beiden causae un- terschieden sich also, wie Gott und Natur, d. h. die geistliche und die weltliche Herrschaft seien esseniialiter verschieden. Dasselbe ergebe sich aus den causae materiales und aus dem finis : das Ziel der geistlichen Herrschaft sei übernatürlich (gratia in presenti et gloria in futuro), das der weltlichen na- türlich (quia convenit homini secundum naturam) etc. Da ferner der principaius ecclesiasticus sit finis principaius civilis, non po- test esse causa activa ipsius, et ita princeps ecclesiasticus non potest ut movens et agens regere principatum civilem. a) so ms ^ ob: siifx'ri'oris} 252 Hüne dicunt aliqui esse intentionem aliculus Aristotelis VIT Politicorum, ubl distinguens officia necessaria in policia dicii quod in policia optima et bene ordinata non omnia omnibus, sed singüla singulis commiitenda. Ibi etiam dicit, ut dicunt, quod sacerdotium non est committendum iudicibus nee bellatoribus, sed solum abdicatis ab actionibus politicis, seil, puris speculativis 0- Gegen diese Auffassung erhebt nun der Vfr. Einspruch. Er zeigt, dass das ganze Prinzip der Argumentation falsch sei. Man dürfe überhaupt nicht unterscheiden zwischen kirchlicher und staatlicher Herrschaft, sondern zwischen christlicher und nicht christlicher : si prineipatus dividatur ut genus vel ut totum universale, debet' dividi in principatum eatholicum et gentilem et Judaicum vel Sarracenum et sie de aliis quk sunt speeie distincti. Prineipatus autem catholicus sive politia christiana est quoddam unum numerale, non habens sub se partes subiectas, sed inte- grales. Er beweist nun dreierlei : 1. dass der prineipatus ehristianus eine absolute Einheit ist. Nach Aristoteles Politik ist das sacerdotium eines der sechs of- ficia jeder politia, also nicht ein anderes Ganze als die poli- tia, sondern einer ihrer Teile. Kirchliche und staatliche Gewalt sind integrale Bestandteile des einen prineipatus aller Getauften. 2. erfordert die Einheit der politia christiana auch die Einheit der obersten Gewalt in einem princeps. Zwei unabhängige, koor- dinierte principes, ein weltlicher und ein geistlicher nebenein- ander, würden die Sicherheit des Ganzen gefährden. Der welt- liche könnte einen Krieg anordnen, der geistliche ihn verbieten — ut tota die contingit inter christianos. Die Einheit des obersten Zweckes und Zieles der Christenheit verlangt einen einzigen, obersten Leiter. 3. wird nun bewiesen, dass dieser oberste Regent nur der monarcha ecclesiasticus sein kann. Christus selbst bestellte Petrus und seine Nachfolger zu Lenkern der Christen- heit. Dasselbe folgt aus der bevorzugten Stellung des sacer- dotium in der politia christiana. Unde VIP Politicorum, postquam distinxit VI officia neces- saria in qualibet politia bene ordinata, ostendit, quod exercentes duo officia, seil, agricole et artifices, non sun-t partes civitatis, 1) Vgl. damit Marsilius, Defensor Pacis I, cap. 5. Goldast, Monarchia II 160. Aristoteles, Politica IV (VII) c. 8. bes. § 6, 1329a, 30-34, ed. Fr. S u s e m i h 1 (1872), S. 279. 253 sed sunt quasi instrumenta necessaria civitati. Ei ideo talia of- ficio que sunt subcontraria virtuti non sunt commiitenda civibus, sed vilioribus et servilibus personis. Ei ibi ostendit quod duo of- ficio sunt partes civitatis, videlicet tenentes arma seu bellatores ei consiliativi seu iudices, ita quod ista duo officio, seil, armo- rum et officium iudicondi, sunt committendo civibus et liberis, officium armorum iuvenibus, in quibus viget virtus fortitudinis^V que necessaria est ad consulendum et iudicandum. Post hoc in- quirit philosopfius, quibus committendum est sacerdotium, ubi ostendit, quod sacerdotium non est committendum servilibus per- sonis, sed civibus. Et quia cives sunt divisi in duas partes, seil, in tenemes arma et in iudices, quaerit cui istarum partium f> com- mittendum est sacerdotium, et solvit^ quod dum deceai et exhi- berc cultum diis et deceai illos qui deos colunt habere requiem corporalem, ut in inlellcctu et contemplatione possint plusvigere, ideo conveniens est illos assignare cultui divino, qui iam propter tempus abdicati sunt vel remoti a labore corporali seu bellica et assignati sunt od quiescendum corporaliter ; et toles sunt iudices. Et ita vult ibi Aristoteles, quod sacerdotium committendum est Ulis quibus committendum est iudicium . . . Et in isto passu de- cipiuntur plures in sententia Aristotelis, non bene advertentes ad textum eius . . . Patet igitur^ex dignitote officii sacerdotolis, quod committendum est iuäicibus, qui sunt nobilissimi in poliiia et sie sacerdotium et iudicium competunt eisdem. Erc^o summum sacer- dotium summo iudici et econtrorio. Aus dem alttestamentlichen Hohenpriestertum ergibt sich dasselbe. Ex quo manifeste insi- nuatur, quod viri spirituales iudicore habent de f actis regum et oliorum subditorum, non solum in spiritualibus, verum etiam in corporolibus et temporalibus. Et maxime hoc habet monorcho ecclesiosticus, opud quem est plenitudo potestotis ecclesiostice, cum Sit vicarius Jesu Christi in terra. Der Papst ist also der primus princeps movens ei regulons totam politiam Christianam. Endlich ergibt sich dasselbe auch aus dem Charakter des päpstlichen Amtes : der Papst hat als solcher die Christen zum Ziele der göttlichen Gnade, der Seeligkeit zu führen, dazu bedarf er einer moralischen Disziplinar- und Strafgewalt; er schliesst n) Fehlt ein Stück etwa : nffi'ciiitn iitdicniidi sein'on'hiiy^ in qtiihiis viget prndeiitia. h) ms. p€rti)i(t. 254 aus von der christlichen Gemeinschaft. Talis aufetn videtur ha. bere plenam potestatem et prlncipatum in politia cuius iudicio et imperio quilibet de politia admittitur vel eiciiur de politia . . . Et ideo qui concedunt summum pontificem habere plenitudinem potestatis in spiritualibus, concedunt ipsum necessario habere ple- nitudinem potestaiis in corporalibus. Nam totus homo christia- nus spiritualis est iuxta sententiam salvatoris usw. Zum Schlüsse widerlegt der Vfr. die anfangs angeführten Argumente über die distinctio der Gewalten. Die causa effi- ciens der civilis policia ist keineswegs nur die Natur. Erst durch die in der Taufe vermittelte Gnade Gottes wird der Mensch zur christlichen Herrschaft geeignet ; daher auch die Salbung der christlichen Könige. Ferner bedürfen alle die partikularen Gemeinschaften innerhalb der politia christiana jede für sich ihre besondere Ordnung, besondere Gaben. Die Prälaten insbeson- dere non solum exercent vitam coniemplativam, verum etiam activam. Endlich ist das Gesamtziel der politia allen gemein- sam, übernatürlich, ihm untergeordnet die Teilzwecke der ein- zelnen Gemeinschaften etc. Die ganze Beweisführung scheint mir deutlich auf einen Thomisten hinzuweisen, und zwar, wie man aus der Klarheit, ja Originalität, mit der das alte Problem nach dem Verhältnis der beiden Gewalten hier behandelt wird, wohl schliessen darf, von keinem unbedeutenden Schüler des Thomas. Auf eine be- stimmte Person wage ich nicht hinzuweisen. Es ist mir keine andere Schrift bekannt, in der so konse- quent der Dualismus von geistlicher und weltlicher Gewalt be- seitigt wäre. Die Grundidee des Marsilius wird damit über- nommen, aber daraus die entgegengesetzte Konsequenz gezogen, und zwar mit Hilfe derselben aristotelischen Ideen, wie im De- fensor Pacis. Die Widerlegung der Auffassung der Aristoteles- stelle über die VI officio ist m. E. so auffällig, dass man hier an eine Polemik gegen den Defensor Pacis (I c. 5, 11 c. 8. 9. 17) wohl denken kann. Eben Marsilius hatte ja gerade das sacer- dotium nur als eines der Aemter des Staates behandelt. Hier wird seiner Argumentation der Boden entzogen. Die Beziehungen zu Dantes Monarchia sind weniger eng; aber man kann sie doch vielleicht erkennen in der Lehre von 255 dem principatus des Papstes und der Verwerfung der Ideen von einer Trennung der beiden Gewalten. Dass nun diese kleine Abhandlung in den ersten Jahr- zehnten des 14. Jahrhunderts wirklich benutzt worden ist, ergibt sich daraus, dass Alvarus Pelagius sie zum grössten Teile in seinen Planctus wörtlich aufgenommen hat, von den Worten fol. 119v an: (Unde) circa propositam questionem tria declarare intendo, vgl. Alvarus c. 40, Roccaberti, Bibl. Pontif. II 60 bis nahe zum Schluss des Stücks fol. 121: et ita diversitas finium ordi- natorum ad invicem magis arguit unitatem, quam diversitatem, vgl. Alvarus 1. c. S. 63, col. 2, Zeile 15. Nur den Schlussatz über das Verhältnis von finis und causa efficiens hat Alvarus nicht übernommen; er fügt statt dessen ein langes Exzerpt aus Tho- mas, Contra gentiles lib. 4, c. 76, aus Thomas, De regimine principum lib. 1 und aus der Determinatio compendiosa cap. 5 ein. Auch die Einleitung fehlt; ebenso ist die oben zitierte Stelle : Unde VIP Politicorum bis patet igitur ex dignitate officii sacerdotalis ausgelassen oder vielmehr ihr Inhalt in einen kurzen Satz zusammengedrängt. Auch sonst finden sich hie und da kleine Abweichungen, die freilich auch in der üeberlieferung ihren Grund haben können. Vor allem aber hat Alvarus fast zu jedem Satze eine grosse Anzahl Belegstellen aus der Bibel, dem kanonischen Rechte, Aristoteles etc. hinzugesetzt, eine förmliche Glosse. Der Vorlage fehlt diese gelehrte Verbrämung gänzlich. An Alvarus selbst als Verfasser des Stücks zu denken, ist bei diesem Abhängigkeitsverhältnis m. E. ausgeschlossen. Es ent- spricht der Arbeitsmethode des Alvarus in seinem Planctus, ganze Traktate ohne weiteres aufzunehmen, wie er das ja auch mit der Schrift des Augustiners Jakob von Viterbo, De regimine chri- stiano, tat (in cap. 51 bis 59 und 61 bis 63). Ist die oben vermutete Beziehung des Stückes auf den Defensor Pacis richtig, so ergibt sich infolge der Benutzung durch Alvarus in seinem 1330—1332 zuerst verfassten Planctus*) für die Abfassungszeit der anonymen Abhandlung der Zeitraum von 1324—1332. Sie wäre also dann auch zu den Streitschriften aus der Zeit Ludwigs des Bayern zu zählen. — 1) Vgl. die Vorrede in dem l^ruck von Joh. Clein, I.ujfdunum 1.S17. Neue Auflagen gab Alvarus l335 und 1340 heraus. 256 Nebenbei sei noch ein anderer, m. W. unbeachteter Traktat in Cod. Paris, lat. 3655 fol. 40 — 45 erwähnt, der engere Bezie- hungen zur Monarchia aufweist. Er ist nach dem Explicit von dem seraphicus doctor magister Franciscus de Mayronis (gest. 1327), dem berühmten FranziskanertheoJogen. Anfang: Utrum in univer- so secundum opiimam sui dispositionem sit dare unum monarcham qui presideat omnibus temporalibus et nulli temporaliter subsit, videiur quod sie, quia pro tempore nativitatis Christi Universum fuit in optima dispositione secundum illud Ps. 71 : Orietur in diebus eius iusiitia et habundantia pacis. Sed in nativitate Christi fuit unus monarcha in universo mundo qui nulli fuit temporaliter subiectus, scilicet Cesar Augustus, de quo Luc. 2. Ergo in optima dispositione universi est talem principem nulli subiectum reperire. Contra: quia dispositio universi tunc est optima, quando guber- natur lege divina , sed quando Dens ordinavit regna, a principio instituit, ut reges subessent sacerdotibus, ut patet I. Reg. 7, 10. c. et ultimo, ubi Saul subiciebatur Samueli non solum in sua insti- tutione, sed etiam in regni gubernatione. Ergo in optima universi dispositione non est dare principem non subiectum. Der Vfr. er- klärt zuerst die Ausdrücke: Universum, optima dispositio, monar- chia und temporalia ; dann folgt die Erörterung des pro ei contra. Die Frage wird schliesslich verneint. Der Vfr. schreibt im Dienste Roberts von Neapel, wie es scheint; fol. 44 heisst es: Dicunt quidam ad premissa minus solerter inspicientes, quod principatus regis nostri, scilicet Cecilie et Jherusalem est ignobilior ceteris principatibus fidelium, quia solus iste subordinatur ecclesie, ceteri vero reges sua temporalia ab ecclesia non recognoscunt. Wenn Dante 1. die Notwendigkeit der monarchia, 2. die Rechtmässig- keit des Romanum Imperium, 3. die Tatsache, dass der Kaiser, nicht der Papst der monarcha mundi sei, nachgewiesen hatte, so entspricht dem hier der dreifache Beweis: 1. von der Einheit der politia Christiana, 2. von der Notwendigkeit eines primus prin- ceps simpliciter und 3. dass der Papst dieser Monarcha sei. Die Beziehung auf Dante scheint mir unverkennbar. Dann ist aber diese Schrift nicht unwichtig für die Beantwortung der Frage nach der Tendenz und Abfassungszeit der Monarchia. Sie würde die Ansicht stützen können, nach der die Dantesche Abhandlung sich gegen die Politik Roberts von Neapel und Klemens' V. oder Johanns XXII. in der Zeit um 1314 bis 1318 richtet 0- 1) Vgl. übrigens auch L. Chiappelli im Arch. Stör. Ital. Ser. V. tom. 43 (1909, 1), S. 237-256, dessen Datierung von Bonaini, Acta 233 ff. (MG. Constit. IV, 8 nr. 1253; freilich nicht haltbar ist. iNSTITUTE OF ItirDIAFVAL STüDltS 10 ELWSLiV PLACE TOftOWTÖ 5, CAMaOA. G4^oi . ^ 9 !^flH B ">< ^ \\ ^\^I^Bi fe^ 'v^J^^I 1^ ^^y Kl i^i^^is